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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutsche Litteratur

lichen, antikisierenden Odendichter Ramler, der mit wahrer Monomanie die Verse seiner sämtlichen Freunde durchkorrigierte, außer der trivialen Poetasterin, der Karschin, besaß Berlin namentlich zwei charakteristische Autoren, den braven aber unbedeutenden jüd. Popularphilosophen Moses Mendelssohn, einen Anhänger Shaftesburys, und vor allem den vielgeschäftigen, berlinisch absprechenden Typus platter Aufklärung, den Buchhändler Nicolai, der mit sicherm Instinkt alle genialen und ungewöhnlichen Erscheinungen unserer Poesie von Goethes "Werther" bis zu Fichte einer trivialen Kritik in Form von Recensionen, Satiren und Romanen unterwarf. In diese Gesellschaft nun trat der Mann herein, der uns als der vollendetste litterar. Typus der Fridericianischen Zeit gelten muß, der sächs. Litterat Gotthold Ephraim Lessing (1729-81). Mann und Charakter vom Wirbel bis zur Zehe, hat dieser größte deutsche Journalist die Waffe schneidiger Kritik zu schwingen gewußt wie kein zweiter; ein erfrischendes Frühlingsgewitter reinigt er die Luft von veralteten Vorurteilen und Irrtümern, dabei doch stets künstlerisch und sittlich maßvoll. Er schafft eine Prosa, leuchtend klar, dramatisch belebt, knapp und scharf und treffend, wie sie nie zuvor erklang. Seine Kritik zerstört nicht, sie baut auf. Gleich Winckelmann beugt er sich bewundernd vor den Alten und erkennt sie als einen Höhepunkt aller Kunst an; fehlt ihm jener histor. Blick, der Winckelmanns "Geschichte der Kunst des Altertums" (1764) an die Spitze der gesamten Kunstgeschichte stellt, so besitzt er dafür die Gabe scharfer und doch fruchtbarer Definition. Ihm geht es im "Laokoon" (1766) auf, daß die Poesie nicht Zustände, sondern nur Handlungen darstellen soll, und er leitet daraus ihre Gesetze her; er erweist in der "Hamburgischen Dramaturgie" (1767), wie schlimm die Franzosen und ihre Nachtreter des Aristoteles Theorie der Tragödie mißverstanden haben, und schafft sich durch richtige Deutung das Recht, Shakespeare neben die großen Tragöden Athens zu stellen. In grenzenlosem Wahrheitstriebe nimmt er auch für die Theologie die Pflicht der freien Forschung in Anspruch. Es weht ein urgesunder Hauch rücksichtsloser Ehrlichkeit, siegender Kampfesfreude durch sein Wirken, vor dem das Weichliche und Halbe nicht Stich hält: die unverwüstliche Nährkraft der Antike offenbart sich wunderbar an diesem großen Humanisten. Und der größte deutsche Prosaiker neben Goethe ist auch Dichter, Dramatiker. Mit "Miß Sara Sampson" (1755) bricht er der bürgerlichen Tragödie in Deutschland eine Bahn, die unendlich viel betreten, von Gemmingens "Deutschem Hausvater" (1780), von Friedr. L. Schröder bis zu Iffland und Kotzebue führt. In seiner "Minna von Barnhelm" (1767) hat er das beste lebensvollste deutsche Lustspiel geschaffen, den Stoff unbefangen aus den bewegenden Fragen der Gegenwart schöpfend. In der "Emilia Galotti" (1772) giebt er ein Meisterwerk dramat. Komposition, in das zugleich die fernen Wetter polit.-socialer Unruhe hineindröhnen. Mit "Nathan dem Weisen" (1779), dem etwas einseitigen hohen Liede der Toleranz, eröffnet er das Jambendrama hohen Stils.

Brachte so Klopstock unserer Poesie Schwung, Gefühl und Würde, Lessing ihr Klarheit, Strenge und Kraft, so war es dem wenig jüngern Schwaben Christoph Martin Wieland (1733-1813) vorbehalten, ihr leichte Anmut, heitere Eleganz, behagliche Fülle der Rede zu gewähren, Eigenschaften, vor allen geeignet, ihr die Gunst des Adels und der guten Gesellschaft neu zu erwerben. Die griech. Philosophen und der Spötter Lucian stehen Pate bei der munter sinnlichen Lebensmoral, in der Wieland aus der schwärmerischen Verstiegenheit seiner Jugend landet; in zweiter Linie Voltaire und Cervantes. Im Bildungs- und Erziehungsroman ("Agathon", 1766), im satir. Roman ("Abderiten", 1774), in der Versnovelle ("Musarion", 1768), im romantischen Epos ("Oberon", 1780) entfaltet er seine üppige farbenreiche Phantasie, seine liebenswürdige Erzählergabe, leider zuweilen in allzu geschwätziger Leichtigkeit. Als Dramatiker unbedeutend, hat er durch seine Shakespeare-Übersetzung den gewaltigen Engländer in Deutschland heimisch machen geholfen. Für die schöne Sprache der sanft bewegten Seele stehen ihm Töne zur Verfügung wie keinem seiner Vorläufer. Merkwürdig, daß seine milde, auf ein angenehmes Mittelmaß gestimmte Schriftstellerei nicht mehr Schule gemacht hat. Das romantische Epos findet in Alringer einen unbedeutenden Vertreter; auch ein Parodist wie Blumauer, der Verfasser der "Travestierten Äneis" (1783), knüpft an Wieland an, während Kortums derbkomische "Jobsiade" (1784) nichts mit ihm zu schaffen hat. Im Roman hat der glänzende Stilist Aug. von Thümmel, der Autor der "Wilhelmine" (1764), von ihm gelernt, ebenso Aug. Gottl. Meißner in seinen "Skizzen" (1778 fg.), seinem "Alcibiades"; und in Heinses wilder Erotik klingen durch allen Sturm und Drang Wielandsche Töne durch. Aber das sind nur vereinzelte Erscheinungen. Es dominiert im Roman von Gellerts "Schwedischer Gräfin" (1747) bis zu der "Geschichte des Fräuleins von Sternheim" (1771) von Wielands Jugendfreundin Sophie La Roche und darüber hinaus maßgebend der Einfluß der breitspurig moralischen Briefromane des Engländers Richardson, versetzt allerdings mit kräftigen Dosen aus der realistischen Komik seines Widerparts Fielding und mit Würzen aus der deutschen Aufklärungswitzelei: dahin gehören die Romane von Hermes und Knigge, von Schummel und Musäus, der sich durch seine, leider auch aufklärerisch versalzenen "Volksmärchen" (1782) einen bessern Namen gemacht hat.

Lessing und Wieland wurzeln immerhin noch im Boden der Aufklärung, so hoch ihr nahes Verhältnis zur Antike und ihr origineller Geistestrieb sie darüber emporwachsen läßt. Breit und aufdringlich dagegen macht sie sich geltend bei den Kleinern: bei dem Lessing Wiens, dem getauften Juden Joseph von Sonnenfels, dem Faktotum der Josephinischen Aufklärung; bei den kritischen Popularphilosophen im Stile des Wolfenbüttler Ungenannten Herm. Sam. Reimarus und des berüchtigten Bahrdt; bei den mehr praktisch-moralischen Utilitariern wie Garve, J. J. Engel, Schlosser; bei den Kanzelrednern Mosheim, Spalding, Jerusalem; bei dem Politiker Schlözer, den Pädagogen Basedow und Campe u. s. w. Nur selten bricht bei diesen rationalistischen Weisen eine tiefere Beteiligung von Geist und Phantasie durch, wie etwa bei dem Schweizer Zimmermann, oder gar ein histor. Sinn, wie bei dem trefflichen Niedersachsen Justus Möser, dem Verfasser der "Patriotischen Phantasien" (1774), dem seine Liebe zur Vergangenheit die Regungen der aufklärenden Gegenwart verdächtig machte.

Der geschichtliche Sinn, zugleich das liebevolle Verständnis für die Geheimnisse der schlichten, un-^[folgende Seite]