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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Böhmen (Industrie und Gewerbe)

wurden von den kleinen Landwirten auf Aktien Zuckerfabriken angelegt, denen sich später Fabriken zur Erzeugung von Spiritus, Malz, Kunstdünger und seit der Aufhebung des Propinationsrechts auch Brauereien anschlossen. Der böhm. Zucker wurde, vom Disagio begünstigt, ein bedeutender Ausfuhrartikel. Während der Betriebsperiode 1889-90 waren in B. 144 Rübenzuckerfabriken mit 43 893 Arbeitern und 1915 Dampfmaschinen (27 264 Pferdestärken) in Thätigkeit, welche 37 081 393 Doppelcentner Rüben verarbeitet haben. Es wurden 1884: 39,2, 1885: 41,04, 1886: 24,4, 1887: 40,4, 1888: 30,4, 1889: 44,7, 1890: 57,1 Mill. Doppelcentner Rüben in den österr. Fabriken verarbeitet und hiervon entfallen 64,87 Proz. auf B. allein. Auch das böhm. Bier, meist Pilsener Bier genannt, ist im In- und Auslande beliebt. 1890 wurden von 748 Brauereien 6 017 090 hl erzeugt, d. i. 14,3 Proz. der österr. Bierproduktion. Die Zahl der Branntweinbrennereien betrug 1890 nur 225, d. i. weniger als in allen übrigen österr. Provinzen mit Ausnahme von Schlesien und der Bukowina, hingegen sind es durchaus große Etablissements mit einer Steuerleistung von mehr als 1000 Fl., welche 34 995 676 Hektolitergrade Alkohol erzeugten, d. i. 33 Proz. der österr. Branntweinproduktion. 1890 erzeugten 5 ärarische Tabakfabriken mit 7294 meist weiblichen Arbeitern 76 922 Doppelcentner Fabrikate. Der Erlös aus dem Verkaufe betrug 20,54 Mill. Fl. Dieser Aufschwung in den landwirtschaftlichen Gewerben konnte nicht ohne Einfluß auf die Kohlengewinnung, Eisenindustrie, die Maschinenfabrikation und die chem. Produktion bleiben. Die Ziffern der Kohlenausbeute wurden oben (im Abschnitt: Mineralreich) genannt. Die Eisenindustrie bewerkstelligt zu Kladno mit Erfolg den Übergang zur Koksroheisenerzeugung, während gleichzeitig die Walzwerke sich vermehren und der Frischhämmerbetrieb durch Puddelwerke ersetzt wird. Die Produktion betrug (1885) in 15 Werken 798 500 Doppelcentner Eisen im Werte von 8 291 000 Fl., 111 180 Doppelcentner Stahl im Werte von 1516 000 Fl., 332 000 Doppelcentner Gußwaren im Werte von 3 544 000 Fl., 49 500 Doppelcentner Draht im Werte von 757 500 Fl., in 9 Werken 174 100 Doppelcentner Blech im Werte von 2 880 000 Fl., in 3 Werken 178 500 Doppelcentner Schienen und Bahnräder im Werte von 2 326 000 Fl. Die Maschinenfabrikation, zu der sich auch der Waggonbau gesellt, gruppiert sich in und bei Prag; die chem. Fabrikation in Prag und Aussig. Die Mineralproduktion bleibt zwar zumeist auf die frühern Werke, namentlich im Egerer und Pilsener Kreise, beschränkt, gewinnt aber durch zweckmäßigern Betrieb, in dessen Gefüge sich auch die auf Kohlenfeuerung eingerichtete Tafelglaserzeugung einschiebt. 1891 wurden 1 272 742 Doppelcentner (darunter 175 733 Gußroheisen) im Werte von 5,15 Mill. Fl. gewonnen. 1685 betrug die Zahl der Maschinenfabriken 115 mit 6402 Arbeitern und einer Erzeugung im Werte von 12,47 Mill. Fl., der Waggon- und Wagenfabriken 6 mit 1476 Arbeitern und 3,56 Mill. Fl, der chem. Fabriken 44, mit einer Erzeugung von 1 419 000 Doppelcentner im Werte von 7 497 000 Fl.

Die Glasindustrie in B. behauptet nach wie vor ihre Bedeutung. Die Teurung des Holzes hatte zur Folge, daß man die Sorten, die nicht der Raffinierung unterzogen werden, mittels Kohlenfeuerung zu erzeugen begann (bei Teplitz und Pilsen). Raffinierwerke bestehen im Innern des Landes nur ausnahmsweise bei Glashütten. Das meiste Rohglas muß behufs der Veredelung seinen Weg in den äußersten Norden nehmen, wo in der Gegend von Haida, Steinschönau und Gablonz ungefähr 30 000 Arbeiter in diesem Gewerbe beschäftigt sind und wo zugleich der Glashandel seinen Sitz hat. Von 53 Hohlglas- und 37 Tafelglashütten wurden 1885 mit 5450 Arbeitern für 4,29 Mill. Fl. Hohlglas und für 1,94 Mill. Fl. Tafelglas erzeugt. Es bestanden ferner 2040 Hohlglasraffinerien mit 4631 Arbeitern und einem Erzeugungswerte von 11,24 Mill. Fl., 27 Spiegelglasraffinerien (2,66 Mill. Fl. Produktion) und 2959 Hütten für Glaskurzwaren mit 13 799 Arbeitern und 17 Mill. Fl. Erzeugungswert. Eine andere namhafte Exportindustrie ist die vorzugsweise in der Gegend von Karlsbad betriebene Porzellanfabrikation (39 Fabriken mit 6820 Arbeitern und 4,57 Mill. Fl. Produktion), der sich die von Siderolithwaren bei Teplitz (Produktionswert 1885 635 000 Fl.) anschließt. Die Thonwarenfabrikation hat nur in Budweis größere Bedeutung erlangt. In der Leinenindustrie ist außer einer sehr beträchtlichen Zunahme der Spinnereien mit dem Vororte Trautenau keine bemerkenswerte Veränderung zu verzeichnen. 1885 standen in B. 27 Spinnereien mit 243 000 Spindeln in Betrieb, welche 490 000 Schock Garne im Werte von 18,65 Mill. Fl. erzeugten. Die Zahl der Webstühle für Leinen- und Halbleinenindustrie betrug in 48 Fabriken 8305 Hand- und 996 mechan. Stühle mit einer Produktion von 9,65 Mill. Fl. Die Tuch- und Schafwollindustrie, vornehmlich in und um Reichenberg, hat im fabrikmäßigen Betriebe eine große Ausdehnung erlangt, ist aber als Handwerk dem Verschwinden nahe. Eine Specialität bilden die Türkischen Kappen (Fes), welche zu Strakonitz fabriziert werden. In gemischten Stoffen ragen insbesondere Asch, Aussig und Warnsdorf, ersteres zugleich in der Strumpfwirkerei hervor. Die Zahl der Streichgarnspinnereien betrug (1885) 90 mit 122 900 Feinspindeln und einer Produktion im Werte von 14 213 000 Fl.; jene der Kammgarnspinnereien 6 mit 103 400 Spindeln und 9 949 500 Fl. Die Streichgarnweberei beschäftigte 79 Fabriken mit 6114 Arbeitern, welche für 13,23 Mill. Fl. erzeugten; die Kammgarnerzeugnisse 51 Fabriken mit 16 863 Arbeitern und 26,63 Mill. Fl. Produktion; die Teppichweberei (5 Fabriken) mit 2,03 Mill. Fl. Produktion. In der Baumwollindustrie ist die Spinnerei (1885) in 63 Fabriken mit 12 522 Arbeitern und 1 037 000 Spindeln vertreten, welche 277 900 Doppelcentner Garne und Zwirne im Werte von 28,12 Mill. Fl. erzeugten. Die Baumwollabfallspinnerei (55 Fabriken) erzeugt 78 400 Doppelcentner im Werte von 3,54 Mill. Fl. Die Baumwollweberei hat nunmehr zum allergrößten Teil den Maschinenbetrieb aufgenommen und beschäftigt in 132 Fabriken 44 737 Arbeiter, 21 112 Hand- und 26 328 mechan. Stühle mit einer Produktion von 3,72 Mill. Stück und 420 000 m im Werte von 57,i2 Mill. Fl. Durch den Appreturverkehr gewann letztere einen Markt in Deutschland, da es deutschen Druckereien gestattet war, die aus Österreich bezogenen Gewebe in bedrucktem Zustande zollfrei nach Österreich einzuführen. Was die Weberei hierdurch gewann, hat die Druckerei eingebüßt, die nach dem Eingehen der kleinen Fabriken nur noch 12 allerdings bedeutende Etablissements zu Prag und Kosmanos mit 2810 Arbeitern zählt