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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Blutegel; Blutegelzucht

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Blutegel (künstlicher) - Blutegelzucht

oben auf Menschen und Tiere herabfallen lassen, gewisse Gegenden geradezu unpassierbar machen.

Die B. teilt man in die bereits genannten beiden Unterordnungen. Zu den Kieferegeln gehören vor allen die medizinischen B. (s. unten); ferner der in Deutschland lebende, von Schnecken sich nährende und fälschlich Pferdeegel genannte Aulastomum (Aulacostomum gulo Moq. Tand.), sowie der mehr in Südeuropa und Nordafrika heimische Haemopis vorax Moq. Tand., der, von Menschen oder Tieren mit dem Trinkwasser verschluckt, sich im Schlunde festbeißt und bösartige Zustände veranlassen kann. Die Rüsselegel sind kleinere Formen; es gehört hierher u. a. die in unsern Tümpeln und Lachen häufige Clepsine; eine mexik. Gattung (Haementaria) dient auch zu mediz. Zwecken, ihr Biß soll mitunter nachteilige Folgen haben.

Der medizinische B. findet sich in zwei nicht scharf voneinander geschiedenen Abarten; einer mehr nördlichen, dem deutschen B. (Hirudo medicinalis L., s. Tafel: Würmer, Fig. 21) mit sechs rostfarbenen, teilweise schwarzgefleckten Längslinien auf dem Rücken, sowie mit schwarzgeflecktem Bauche, und einer südlichern Form, dem ungarischen B. (Hirudo officinalis Sav.) mit grünem, rot oder braun gesäumtem Mittelstreifen und unterbrochenen, roten oder braunen bis schwarzen Seitenstreifen über den Rücken und einfarbig grünlich gelbem Bauche. Er kann sich bis 20 cm lang ausdehnen lassen, die Zahl der Ringel beträgt bis 100; die Zähnchen der Kiefer sind sehr fein und sehr zahlreich, sodaß die Bißwunde scharfe Ränder bekommt und leicht zuheilt. Die Cocons von der Größe einer Haselnuß werden mit gewöhnlich 10-15 (0,15 mm großen) Eiern in feuchter Erde vom Mai bis in den Juli abgelegt; im Juli und August kriechen die jungen Würmer hervor; sie besitzen schon ganz die Körperform der Eltern, nähren sich aber zunächst von den Körpersaften kaltblütiger Tiere. Erst gegen die Zeit der Geschlechtsreife hin, die zwischen dem dritten und fünften Jahre eintritt, bedürfen sie des Blutes von Warmblütern und sind dann zum mediz. Gebrauche tauglich. Sie können 12-20 J. alt werden.

Man verwendet die B. zu lokaler Blutentziehung aus den Kapillargefäßen der Haut, wo Blutentziehungen anderer Art nicht möglich sein würden, so bei Entzündungen aller Art, bei Quetschungen, Kongestionen u. s. w. Soll ein B. angesetzt werden, so wird der Wurm in einem leeren Weinglase über die betreffende, vorher sorgfältig gereinigte und eventuell mit etwas Milch, Blut u. s. w. befeuchtete Stelle gestürzt; am Zahnfleisch, der Zunge u. s. w. bedient man sich zur sichern Führung auch kleiner Glascylinder u. dgl. Das Quantum Blut, das ein B. aufzunehmen im stande ist, beträgt bei einem jungen etwa das 4,5fache, bei einem alten nur das 3,5fache des Eigengewichtes; zur Verdauung dieser Massen brauchen die Tiere durchschnittlich 1/2 Jahr, während welcher Zeit sie natürlich nicht von neuem anbeißen. Vollgesogen, lassen sie von selbst los und fallen ab; soll die Blutentziehung vorher abgebrochen werden, so ziehe man den Wurm nicht gewaltsam ab, sondern bestreue ihn mit Salz, Tabaksasche oder dergl., worauf er losläßt. Die Nachblutung wird, falls sie nicht künstlich weiter erhalten werden soll, gewöhnlich durch Aufdrücken von Schwamm zu stillen gesucht. Um die vollgesogenen B. möglichst bald wieder zum Gebrauche tauglich zu machen, entzieht man ihnen das genossene Blut durch Einlegen in eine schwache Salzlösung, oder gewaltsames Auspressen. In diesem Falle sind sie schon nach wenigen Wochen wieder verwendbar.

Die Anwendung der B. erreichte in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrh. ihre größte Ausdehnung; 1829-36 sollen allein in den Pariser Hospitälern jährlich 5-6 Mill. B., die an 1 500 000 Frs. kosteten und gegen 85 000 kg Blut jährlich genossen, verbraucht worden sein. Daneben hatte man noch besonders erfundene Instrumente (Bdellometer oder künstliche Blutegel, s. d.) in Gebrauch, die bei der Blutentziehung die B. ersetzen sollten. Da aber trotzdem der großen Nachfrage auf gewöhnlichem Wege nicht zu genügen war, so wurde bald die künstliche Blutegelzucht (s. d.) in Deutschland, Frankreich, England u. s. w. ein lohnender Berufszweig, der B. selbst ein wichtiger Handelsartikel. Deutschland allein führte jährlich mehrere Millionen aus, und zwar teils künstlich im Lande gezogene, teils von Rußland, Ungarn u. s. w. eingeführte. Seitdem jedoch die Blutentziehung infolge der neuern wissenschaftlichen Anschauungen ihre frühere Bedeutung in der Heilkunde verloren hat, ist auch die Anwendung der B. beschränkt worden und der Handel damit gesunken. - Vgl. Scheel, Der medizinische B. (2. Aufl., Bresl. 1844); Otto, Der medizinische B. (Weim. 1835); Ebrard, Nouvelle monographie des sangsues (Par. 1857); Rathke, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hirudineen (Lpz. 1862).

Blutegel (künstlicher) oder Bdellometer heißt in der Medizin ein nach dem Princip des Schröpfkopfes konstruierter Apparat, welcher an Stelle der B. zur örtlichen Blutentziehung verwandt wird. Am bekanntesten ist der künstliche B. von Heurteloup, welcher aus zwei voneinander unabhängigen Instrumenten besteht, nämlich aus einem Locheisen, welches durch das schnelle Abrollen einer um den Stiel desselben gewickelten Schnur mit großer Geschwindigkeit rotiert wird und dadurch eine ringförmige, stark blutende, doch wenig schmerzhafte Hautwunde erzeugt, und aus einem Glascylinder, in welchem vermittelst eines Eisenstabes ein gut schließender Stempel auf und ab bewegt werden kann. Hat man die Haut mit dem Locheisen verwundet, so setzt man den Glascylinder auf und macht ihn durch Emporziehen des Stempels relativ luftleer, wodurch das Blut aus der ganzen Wundfläche herausgetrieben wird. Besonders häufig wird der künstliche B. wegen seiner bequemen Handhabung und der genauern Bemessung der zu entziehenden Blutmenge von den Augenärzten benutzt.

Blutegelzucht. Mit der Abnahme des Blutegelverbrauches büßten die Anstalten für künstliche B. viel von der frühern Bedeutung ein; gegenwärtig giebt es in Deutschland Anstalten noch in Altenberge bei Münster (Engelring), Hildesheim (Stölter) u. s. w. Nur gesunde Tiere von mittlerer Größe taugen zur Zucht; ein Zeichen der Gesundheit ist, wenn sich der in der Hand gedrückte Blutegel sogleich kuglig zusammenballt. Zur Zucht sind auch vollgesogene Blutegel geeignet. Den passendsten Aufenthaltsort geben Teiche ab, die mit Moos- oder Lehmuntergrund von 16 bis 24 cm Dicke und reichlichem Pflanzenwuchs ausgestattet sind, eine konstante Wasserhöhe (90 cm) und Zufluß frischen Wassers haben und gegen das Eindringen der für die junge Brut gefährlichen Wasserratten, Spitzmäuse u. s. w. geschützt sind. In die mit trocknem Torf ausgelegten und mit Rasen bedeckten Teichränder legen die Tiere