Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

78

Deutsche Sprache (Geschichte)

Vokalen wie ch (ehemals wie jetzt im Norddeutschen); der Norddeutsche spricht b, d, g stimmhaft und zwar g zwischen Vokalen als Reibelaut; im Wortauslaut spricht man b und d überall wie p und t, aber auslautendes g wird in Nord- und Mitteldeutschland wie ch gesprochen, nur im Oberdeutschen wie k; es scheint, als ob die oberdeutsche Sprechweise in allen Fällen die meiste Aussicht hat, künftig herrschend zu werden; 7) die Aussprache des s vor Vokalen (in Norddeutschland stimmhaft, in Mittel- und Süddeutschland jetzt stimmlos); 8) die Aussprache des w (norddeutsch labiodental, mitteldeutsch bilabial, oberdeutsch beides); 9) die Aussprache des auslautenden r (schwankend zwischen r, ch und einem landschaftlich verschieden gefärbten, vokalischen Ersatzlaute); 10) die Aussprache des r vor t, d, s, sch, n oder l; 11) die Aussprache von kn, gn, kl, gl. Es sind dies nur einige der wichtigsten lautlichen Unterschiede, die noch nicht ausgeglichen sind. Dazu kommen viele landschaftliche Eigenheiten, die auch als gut deutsch anerkannt werden, so die oberdeutschen Fortes, die bayr.-österr. Silbentrennung oder das nordwestdeutsche anlautende st und sp. Schwieriger sind die analogistischen, syntaktischen und stilistischen, die Unterschiede in der Wortbildung und dem Wortschatze darzulegen, wo das Mitteldeutsche meist zum Norddeutschen stimmt. Der Süddeutsche «fragt», «fragte», «wob» und «buk», der Norddeutsche «frägt», «frug», «webte» und «backte». Jener «ist», dieser «hat» gestanden und gesessen. Im allgemeinen erkennt der Norddeutsche die süddeutschen Wörter an, die für ihn zumeist einen poet. Beigeschmack haben. Dem Süddeutschen aber ist die norddeutsche Redeweise unsympathisch. In Deutschland ist man weit davon entfernt, daß Berlin einmal in ähnlicher Weise in der Sprache ausschlaggebend werde wie für Frankreich Paris. Die Art der sprachlichen Ausgleichung zwischen Nord und Süd ist eine durchaus gesunde und gerechte. Ungesund aber ist die durch die Schule und ihren Grundsatz «Sprich wie du schreibst!» verschuldete, sich immer mehr geltend machende Tendenz, für die Aussprache in streitigen Fällen die übliche Orthographie als Norm zu betrachten. Nur insofern gewinnt allerdings die norddeutsche Aussprache stetig an Einfluß, die ja selbst bis zu einem gewissen Grade nur die buchstäbliche Aussprache der angenommenen hochdeutschen Schriftsprache ist. Abgesehen aber von der Aussprache wird die Heimat der gelesensten Schriftsteller für die Zukunft entscheiden, ob die sprachliche Eigenart des Nordens oder die des Südens mehr zur Geltung kommt.

Grammatische Litteratur. O. Behaghel, Die D. S. (Prag 1880); ders., Geschichte der D. S. (in Pauls «Grundriß der german. Philologie», Bd. 1, Straßb. 1891, S. 526‒633); J. Grimm, Deutsche Grammatik (Bd. 1, Gött. 1819; 3. Aufl. 1840; Bd. 2‒4, 1826, 1831 u. 1837; neuer Abdruck Bd. 1‒3, Berl. 1870, 1878 und Gütersloh 1890); W. Wilmanns, Deutsche Grammatik (Abteil. 1, Straßb. 1893; auf 4 Bde. berechnet); M. Heyne, Kurze Grammatik der altgerman. Sprachstämme (Bd. 1, 3. Aufl., Paderb. 1874); Fr. Kauffmann, Deutsche Grammatik. Kurzgefaßte Laut- und Formenlehre des Gotischen, Alt-, Mittel- und Neuhochdeutschen (Marb. 1888); Ad. Holtzmann, Altdeutsche Grammatik (Bd. 1, Lautlehre, 1. Abteil., Lpz. 1870; 2. Abteil., ebd. 1875); Fr. Kluge, Nominale Stammbildungslehre der altgerman. Dialekte (Halle 1886); O. Erdmann, Grundzüge der deutschen Syntax (Stuttg. 1886). W. Braune, Althochdeutsche Grammatik (2. Aufl., Halle 1891); ders., Abriß der althochdeutschen Grammatik, nebst mittelhochdeutschen, altsächs. und got. Paradigmen (ebd. 1891); M. Heyne, Kleine altsächs. und altniederfränk. Grammatik (Paderb. 1873); O. Behaghel und J. H. Gallee, Altsächs. Grammatik (1. Hälfte, Laut- und Flexionslehre, Halle und Leid. 1891). – Weinhold, Mittelhochdeutsche Grammatik (3. Aufl., Paderb. 1892); H. Paul, Mittelhochdeutsche Grammatik (3. Aufl., Halle 1889); A. Lübben, Mittelniederdeutsche Grammatik (Lpz. 1882); te Winkel, Geschichte der niederländ. Sprache (in Pauls «Grundriß», Bd. 1, S. 634‒722); J. Franck, Mittelniederländ. Grammatik (Lpz. 1883). – K. von Bahder, Grundlagen des neuhochdeutschen Lautsystems (Straßb. 1890): J. Kehrein, Grammatik der D. S. des 15. bis 17. Jahrh. (2. Aufl., Lpz. 1863).

Wörterbücher. O. Schade, Altdeutsches Wörterbuch (2. Aufl., Halle 1872‒82); G. E. Graff, Althochdeutscher Sprachschatz (6 Bde., Berl. 1834‒42; dazu alphabetischer Index von Maßmann, 1846); J. A. Schmeller, Glossarium saxonicum (Münch. 1840). – W. Müller und Friedr. Zarncke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch (4 Bde., Lpz. 1854‒66); M. Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch (3 Bde., ebd. 1872‒78); ders., Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch (4. Aufl., ebd. 1891); K. Schiller und A. Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch (6 Bde., Brem. 1875‒81); A. Lübben, Mittelniederdeutsches Handwörterbuch, vollendet von Chr. Walther (Norden und Lpz. 1888); E. Verwijs und J. Verdam, Middelnederlandsch Woordenboek (Haag 1885 fg.). – J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch (s. Deutsche Philologie); L. Diefenbach und E. Wülcker, Hoch- und niederdeutsches Wörterbuch der mittlern und neuern Zeit (Bas. 1885): D. Sanders, Wörterbuch der D. S. (2 Bde., Lpz. 1860‒65); ders., Handwörterbuch der D. S. (4. Aufl., ebd. 1888); Weigand, Deutsches Wörterbuch (2 Bde., 4. Aufl., Gieß. 1882); M. Heyne, Deutsches Wörterbuch (Bd. 1‒3, 1, Lpz. 1890‒93); Fr. Kluge, Etymolog. Wörterbuch der D. S. (5.Aufl., Straßb. 1893).

2) Geschichte der geschriebenen und gedruckten D. S. Geschrieben hat man in D. S., abgesehen von einigen Runeninschriften, seit der Mitte des 8. Jahrh. Doch bis zum Beginn des 18. Jahrh. wurde auch lateinisch geschrieben. Im 10., 11. und noch bis in die zweite Hälfte des 12. Jahrh. hinein herrschte, wie in Italien, Frankreich und England und wie nachmals im 17. Jahrh., die lat. Sprache in der Poesie, zumal in der Lyrik. Aus der ersten Hälfte des 13. Jahrh. stammen das erste Rechtsbuch und erste Geschichtswerk in D. S. Bis um 1300 wurden die Urkunden in lat. Sprache abgefaßt. Aber schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. begann die lat. Sprache aus dem kleinen jurist. Geschäftsverkehr in Stadt und Land, wie aus den diplomat. Aktenstücken verdrängt zu werden. Deutsche Urkunden schrieb man in Oberdeutschland seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. (1238 erste deutsche Kaiserurkunde), in Mittel- und Niederdeutschland seit der ersten Hälfte des 14. Jahrh., östlich von der Saale und Elbe erst seit der Mitte des 14. und seit dem Anfang des 15. Jahrh. Im 16. Jahrh. führte der Humanismus Latein als Litteratursprache wieder ein. Deutsche Gelehrte, die ihre Bücher in D. S. zu schreiben wagten, wurden deshalb von den eigenen Landsleuten angegriffen.