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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutsch-Französischer Krieg von 1870 und 1871

tionalgefühl mächtig auf; alle bisherige Parteiung war bei dem Gewaltschritte Frankreichs plötzlich verstummt. Die süddeutschen Fürsten befahlen die Mobilmachung ihrer Truppen, der König von Bayern schon 16. Juli, ebenso der Großherzog von Baden, der König von Württemberg 17. Juli. So war die gesamte deutsche Heereskraft vertragsmäßig unter dem einheitlichen Oberbefehl des Königs von Preußen gegen den Feind aufgeboten. Napoleon hatte erwartet, daß die süddeutschen Staaten neutral bleiben würden. Durch das einmütige Zusammenstehen von ganz Deutschland hatte er eine Macht zu bekämpfen, der die seinige, die nicht einmal die des Norddeutschen Bundes erreichte, durchaus nicht gewachsen war.

Die Mobilmachung der deutschen Heere geschah planmäßig, d. h. man ließ sich Zeit, durch Einberufung der Reserven und durch weitere Aushebung von Pferden die Truppenteile auf die volle Kriegsstärke zu bringen. Erst nachdem das vollendet, wurde der Aufmarsch an der Grenze vollzogen.

Die Kriegsmacht Deutschlands betrug: in erster Aufstellung zu den Operationen 447000 Mann, in Deutschland als erste Reserve zum Nachrücken bereit 188000 Mann, als zweite Reserve 160000 Mann Landwehr und 226000 Mann Ersatztruppen, im ganzen 1021000 Mann. Die größte Effektivstärke des deutschen Heers betrug und zwar gegen Ende des Krieges (1. März 1871) mit Einschluß der Ärzte und Beamten 1350787 Mann, von denen auf franz. Boden 464221 Mann Infanterie, 55562 Reiter und 1674 Geschütze an Feldtruppen, sowie 105072 Mann Infanterie, 5681 Reiter und 68 Geschütze an Besatzungstruppen standen.

Das deutsche Heer war dem französischen fast in jeder Hinsicht überlegen; jedoch stand das Zündnadelgewehr und das umgeänderte bayr. Gewehr hinter dem Chassepotgewehr weit zurück. Durch die vortreffliche Heeresorganisation war die ganze Volkskraft zur unerschöpflichen Quelle des Ersatzes für das Heer geworden, dem immer nur vollständig ausgebildete Mannschaften zugeführt wurden; gute Militärschulen, das Institut der Einjährig-Freiwilligen und die Einführung von Reserveoffizieren sorgten für den Ersatz des Offizierkorps und bewirkten eine umsichtige Führung auch der kleinsten Abteilungen im Gefecht; die Feldverwaltung war nach den Erfahrungen von 1866 auf das zweckmäßigste eingerichtet; der Generalstab stand auf der Höhe seiner Bestimmung; vor allem aber war es die meisterhafte obere Heeresleitung, die den Sieg in einer beispiellosen Weise an die deutschen Fahnen fesselte, und die feste, umsichtig vorbereitete Politik des Bundeskanzlers, welche fremde Einmischung fern hielt und die Waffenerfolge ausnutzte.

Die Ordre de bataille teilte das Heer in drei Armeen. Die erste (General von Steinmetz): 7. und 8. Armeekorps, 3. Kavalleriedivision (bald folgten noch das 1. Armeekorps und die 1. Kavalleriedivision); Versammlungsraum: untere Saar bis Saarlouis. Die zweite (Prinz Friedrich Karl von Preußen): Garde, 3., 4., 9., 10., 12. Armeekorps, 5. und 6. Kavalleriedivision (bald folgte noch das 2. Armeekorps); Versammlungsraum: obere Saar, Saarlouis, Saarbrücken, Saargemünd. Die dritte (Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen): 5., 11., 1. und 2. bayr. Armeekorps, württemb. und bad. Felddivision, 4. Kavalleriedivision (bald folgten noch das 6. Armeekorps und die 2. Kavalleriedivision); Versammlungsraum: zu beiden Seiten des Rheins, um Landau und Karlsruhe.

Die Stärke der Armeen war folgende:

1. Armee 75 Bataillone, 64 Schwadronen, 270 Geschütze,

2. " 181 " 156 " 630 "

3. " 153 " 134 " 576 "

Außerdem stand in Norddeutschland unter General Vogel von Falckenstein eine starke Reservearmee.

Anders gestalteten sich die Verhältnisse in Frankreich. Napoleon hatte sich mit dem Plane einverstanden erklärt, möglichst schnell eine starke Armee in Süddeutschland einfallen zu lassen, auf dessen Abfall er rechnen zu dürfen glaubte. Wenn dies geschehen, hoffte man französischerseits auch Österreich und sogar Italien zu einem Bündnis gegen den Norddeutschen Bund veranlassen zu können. Die treue Haltung der süddeutschen Staaten und die raschen Waffenerfolge auf deutscher Seite vereitelten die Napoleonischen Pläne.

Die natürlichen Versammlungspunkte der Franzosen waren Metz und Straßburg. Bei Metz glaubte der Kaiser 150000, bei Straßburg 100000 Mann zusammenziehen zu können, um mit ihnen den Rhein zu überschreiten und sie auf dem rechten Ufer zu vereinigen. Im Lager von Châlons sollte eine Reservearmee von 50000 Mann sich versammeln, außerdem beabsichtigte man den Dänen ein Landungskorps von 30000 Mann zu Hilfe zu senden, da man auf ihre Hilfe mit Sicherheit zählte.

Kein einziger Teil dieses Operationsplans kam zur Ausführung. In aller Hast wurden die auf dem Friedensstande befindlichen franz. Truppen nach Metz und Straßburg geworfen. Hier aber mußten sie vorläufig unthätig bleiben, da sie hier ihre Mobilmachung zu vollenden hatten, die sich sehr unregelmäßig vollzog. Die franz. Reservisten mußten erst den Ort aufsuchen, wo sich das Depot ihres Truppenteils befand, hier wurden sie eingekleidet und ausgerüstet, dann erst suchten sie ihre Regimenter auf, deren augenblicklicher Aufenthaltsort meist nur sehr unbestimmt angegeben werden konnte. Alles das geschah in übereilter Weise. Von den 8 franz. Armeekorps, welche die Ordre de bataille aufstellte, war nur das 2. im Lager von Châlons unter General Frossard bereits versammelt, es wurde alsbald nach der Grenze transportiert und 22. Juli bis westlich von Saarbrücken vorgeschoben. Hier stand ihm nur eine schwache preuß. Truppenabteilung gegenüber, die aber in sehr geschickter Weise den Gegner über die eigenen Absichten völlig täuschte. Frossard unternahm nichts Ernstes. Das 3. Armeekorps (Bazaine) folgte nach St. Avold, das 5. (Failly) nach Saargemünd, das 4. (Ladmirault) nach Thionville, die Garden nach Metz, das 1. Armeekorps (Marschall Mac-Mahon) nach Straßburg, das 7. (Felix Douay) nach Belfort, das 6. (Marschall Canrobert) nach dem Lager von Châlons.

Bei der Aufstellung der Ordre de Bataille der beiden sich gegenüberstehenden Heere treten folgende grundsätzliche Verschiedenheiten hervor. Die Deutschen gaben jeder Infanteriedivision ein leichtes Kavallerieregiment bei und bildeten aus den überschießenden Regimentern selbständige Kavalleriedivisionen, die bis auf diejenigen der Garde und des 12. Armeekorps von Beginn des Krieges an der obersten Heeresleitung unterstellt waren, während die Franzosen jedem Armeekorps eine Kavalleriedivision beigaben und nur einzelne Schwadronen auf bestimmte Zeit zu den Infanteriedivi-^[folgende Seite]