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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutsche Litteratur

selbst für einen Lyriker war er zu unsinnlich; aber er entfesselte das schwärmerische Gefühl sehnsüchtigster Frömmigkeit. Und die gleiche Empfindungsseligkeit, auf weltliches Gebiet übertragen, auf Freundschaft und Liebe, auf die Reize der Natur, auf die Genüsse der Freiheit, kommt in den antiken oder freien Rhythmen seiner "Oden" (1771) zum Ausdruck. Klopstock schafft, was Pyra nur eben vorbereitet, die ernste lyrische Sprache des gefühlvollen Herzens. Aber er wirkt mehr. Seine Verdienste um Versbau und poet. Rede sind unschätzbar: mit heiligem Ernst, mit einem an den echten Meistern der Antike sicher gebildeten Geschmack arbeitet er unermüdlich an der würdigsten Form für seine frommen Gedanken, seine großen Empfindungen; aber auch theoretisch lehrt er, was er über Vers und Rede gefunden hat. Er glaubt an seine Mission, vermag nichts anderes zu sein als Dichter und zwingt auch seiner Umgebung die Überzeugung auf, daß seine Poesie die ausfüllende Aufgabe eines begnadeten Menschenlebens, nicht das Beiwerk bloßer Nebenstunden sei. Er erobert der göttlichen Dichtung wieder den Respekt des Publikums; die Stimme des Dichters wird wieder wie Prophetenwort. Ein Zögling der Alten, ist er doch erfüllt von glühender Vaterlandsliebe; er will den griech. Olymp ersetzen durch einen deutschen Götterhimmel, den er sich aus der nordischen Mythologie zurecht gemacht; Macphersons dämmerig verschwommener "Ossian" wird ihm mißverständlich die Offenbarung des urdeutschen Sängertums der Barden, das er in teutonisierenden Oden und in unerträglichen Hermannsdramen, den "Bardieten", wieder zu erwecken sucht, auf daß es die verhaßten Franzosen, ja selbst die befreundete Muse Englands im poet. Wettkampf schlage. So kindisch und künstlich uns diese gelehrt zusammengearbeitete Bardensprache heute scheint, so sehr steigerte und befriedigte sie das erregte Nationalgefühl jener Tage. Es schloß sich an Klopstock der Kreis der Barden, deren friedliches Bardengebrüll in verdient üblem Rufe steht: nicht nur der platte Sachse Kretschmann und der ernsthaft steife Wiener Jesuit Denis steckten sich als Rhingulph und Sined (1772) in bardisches Kostüm, auch der talentvollere Schleswiger Heinr. Wilh. von Gerstenberg huldigte eine Zeit lang der Mode, sonst ehrenvoller bekannt als kritischer Vorkämpfer Shakespeares in seinen "Schleswiger Litteraturbriefen" (1766) und als Vorläufer der Sturm- und Drangdramatik in seinem fürchterlichen Hungertrauerspiel "Ugolino" (1768). Und noch eine jüngere Dichtergruppe bekannte sich zu ihres anbetend verehrten Schutzpatrons Klopstock bardischen Träumen, der Göttinger "Hain", 1772 gegründet. Doch zeigen die Lieder dieses wesentlich lyrischen Kreises, dessen Organ die von Boie und von Voß herausgegebenen Musenalmanache waren, neben Klopstocks und Ossians Einfluß die starke Einwirkung der engl. Poesie, des deutschen Minnesangs und wieder der Antike. Die zarten Naturbilder der engl. Lyrik kopiert vor allen Hölty; die berühmte Volksliedersammlung des Bischofs Percy regt den genialen, aber sittlich und auch künstlerisch haltlosen Gottfr. Aug. Bürger zu seinen wundervollen, dramatisch hinreißenden Balladen an, die den früher üblichen frivol spaßhaften Bänkelsängerton Gleimscher und Schiebelerscher Romanzen aus dem Felde schlagen und auch von Bürgers eigener glühend sinnlicher Minnelyrik nicht erreicht werden; antikisierenden Tyrannenhaß atmen die feurigen Oden der gräfl. Brüder Stolberg; Friedrich Leopolds Übersetzungen Ossians, des Äschylus und der Ilias, an die auch Bürger seine Kräfte wagte, werden tief in den Schatten gestellt durch die meisterhafte Homerübersetzung (1781) des Mecklenburgers Joh. Heinr. Voß (1751-1826), der auch als Dichter von Idyllen in antiken Metren, zumal als Autor der "Luise" (1784), einen großen, in mancher Augen bald mit Goethe wetteifernden Dichterruhm erwarb. Voß, eine harte Kraftnatur von Schrot und Korn, dabei ein echter Sohn des Volks, wurde bald die Seele des Bundes, dessen volkstümliche Tendenzen schon auf Herdersche Einflüsse zurückgehen. Die Stärke des Kreises, das gesungene Lied, fand einen besonders glücklichen, bis heute nicht ganz außer Mode gekommenen Vertreter an dem Dichter heiterer Genügsamkeit, an Matthias Claudius, dem Wandsbecker Boten, der den Göttingern aus der Ferne nahe stand.

Die Steigerung des nationalen Gefühls, die sich in Klopstocks und anderer Dichtung so mächtig kundgab, war keine rein litterar. Erscheinung. Sie wurzelte in den Thaten des großen Preußenkönigs, die weit über die Grenzen seiner engern Heimat, die in ganz Deutschland Bewunderer hatten. Friedrich der Große gab durch seine gewaltige Persönlichkeit den Deutschen einen nationalen Helden, ihrer Litteratur nach Goethes berühmtem Wort erst den wahren und höhern eigentlichen Lebensgehalt. Seine heroische Gestalt steht im Hintergrunde zahlloser Dichtungen: Klopstock dachte ihn in einer Ode zu feiern, die er erst später in verletzter Dichtereitelkeit auf Heinrich den Vogler umschrieb; Wieland stellte ihn als Cyrus dar; Lessings "Philotas" atmet den stoischen Heldengeist des damaligen Preußen, in seiner "Minna von Barnhelm" ist der König der deus ex machina im edelsten Sinne. Der Philosoph Thom. Abbt feiert 1761 den Tod fürs Vaterland. Einer der Offiziere Friedrichs, der bei Kunersdorf gefallene Major Ewald von Kleist, läßt einem beschreibenden Gedichte im Geschmacke Thomsons, dem "Frühling" (1749), der mit Schillers "Spaziergang" manche Verwandtschaft zeigt, ein kleines heroisches Epos voll der mannhaftesten Kriegsstimmung folgen, "Cissides und Paches" (1759), und selbst Gleim schwang sich unter dem Eindrucke der großen Zeit zu den volkstümlich kräftigen "Preuß. Kriegsliedern von einem Grenadier" auf (1758). Der bewunderte König selbst freilich kümmerte sich nicht um die deutschen Sänger: ihn beherrscht zeitlebens der Geist der franz. Aufklärung, wie er sie in Voltaire allzu hoch schätzte; seine 1780 erschienene Schrift "De la littérature allemande" zeigt zugleich eine rührende Zuversicht, daß auch der deutschen Dichtkunst eine große goldene Zukunft winke, und die vollständigste Unklarheit darüber, wie es mit der Litteratur seines Vaterlandes bereits stand. Aber diese Gleichgültigkeit Friedrichs beeinträchtigte seine Bedeutung für unser Geistesleben kaum. Gerade seine Mißachtung stachelte die deutschen Dichter und Denker zu den höchsten Leistungen. In seinen Staaten herrschte eine Freiheit des Denkens und der Kritik, wie nirgend sonst in Deutschland; seine Schulreform begründete den humanistischen Charakter unserer Gymnasien; vorurteilsloser Respekt vor der geistigen Arbeit war in seinem Machtbereich selbstverständlich.

Wie der König, steckte seine Residenz Berlin tief im Banne der Aufklärung. Außer dem steif sauber-^[folgende Seite]