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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Czechische Litteratur

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Czechische Litteratur

Im böhm. Landtag und im Abgeordnetenhaus des Reichsrats bilden die C. schon seit dem Beginn des parlamentarischen Lebens in Österreich besondere Gruppen. Auf dem ersten konstituierenden Reichstag 1848-49 waren die czech. Abgeordneten die Stütze der Regierung; in dem engern Reichsrat 1861-63 widersetzten sie sich dagegen unter Führung Riegers den centralistischen Bestrebungen Schmerlings und erklärten 1863 ihren Austritt aus dem Reichsrat, 1871 nach dem Sturz Hohenwarts auch aus dem böhm. Landtag. Bei dieser Abstinenzpolitik verharrten sie bis 1878, wo sie bei dem beginnenden Systemwechsel wieder an den Beratungen des böhm. Landtags teilnahmen; 1879 traten sie auch wieder in den Reichsrat ein. Schon bei diesen Wahlen trat neben den konservativen Altczechen unter Rieger eine viel extremere demokratische Gruppe der Jungczechen hervor, die 15 ihrer Kandidaten bei den Landtagswahlen durchsetzte, während die Altczechen noch 68 Sitze behaupteten. Seitdem hat sich das Verhältnis aber immer mehr zu Ungunsten der letztern verschoben. Bei den letzten Landtagswahlen (1889) errangen die Jungczechen 29 Sitze gegen 20 der Altczechen, und bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus (1891) erlitt die altczech. Partei eine völlige Niederlage; dagegen zogen 34 jungczech. Abgeordnete unter Führung von Gregr, Vasaty und Herold in das Haus ein, die sich als "Klub der böhm. Nationalabgeordneten" konstituierten und sich durch ihre extreme Haltung und ihre deutschfeindlichen Reden bemerkbar machten. Infolge ihres maßlosen Auftretens im böhm. Landtag wurden sie 1893 in der österr. Delegation von allen Ausschüssen ausgeschlossen, und ihre weitern Ausschreitungen veranlaßten im September die Verhängung des Ausnahmezustandes über Prag. Das Ziel der C., das sie durch engsten Anschluß an Rußland zu erreichen hoffen, weshalb sie auch bei jeder Gelegenheit gegen den Dreibund auftreten, ist, eine ähnliche selbständige Stellung in der Monarchie zu erringen, wie sie die Ungarn einnehmen, und die Anerkennung eines eigenen böhm. Staatsrechts. (S. auch Böhmen und Österreichisch-Ungarische Monarchie.)

Czechische Litteratur. Das älteste Denkmal der C. L. ist das Kirchenlied "Hospodine pomiluj ny", welches aus der Zeit der slaw. Liturgie stammt. Im weitern Verlauf ihrer ersten Periode (zweite Hälfte des 13. Jahrh. bis zum Auftreten Huß') zeigt die C. L. Beeinflussung durch die lat.-kirchliche Litteratur. Die angeblichen Zeugnisse selbständig-nationaler Dichtkunst, das ins 8. bis 9. Jahrh. gesetzte "Gericht Libuschas" (Grüneberger Handschrift) und die ins 13. bis 14. Jahrh. gesetzten epischen und lyrischen Lieder der Königinhofer Handschrift (s. d.) sind als Fälschungen erkannt. Neben dem lat. Einfluß macht sich auch deutscher geltend. Mit dem deutschen Ritterwesen kommt der Minnegesang und das ritterliche Epos zu den Böhmen. Im 14. Jahrh. entwickelte sich eine verhältnismäßig reiche Litteratur. Fast alle geistigen Strömungen des Abendlandes fanden in Böhmen Wiederhall. Zahlreich und sprachlich wichtig sind Schriften religiösen Inhalts. Außer geistlichen Liedern, Legenden (u. a. die große Katharina-Legende), didaktischen und allegorischen Gedichten stammen aus dieser Zeit die bemerkenswerte selbständige Bearbeitung der lat. Alexandreis des Walter von Châtillon, die Bearbeitungen zweier Artusromane ("Tristam", nach Eilhart von Oberge und Gottfried von Straßburg, und "Tandariaš a Floribella", nach Pleier) sowie die Prosanovelle vom "Tkadleček", eine czech. Nachbildung eines mit dem deutschen "Ackermann" verwandten Musters, ferner der "Rosengarten", "Herzog Ernst" und "Dietrich von Bern". - Von didaktischen, satirischen und andern Werken sind zu nennen: der "Neue Rat" des Smil Flaška von Pardubitz, der "Rat eines Vaters an seinen Sohn", der "Streit zwischen Leib und Seele" und der "Streit zwischen Wasser und Wein", die witzige Satire vom "Stallmeister und Studenten", die Übersetzung des encyklopäd. "Lucidarius", der "Distichen des Cato", des "Äsop", des "Anticlaudianus" des Alanus ab Insulis u. a. Den lat. Geschichtswerken ("Chronik des Cosmas von Prag" [12. Jahrh.] u. a.) folgen czechische, von denen die älteste und bekannteste die sog. "Dalimilsche Reimchronik" (Anfang des 14. Jahrh.) ist. Für die böhm. Rechtsgeschichte sind interessant "Das Buch des Herrn von Rosenberg" (eine Darlegung der böhm. Landrechtspraxis), die Erläuterung des Böhm. Landrechts von Andreas von Dubá, das Prager Stadtrecht, die Übersetzung des Magdeburger Rechts der "Majestas Carolina" u. s. w. Von Mitte des 14. Jahrh. an, seit der Gründung der Universität Prag (1348), machte sich der Einfluß der Hochschule auf Kultur und Litteratur immer fühlbarer und erzeugte zugleich mit den Mißbräuchen der lat. Kirche vereinzelte Proteste, unter denen die Schriften des Ritters Thomas von Štiné (s. Štitný) durch Inhalt und schlichte verständliche Sprache besonders wirksam sind.

In der zweiten Periode (Zeit der hussitischen Bewegung und das sog. Goldene Jahrhundert der C. L., Anfang des 15. Jahrh. bis 1620) bilden in der schönen Litteratur die aus dem Lateinischen und Deutschen übersetzten internationalen Erzählungen ("Barlaam und Josaphat", "Georgs Traumgesicht", "Gesta Romanorum", "Sieben weise Meister", "Magelone" u. s. w.) den Lesestoff zunächst für die Gebildeten und werden später zu Volksbüchern. Eine selbständige czech. Belletristik kann sich ihnen gegenüber nicht entwickeln, dagegen entstehen czech. Nachbildungen, wie die "Historie vom czech. Ritter Štilfrid und seinem Sohn Bruncvik", "Von der Kriegerjungfrau Vlasta", "Vom Ritter Paleček" u. a. - Die antideutsche und antikath. Bewegung erreicht ihren Gipfel im Hussitenstreit (s. Huß). Die Litteratur wird zur Waffe, der Inhalt der lat. und czech. Schriften ist rein polemisch. Die Verbreitung der neuen Lehre wird mächtig gefördert durch die von Huß ausgehende Reformation der Schriftsprache, die, von Archaismen gereinigt, aus der Volkssprache größern Reichtum und allgemeine Verständlichkeit schöpfte. Die Dichtung besteht aus polit. und histor. Liedern, religiösen Gesängen und Streitliedern (so das berühmte hussitische Kriegslied "Kdož ste boží bojovníci"). Aus den histor. Liedern entwickelt sich die politisch und historisch gleich wertlose Reimchronik; wichtiger sind die zeitgeschichtlichen Memoiren, ferner Reisebeschreibungen (Übersetzungen des "Millione" von Marco Polo, der Reise Maundevilles, nebst einigen originalen Reiseberichten). Die nationale Bewegung überdauert die Hussitenkriege. Der Kampf des kath. Lateins und der prot. Volkssprache zieht sich bis Ende des Jahrhunderts hin. Die Brüdergemeinen setzen die sprachlichen Bestrebungen Huß’ fort. Aus ihnen gehen die bedeutendsten Schriftsteller des 16. und 17. Jahrh. (so Blahoslav, Karl von Žerotín, Amos Comenius)

^[Artikel, die man unter Cz vermißt, sind unter Tsch oder Č aufzusuchen.]