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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutsche Sprache (Geschichte)

Charakteristische Eigentümlichkeiten, durch die sich die älteste D. S. von ihrer westgerman. Schwester, der englisch-friesischen, abhebt, giebt es nur wenige. Vielmehr hat umgekehrt die Sprache der Friesen und Angelsachsen, schon bevor die letztern nach Britannien zogen, sich eigenartig entwickelt gehabt, während die der deutschen Stämme den alten westgerman. Charakter ziemlich treu bewahrte. Die älteste und durchgreifendste Veränderung, welche die D. S. erfahren hat, ist die althochdeutsche Lautverschiebung (s. d.), die aus altem p, t und k ein ff, f oder pf, ss (älter ʒʒ), z und ch machte. Diese Lautverschiebung ist, wie sich aus den Orts- und Personennamen nachweisen läßt, schon lange Zeit vor unsern ältesten Sprachdenkmalen eingetreten. Schon beim Geographen von Ravenna giebt es Namensformen wie Ziurichi (älter Turicum), Ascapha (älter Ascapa). Diese Lautverschiebung teilte die bis dahin ziemlich einheitliche D. S. in zwei große Gruppen, in eine hochdeutsche (zu der auch die im 9. Jahrh. ausgestorbene Mundart der Langobarden gehörte) und in eine niederdeutsche (s. Deutsche Mundarten). Die letztere ist von der Lautverschiebung nicht betroffen worden. Fortan gingen die hoch- und die niederdeutschen Mundarten ihre eigenen Wege, sodaß man geradezu von hoch-und niederdeutscher Sprache, nicht Mundart,spricht. Innerhalb der hochdeutschen Mundarten ist in Oberdeutschland schon vor dem 8. Jahrh. altes b und g zum Teil stimmlos gesprochen und d zu t verschoben worden.

Die schriftliche Überlieferung der D. S. beginnt mit der zweiten Hälfte des 8. Jahrh. Vorher hatte man – von einigen nur wenige Worte enthaltenden Runeninschriften abgesehen – ausschließlich lateinisch geschrieben. Man unterscheidet nunmehr drei Entwicklungsperioden: alt-, mittel- und neuhochdeutsch (ahd., mhd., nhd.) und alt-, mittel- und neuniederdeutsch (and., mnd., nnd.).

Die altdeutsche Sprache umfaßt nach schriftlicher Überlieferung die J. 750‒1100; wiewohl die gesprochene Sprache des 11. Jahrh. schon mittelhochdeutsch (mittelniederdeutsch) genannt werden müßte. Die Orthographie ist stets konservativer als die Aussprache, und die Zeitabgrenzungen der althochdeutschen (altniederdeutschen), mittelhochdeutschen (mittelniederdeutschen) und neuhochdeutschen (neuniederdeutschen) Periode sind für die gesprochene Sprache sicherlich erheblich früher anzusetzen, als man es nach unserer Überlieferung zu thun pflegt. Alle sprachlichen Neuerungen finden sich vereinzelt bei weniger schulgerechten Schreibern oft schon mindestens ein Jahrhundert früher, bevor sie in der Orthographie anerkannt und ausgedrückt werden.

Zu den ältesten vokalischen Wandlungen der D. S. gehört die Monophthongierung der Diphthonge ai und au zu ê und ô und die Diphthongierung der Monophthonge ê und ô zu ia (später ie) und uo (später ue), z. B. «See» aus älterm gotischen saiws, «hoch» aus gotischem hauhs, «hier» (ie ursprünglich diphthongisch gesprochen) aus gotischem hêr, mittelhochdeutsch guot «gut» aus gotischem gôds. Die Monophthongierung ist zu einer Zeit, welche vor der der schriftlichen Denkmäler liegt, in Niederdeutschland eingetreten, ebenso in Mitteldeutschland ungefähr nördlich von der Mainlinie, doch mit Einschluß der Pfalz und mit Ausschluß von Hessen-Nassau, dem eigentlichen Hessen und fast ganz Thüringen. In dem übrigen Mitteldeutschland wurde im 7. Jahrh., in Oberdeutschland (auch im Langobardischen) im 8. Jahrh. ai nur vor folgendem h, w oder r zu ê, au nur vor folgendem h, r, l, n, th, d, t, ʒ und s gesetzt. Daher sagen wir noch heute z. B. «Stein», aber «See», «laufen», aber «hoch», während es im Gotischen stains wie saiws, hlaupan wie hauhs heißt, und entsprechend in der niederdeutschen, fränk., obersächs. und schles. Volksmundart «Steen» wie «See», «lofen» oder «lopen» wie «hoch». Die Diphthongierung von altem ê und ô zu ia und uo ist im Fränkischen schon im 8. Jahrh. zu Hause gewesen, im Niedersächsischen überhaupt nicht eingetreten (plattdeutsch brêf [braif] Brief, gôd [gaud] gut), im Oberdeutschen erst gegen Ende des 8. Jahrh. (in Bayern erst im 9. Jahrh.) durchgedrungen. – Gemeindeutsch aber ist die nächst der hochdeutschen Lautverschiebung durchgreifendste lautliche Veränderung: der Umlaut, oder genauer der i-Umlaut. Derselbe besteht darin, daß alle Vokale (außer i selbst) durch ein i oder j der folgenden Silbe qualitativ verändert, eben umgelautet werden, und zwar a zu e (ä), o zu ö, u zu ü; vgl. unser «trägt» (älter tragit) zu «tragen», «Öl» (älter oli), «küssen» (älter kussjan) zu «Kuß». Der Vokal e war bereits in urgerman. Zeit, im 1. Jahrh. n. Chr., zu i umgelautet worden; vgl. «ißt» (ursprünglich etith) zu «essen». Zur Zeit, als der Umlaut eintrat, bestanden außer den kurzen Vokalen a, o, u noch die umlautfähigen langen â, ê, ô, û und die Diphthonge ai, au und uo. Von diesen ist bei ai und ê der Umlaut nur mundartlich nachweisbar, abgesehen davon, daß ai, da dem a ein i folgt, stets zu ei geworden ist, wie wir noch heute schreiben. Aber â ist zu æ̂, ô zu œ̂ (mittelniederdeutsch meist o geschrieben), û zu ü̂ (mittelhochdeutsch iu, mittelniederdeutsch meist u geschrieben), au (althochdeutsch und mittelhochdeutsch ou) zu eu (äu, spätalthochdeutsch und mittelhochdeutsch öu), uo zu üe umgelautet worden; vgl. «Schäfer» zu «Schaf», «böse» zu «Bosheit», mittelhochdeutsch hiuser «Häuser» zu hûs «Haus», «Bäume» zu «Baum», mittelhochdeutsch güete «Güte» zu guot «gut». Ausgegangen ist der Umlaut von Niederdeutschland, wo er durch sprachliche Berührung mit den Friesen und den nachmaligen Angelsachsen, die ihn schon im 6. Jahrh. hatten, platzgegriffen hatte. Erst allmählich hat er sich über Mittel- und Oberdeutschland ausgebreitet. Desgleichen kann man die einzelnen Phasen des Umlauts selbst beobachten. Er hat zuerst das kurze a ergriffen und zuletzt die Diphthonge. Für Niederdeutschland hat man Grund anzunehmen, daß der Umlaut bereits im 8. Jahrh. in allen Fällen eingetreten war, wenn auch nur der Umlaut des kurzen a regelmäßig als e schriftlichen Ausdruck gefunden hat – das übernommene lat. Alphabet hatte eben für ö und ü keine Buchstaben. Auch im Hochdeutschen findet der Umlaut des kurzen a seit der Mitte des 8. Jahrh. schriftliche Bezeichnung und ist auch damals erst in Oberdeutschland durchgedrungen (ob auch bei den Langobarden ist nicht sicher); seit dem Ende des 10. Jahrh. läßt sich der Umlaut der übrigen Vokale selbst in Oberdeutschland nachweisen. Je weiter derselbe aber nach Süden vorgedrungen ist, um so mehr Einschränkungen hat er erfahren, die erst im Laufe der Zeit aufgehoben wurden. Doch noch heute bewahrt unsere Sprache das nicht umgelautete u in «drucken» (eigentlich dasselbe Wort wie «drücken»), au in «glauben», «kaufen», «Haupt», alles oberdeutsche Lautformen, die im Mitteldeutschen Umlaut aufweisen. – Seit dem 10. Jahrh. hat man angefangen,