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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Böhmen (Bevölkerung. Land- und Forstwirtschaft. Industrie und Gewerbe)

der Schafe betrug (1890) 423 002, der Schweine 514 367 Stück. Die Ziegenzucht (334 117 Stück) findet viele Pflege in den Gebirgsgegenden, die Gänsezucht im Süden, wo Herden von vielen Tausend Gänsen weiden, von denen man jährlich an 15 000 Ctr. Bettfedern gewinnt; Hauptsitz des Handels mit Bettfedern ist Neuern in der Bezirkshauptmannschaft Klattau. Die Seidenkultur ist durch viele Aufmunterungen in neuesten Zeiten nicht ohne Erfolg geblieben (5 Mill. Pfd. Cocons). Die Bienenzucht (1890: 149 738 Stöcke) liefert dem Handel ein gleich dem mährischen sehr geschätztes Wachs. Die Fischerei wird in den zahlreichen Teichen mit großem Vorteil getrieben, und böhm. Karpfen und Hechte gehen in Menge nach den benachbarten Ländern.

Bevölkerung. Die Einwohnerzahl betrug 1785 etwa 2,7 Mill., 1807 über 3,1 Mill., 1827 3,7 Mill., 1837 4 Mill., 1846 4,34 Mill., 1857 4 705 526, 1869 5 106 069, 1880 5 560 819, 1890 5 843 094 (34 392 Militär), d. i. 112 E. auf 1 qkm, wonach B. zu den bestbevölkerten Kronländern Österreich-Ungarns gehört. Die Zunahme betrug 1869-80 420 275 oder 7,43 Proz., 1880-90 286 695 oder 5,16 Proz. Am dichtesten sind die nördlichen, am wenigsten die südwestl. Gegenden bewohnt. Dem Geschlechte nach waren (1890) 2 821 989 männlich, 3 021 105 weiblich (d. i. 1071 Frauen auf 1000 Männer); der Nationalität nach 2 159 O11 (37,20 Proz.) Deutsche, 3 644 188 (62,79 Proz.) Czechen. Die Czechen (s. d.) nehmen besonders die Mitte und den Osten des Landes ein, während die Deutschen vorzugsweise an den Grenzen wohnen, am meisten im Norden und im Südwesten. Der Religion nach waren 5 612 297 (96 Proz.) Katholiken, 127 236 (2,17 Proz.) Evangelische, darunter 60 737 Lutheraner (1,04 Proz.) und 66 499 (1,13 Proz.) Reformierte, 94 479 (1,6 Proz.) Israeliten, 6514 Altkatholiken, 1180 Konfessionslose. Es gab 2 Städte mit eigenem Statut, 89 polit. Bezirke, 218 Gerichtsbezirke, 7151 Gemeinden, 19 931 Ortschaften, 726 226 Wohngebäude, 1289 808 Wohnparteien. Auf 1 Wohngebäude entfielen 1,77 Wohnparteien und 8,05 E., auf 1 Wohnpartei 4,5 E. Die Bewegung der Bevölkerung ergab (1890) 42 500 Eheschließungen, 204 407 Lebendgeborene, darunter 27 287 uneheliche, 167 757 Sterbefälle. Dem Berufe nach gehörten (1880) an 3,10 Proz. den Berufsarten mit höherer Schulbildung, 45,25 Proz. der Land- und Forstwirtschaft, 39,65 Proz. dem Bergwesen, der Industrie und dem Gewerbe, 5,96 Proz. dem Handel und Transportwesen, 3,36 Proz. den Haus- und Rentenbesitzern und Pensionisten, endlich 1,85 Proz. der dienenden Klasse.

Land- und Forstwirtschaft. Von der Gesamtfläche des Landes sind 96,75 Proz. produktiv, davon entfallen auf Äcker 50,54, Wiesen 10,05, Gärten 1,35, Weingärten 0,01, Hutweiden 5,05, Waldungen 29,01, Teiche 0,74 Proz. Von der Ackerfläche des Landes (2 625 402 ha) wurden (1890) 97 Proz. angebaut, 3 Proz. blieben als Brache liegen. Mit Getreide wurden im zehnjährigen Durchschnitte (1880-89) 1 581 400 ha, mit Hülsenfrüchten 58 369 ha, mit Kartoffeln 334 158 ha, mit Zuckerrüben 128 194 ha bepflanzt. In diesem Zeitraume produzierte B. durchschnittlich jährlich 4 631 764 hl Weizen, 9 271 293 hl Roggen, 6 278 258 hl Gerste und 10 113 600 hl Hafer. An Kartoffeln wurden geerntet 31 241 782 hl. Ebenso ist an Hülsenfrüchten (568 228 hl), Küchen- und Gartengewächsen aller Art Überfluß. Unter den Gewerbspflanzen nehmen Flachs, Hopfen und die Zuckerrüben die erste Stelle ein. Der Flachs gedeiht besonders in den Gebirgsgegenden; 1890 wurden 127 690 Doppelcentner Bast und 80 150 Doppelcentner Samen erzeugt. Der Hopfenbau ist berühmt, namentlich im Egerthale und besonders bei Saaz. Die Ernte schwankt zwischen 25 000 und 50 000 (1890: 42 380) Doppelcentner. An Zuckerrüben wurden geerntet 38 161 520 Doppelcentner. Die Hanfkultur ist untergeordnet, dagegen der Anbau des Rapses in rascher Aufnahme begriffen (1890: 18 741 ha mit 208 220 Doppelcentner Ertrag). Der Obstbau liefert große Mengen zu Handelszwecken, die Zahl der Obstbäume im ganzen Lande wird auf 21 173 000 geschätzt. Die Weinkultur liefert im Durchschnitt 9000 hl (1880, ein Mißjahr, 3905 hl, 1890: 861 ha mit 6160 hl Ertrag) und ist auf das Elbthal von Melnik bis Aussig und die Gegend um Prag beschränkt. Die Waldungen (1890: 1 507 325 ha) bestehen aus 1 368 331 ha Nadel-, 59 928 ha Laub- und 79 066 ha Mittel- und Niederwald, und geben eine Ausbeute von mehr als 10 Mill. cbm Holz. Zur Hebung des Ackerbaues sind landwirtschaftliche Lehranstalten, für die deutsche Bevölkerung zu Liebwerd bei Tetschen und eine für den czech. Teil zu Tabor, errichtet worden. Überdies bestehen landwirtschaftliche Landes-Mittelschulen in Kaaden und Tetschen-Liebwerd (deutsch), in Tabor, Chrudim, Raudnitz-Hracholusk (czechisch), Ackerbauschulen in Budweis (deutsch und eine czechische), Böhmisch-Leipa, Eger, Trautenau (deutsch), Rakonitz, Jungbunzlau, Kuttenberg, Pisek, Klattau und Libějitz-Rabin (czechisch), ein pomolog. Institut in Troja bei Prag, Obst- und Weinbauschulen in Leitmeritz und Melnik und eine Forstlehranstalt in Weißwasser. Eine böhm. Hypothekenbank für den Bodenkredit wurde im Aug. l864 ins Leben gerufen, welche einen Pfandbriefumlauf von 105 Mill. Fl. besitzt, außerdem eine landwirtschaftliche Kreditbank für B. (seit 1867) und ein Kredit- und Hypothekenverein für Saaz.

Industrie und Gewerbe. Die Aufzählung der einzelnen Zweige der physischen Kultur in B. bestätigt zwar im allgemeinen eine günstige Benutzung der natürlichen Landesreichtümer, indeß noch günstiger gestalten sich die Verhältnisse der Gewerbsthätigkeit in welcher Beziehung das Königreich das erste Industrieland in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie ist und überhaupt zu den bedeutendsten Industrieländern Europas gehört, vorzugsweise in seinen nördl. Gegenden. Die Industrie hat seit 1852, noch mehr aber seit 1860 und 1867 eine tiefgreifende Umgestaltung erfahren. Ganze Zweige, insbesondere von städtischen Gewerben, sind verschwunden, andere neu entstanden und wieder andere in ihrem Betriebe geändert oder in ihrer Örtlichkeit versetzt worden. Als nach der Entlastung des Grund und Bodens keine Robot (s. d.) mehr zu Gebote stand, mußte man trachten, die sich verteuernde Handarbeit durch die Maschine zu ersetzen. So entwickelte sich die fabrikmäßige Erzeugung landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte. Der Mühlenbetrieb gestaltete sich nach amerik. System um und beginnt sich mehr in großen Etablissements zu vereinigen. Die durch die Eisenbahnen erleichterte Konkurrenz des ungar. Getreides und Mehles nötigte die Landwirte, in andern Bodenfrüchten einen bessern Ertrag zu suchen, daher die große Ausbreitung der Rübenzuckerfabrikation und die wenigstens intensiv gesteigerte Spirituserzeugung. In vielen Gegenden