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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Datumdifferenz

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Datumdifferenz

tung und dem Gebrauch des actum und datum bildet einen Abschnitt der Diplomatik. Unter actum hat man die Verhandlung und Beschlußfassung über eine Sache, worüber eine Urkunde ausgefertigt werden sollte, unter datum (auch data) dagegen die Ausfertigung und Veröffentlichung der Urkunde selbst zu verstehen. Bei jener war die Anwesenheit des Kaisers, Königs u. s. w., in dessen Namen die Urkunde ausgestellt wurde, unumgänglich nötig, bei dieser nicht. In der Zeit, wo der Aufenthaltsort der deutschen Könige und Kaiser fortwährend wechselte, war es oft nicht möglich, über die gewährten Gnaden sogleich an Ort und Stelle Urkunden auszufertigen. Wenn daher, wie bis ins 12. Jahrh. üblich, bei actum die Orts- und bei datum die Zeitangabe gesetzt ist, so braucht nicht notwendig gefolgert zu werden, daß der Herrscher am angegebenen Tage an jenem Orte anwesend war. Im 13. Jahrh. und späterhin hat man das actum sehr oft fortgelassen und Orts- und Zeitangaben unter datum vereinigt.

In den ältesten Zeiten und bis zum Untergange der Merowinger datierte man ausschließlich nach den Regierungsjahren des Regenten. Die Sitte, nach Jahren der Geburt Christi zu datieren, kam erst seit 840 auf. Neben der christl. Jahreszahl pflegte man zur genauern Bestimmung die Indiktion (s. Indiktionencyklus) und zugleich die Regierungsjahre des Fürsten oder Kaisers und, wenn der letztere längere Zeit bloß als deutscher Fürst geherrscht und den Kaiserthron erst später bestiegen hatte, beides nebeneinander anzuführen. Unsere jetzige, bei allen christl. Völkern übliche Datierungsweise durch Angabe des Monatstags verdankt ihre Entstehung der Reformation; vor dieser bediente man sich, namentlich in Deutschland, beim Datieren des sog. Heiligenkalenders (s. d.). Man sagte also z. B. «es geschah am Tage Petri und Pauli», ohne hinzuzufügen, daß dieser Tag der 29. Juni sei. In lat. Urkunden und Schriften bediente man sich in der Regel der verwickelten Datierungsweise der Römer; war jedoch der Verfasser der Schrift mit dem röm. Kalender nicht vertraut, so nahm er zum Heiligenkalender seine Zuflucht oder datierte, wie es jetzt geschieht, kurzweg: «Datum et actum Ⅵ<sup>to</sup> die mensis Martii anno Domini 1378.»

Heute ist das D. wesentlich bei allen Notariatsurkunden, vorgeschrieben für die Protokolle und Ausfertigungen der öffentlichen Behörden, üblich bei allen Beweisurkunden, auch wenn es Privaturkunden sind. Bei einigen rechtsgeschäftlichen Urkunden ist die Angabe eines D. für die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts wesentlich, z.B. bei den Wechseln (s. Wechseldatum und Datowechsel), ohne daß das gewählte D. das richtige zu sein braucht (s. Antedatieren), ferner bei gewissen letztwilligen Verfügungen. Öffentliche Urkunden dürfen nicht mit falschem D. versehen werden, bei ihnen beweist auch die Urkunde, daß sie an dem angegebenen Ort und an dem angegebenen Tage ausgestellt ist, bei Privaturkunden regelmäßig gegen den Aussteller, daß er so angesehen werden wollte, als habe er die ihn bindende Erklärung an diesem D. abgegeben. Das ist wichtig für die Bestimmung des Zeitpunktes, mit welchem seine Verpflichtung eingetreten ist, ferner für die Frage, welches örtliche und zeitliche Recht anzuwenden sei. Ob zu Gunsten des Ausstellers anzunehmen, daß das D. das richtige ist, hat der Richter nach freier Beweiswürdigung zu entscheiden. Um Dritten nachteilige Angaben eines falschen D. unschädlich zu machen, haben manche Gesetze besondere Bestimmungen. Die Fälschung einer Urkunde kann auch durch Abänderung des D. verübt werden. ^[Spaltenwechsel]

Datumdifferenz, die Verschiedenheit der Datierung an verschiedenen Orten der Erdoberfläche. Wer nach Osten reist, muß, wenn seine Uhr stets die richtige Ortszeit angeben soll, dieselbe um so mehr vorstellen, je weiter er sich in östl. Richtung von seinem Ausgangspunkt entfernt (s. Zeitdifferenz). Kehrt er dann von Westen her kommend wieder an den Ausgangspunkt der Reise zurück, so hat er nach und nach im ganzen seine Uhr um 24 Stunden vorstellen müssen, und demgemäß wird er auch bei seiner Rückkehr in der Berechnung des laufenden Datums um 1 Tag gegen die an dem Ausgangspunkt der Reise übliche Datierung voraus sein; er hat daher durch seine Reise um die Erde scheinbar einen Tag gewonnen. Reist jemand in umgekehrter Richtung, also beständig nach Westen zu fahrend, um die Erde herum, so verliert er scheinbar 1 Tag. Da die Entdeckungsfahrten der Europäer sowohl in östl. wie in westl. Richtung unternommen wurden, so erhielten die Bewohner der im Großen Ocean gelegenen Inseln und Länder das Datum von Europa aus teils von Osten, teils von Westen her, sodaß man daselbst in bestimmten Gegenden zweierlei Datum erhalten mußte. Es bildete sich auf Grund des histor. Ganges der Entdeckung und Besiedelung eine Datumscheidelinie aus, die vom Südpol kommend östlich von der Insel Chatham, Neuseeland, Neucaledonien und Neuguinea bleibt, zwischen Celebes und Bornéo einerseits, Mindanao und den übrigen Philippinen andererseits hindurch geht und dann südöstlich von den japan. Inseln und den Kurilen verlaufend der Beringstraße zustrebt. Westlich dieser Linie zählte man als Datum und Wochentag einen Tag mehr als östlich derselben.

Diese historische Datumgrenze (s. die dem Artikel Weltverkehr beigegebene Übersichtskarte des Weltverkehrs) mit ihrer großen Ausbuchtung nach Westen erhielt sich so lange, als die polit. und Handelsinteressen der in ihrer Ausbuchtung liegenden Inselgruppen sie vornehmlich nach dem Osten hin verwiesen. Mit der Umgestaltung der polit. und der Weltverkehrsverhältnisse in diesem Jahrhundert und mit der Anknüpfung lebhafterer Handelsbeziehungen nach Westen hin erwies sich für die Philippinen die ungewöhnliche Datierung als eine sehr störende Unbequemlichkeit. Auf Grund einer Verordnung des Erzbischofs von Manila ließ man daher auf den Philippinen auf den 30. Dez. 1844 unmittelbar den 1. Jan. 1845 folgen. Die gleiche Datierung fand auf den Karolinen, den Marianen und Kingsmillinseln Eingang, während andererseits die Samoa- und Fidschi-Inseln infolge ihres starken Verkehrs mit Australien die austral. Datierung annahmen. Auf Grund der praktischen Verkehrsverhältnisse hat sich so seit der Mitte dieses Jahrhunderts eine neue thatsächliche oder wirtschaftliche Datumgrenze herausgebildet, die dem Verkehr und Handel der verschiedenen Inselgruppen untereinander und mit dem Festlande Rechnung trägt. Im wesentlichen fällt dieselbe mit dem 180. Meridian (von Greenwich an gerechnet) zusammen. Doch darf die thatsächliche Datumgrenze nicht als etwas unverändert Feststehendes angesehen werden, sondern sie wird je nach den wechselnden polit. und Handels-^[folgende Seite]