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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutsche Kunst

der Übergang von noch romanisierenden zu got. Formen, den man an den meisten Bauten jener Lande bemerken kann, bis in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. der got. Stil in reiner Durchbildung hervortritt (Dom zu Meißen, Minden, Blasienkirche zu Mühlhausen). Als eine der edelsten Werke der Hochgotik ist der Dom zu Regensburg (1275 begonnen) zu bezeichnen, bei dem das franz. Vorbild nachweisbar, aber die deutsche Grundstimmung unverkennbar ist. Diese zeigt sich am unvermischtesten in den Backsteinbauten des Nordens, vielfach großräumigen und ernsten Hallenanlagen. Die Klosterkirchen zu Doberan, Kolberg, der Dom zu Lübeck, die Marienkirchen zu Prenzlau, Kolberg, Frankfurt a. O. sind Beweise hierfür; ebenso wie die Schlösser des deutschen Ritterordens in Preußen, namentlich die Marienburg (s. Tafel: Burgen II, Fig. 2 u. 3), Kunde von dem hohen Stande des Profanbaues ablegen. Die Ornamentation verjüngte sich stets aufs neue an der Nachbildung der heimischen Pflanzenwelt (s. Taf. II, Fig. 2 u. 3), bis gegen Ende des 13. Jahrh. eine strengere Stilisierung in knollenartigen Gebilden, den sog. Krabben (s. Taf. II, Fig. 1 u. 8), sich bemerkbar macht.

Die Gotik des 13. Jahrh. beendet eine Zeit großartiger Bauthätigkeit und allgemeinen Aufschwunges. Die großen Unruhen im 14. Jahrh., der Niedergang des Reichs, der Zusammenbruch der alten höfischen Gesellschaftsformen führten einen allgemeinen Rückgang im Bauwesen herbei. Zudem befand sich dieser selbst in einer Zeit des Überganges aus den Händen der früher vorwiegend geistlichen Bauleute an die bürgerlichen Steinmetzen. Auch wurden nun die Städte mit ihrer wachsenden Volkszahl die eigentlichen Bauherren, während es bisher vorzugsweise die Klöster und Stifter gewesen waren. Es wurde in den Kirchen größere Raumentfaltung gesucht; die Hallenkirche wurde daher bevorzugt, die Schiffe wurden breiter, die Anlagen im ganzen einfacher, nüchterner, mehr dem Zwecke angemessen. Die Führung im Bauwesen ging vom Westen an den Osten über, seit die luxemb. Kaiser in Böhmen eine großartige Bauthätigkeit entfalteten. Der Dom zu Prag entstand seit 1344 nach dem Vorbilde von Bauten in Languedoc, die Klosterkirche zu Zwettl, die Bartholomäuskirche zu Kolin, die Barbarakirche zu Kuttenberg, die Kreuzkirche zu Schwäbisch-Gmünd, die Chöre des Münsters zu Freiburg i. Br. und der Lorenzerkirche zu Nürnberg entstanden unter dem Einfluß der Prager Bauschule (Matthias von Arras; die Familie Arler oder Parler von Gmünd) in ähnlichen Formen, nämlich als breite, aus dem Polygon geschaffene, mit Umgang und mehrfach auch mit Kapellenkranz versehene Anlagen. In Bayern bieten München, Ingolstadt, Landshut derartige Anlagen. Daneben entstanden querschifflose Langhäuser, wie sie die Theynkirche zu Prag, die Sandkirche zu Breslau, der Dom zu Schwerin, die Marienkirchen zu Rostock, Brandenburg, Wismar, Stralsund und Stargard bei verschiedenartiger Choranlage (Umgang oder getrennten Abschlüssen vor jedem der drei Schiffe) aufweisen. Ähnlich sind die Hallenkirchen Westfalens, namentlich die Lambertskirche zu Münster (s. Taf. II, Fig. 7) mit ihren säulenartigen Pfeilern und reich entwickeltem Netzgewölbe, die mächtige Stephanskirche zu Wien (1359 begonnen; s. Taf. II, Fig. 5 u. 6), während an den Münstern zu Überlingen und Ulm ein Chor zwischen zwei Türmen sich erhebt. Auch Centralbauten, wie die Karlskirche zu Prag, Stiftskirche zu Ettel, entstehen in dieser Zeit.

Der höchste Wert wird in dieser Zeit auf die Ausgestaltung der Türme gelegt, welche weit über das eigentliche Bedürfnis des Erhöhens der Glocken hinaus zu Gegenständen des Wetteifers der bauenden Städte und Stifter wurden. Für das Straßburger Münster wie für den Kölner Dom waren davon alsbald zwei vorgesehen. Zugleich treten die einzelnen Baukünstler mehr und mehr hervor, und zwar zumeist in weitverzweigten Familienverbindungen. Die erste dieser waren die von Straßburg ausgehende Familie Erwins gewesen, dann waren die Prager Parler, die mythisch gewordenen "Jungherren von Prag" gefolgt. Weiter sind die Ensinger zu nennen. Ulrich von Ensingen (gest. 1419) legte nach dem Vorbilde von Freiburg i. Br. einen Turm vor die Westfront des Ulmer Münsters und führte den Nordturm des Straßburger Münsters (s. Taf. II, Fig.10) bis zum achteckigen Glockenhaus auf, den Joh. Hültz aus Köln (1439) vollendete. Von diesem dürfte auch die durch ihren schönen Turm ausgezeichnete Frauenkirche zu Ehlingen (1406-1522) stammen. Matthäus von Ensingen arbeitete am Dom zu Bern, an den Münstern zu Straßburg und Ulm, Vincenz in Bern und Konstanz, Hans und Caspar Kun, Angehörige der Familie, in Ulm. In Eßlingen bildeten sich die Böblinger aus, von denen Hans Böblinger (gest. 1482) den Turmhelm vollendete, Matthäus (gest. 1505) nach neuem Plan den Ulmer Turm fortführte. In den Donaulanden war die scheinbar von den Pragern abstammende Schule von Krumau vorherrschend, der der seit 1404 den Südturm der Stephanskirche in Wien (s. oben) bauende Meister Wenzel, wie der die Kirche zu Braunau errichtende, in Wien und Salzburg thätige Stephan Krumauer sowie endlich die in Regensburg und Nürnberg thätige Familie der Roritzer angehört. Alle diese Künstler zeigen ein hoch gesteigertes formales Können, eine gewisse Neigung zu mathem. Spitzfindigkeiten, eine feste Schulung, die sich namentlich in einer außerordentlich entwickelten Meißelfertigkeit kundgiebt und die Spätgotik zu ihren reichsten Formen ausbildet.

Diese fördert zu Ende des 15. Jahrh. unter dem Einfluß der beginnenden religiösen Bewegung eine überaus vielseitige Thätigkeit zu Tage, weniger in der Anlage größerer neuer Kirchen, als in der Um- und Ausgestaltung der vorhandenen. Auch der Profanbau findet in reichen Schloßanlagen, Rathäusern, Wohngebäuden, Brunnen (Markt-Brunnen zu Braunschweig, Schöner Brunnen zu Nürnberg; s. Tafel: Brunnen I, Fig. 3 u. 4), Zierbauten, Thoren u. dgl. vielfache künstlerische Ausbildung.

Gegen Ende des 15. Jahrh. machen sich zuerst Anzeichen geltend, daß die Gotik aus sich selbst heraus neue Gestaltungen zu bilden bestrebt sei. Die Detaillierung wurde eine naturalistische, der Spitzbogen wird vielfach zu Gunsten willkürlicher Bildungen aufgegeben, die Konstruktion in reiner Zweckdienlichkeit hervorgehoben. Namentlich an den sächs. Schloßbauten, wie der Albrechtsburg zu Meißen (s. Tafel: Burgen II, Fig. 7) und an den erzgebirgischen Kirchen tritt das neue Streben hervor, bei letztern in Ausgestaltung von Predigtsälen mit Emporenumgängen (Schloßkirche zu Wittenberg, Kirchen zu Annaberg, Schneeberg, Brüx). Hier wie fast überall in Deutschland wurden die seit etwa 1515 zuerst auftretenden Formen der Re-^[folgende Seite]