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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutschland und Deutsches Reich (Staatsrechtliches)

besondere hinsichtlich des Heer-, Post-, Telegraphen- und Eisenbahnwesens, der Bierbesteuerung, innerhalb des Bundes Sonderrechte vorbehalten.

Die Staatsgewalt des Deutschen Reichs äußert sich, wie jede Staatsgewalt, formell in doppelter Beziehung, nämlich teils als gesetzgebende, teils als vollziehende Gewalt; ihrem Gegenstande nach aber beziehen sich die materiellen Rechte der Reichsgewalt teils auf die innern Verhältnisse des Reichs, teils auf dessen äußere (auswärtige) Angelegenheiten. Das Recht der Gesetzgebung übt die Reichsgewalt innerhalb des Reichsgebietes nach Maßgabe des Inhalts der Reichsverfassung. Dieses Recht aber steht der Reichsgewalt teils ausschließlich, teils unter einer gewissen Konkurrenz der Einzelstaaten zu. In betreff einer großen Anzahl von Angelegenheiten übt das Reich nämlich nicht das ausschließliche, sondern nur ein mit dem der Einzelstaaten konkurrierendes, dann aber der Landesgesetzgebung vorgehendes Recht der Gesetzgebung.

Die vollziehende oder Regierungsgewalt des Reichs bezieht sich teils auf die innern, teils auf die auswärtigen Angelegenheiten desselben. Auf dem erstgenannten Gebiete steht der Reichsgewalt teils ein ausgedehntes Recht der Überwachung (s. oben I.), teils ein unmittelbares Recht der Verordnung und der Verwaltung zu. Eine unmittelbare Verwaltung hat die Reichsgewalt hinsichtlich mehrerer, zugleich auch der Gesetzgebung des Reichs unterliegenden Gegenstände, nämlich in betreff des Militär- und Marinewesens, der Erhebung und Verwaltung der gemeinschaftlichen Zölle und Verbrauchssteuern, der Reichsanleihen und übernommenen Reichsgarantien, des Post- und Telegraphenwesens; indes steht dieses Recht bezüglich einiger der gedachten Gegenstände der Reichsgewalt nicht ausschließlich, sondern nur unter Mitwirkung der Einzelstaaten zu. Ausschließlich durch die Reichsgewalt erfolgt die Regelung und Leitung der auswärtigen Verhältnisse des Reichs sowie der Marine.

III. Bezüglich der Zuständigkeit der der Reichsgewalt unterliegenden Gegenstände kommt hauptsächlich folgendes in Betracht:

1) Die auswärtigen Verhältnisse des Reichs. Die völkerrechtliche Vertretung des Reichs gebührt ausschließlich dem Kaiser, der das Recht hat, im Namen des Reichs Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und andere Verträge mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen. Zur Erklärung des Krieges im Namen des Reichs ist jedoch die Zustimmung des Bundesrats erforderlich, es sei denn, daß ein Angriff auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten erfolgt. Was die Verträge mit fremden Staaten betrifft, so bedarf es hinsichtlich solcher, die sich auf zum Bereiche der Reichsgesetzgebung gehörige Gegenstände beziehen, zu ihrem Abschlusse der Zustimmung des Bundesrats und zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung des Reichstags (Art. 11 der Reichsverfassung), d. h. sie unterliegen den ordentlichen Formen der Gesetzgebung. Über die allerverschiedensten, teils hochpolitischen, teils rein wirtschaftlichen Dinge sind Staatsverträge des Reichs mit andern Staaten der Welt in allen Erdteilen in Kraft. Neuerdings haben die Deutschen Kolonien (s. d.) im Organismus des Reichs erhebliche Bedeutung gewonnen; ihre Rechtsverhältnisse wurden geordnet durch Gesetze vom 17. April 1886, 31. Juni und 7. Juli 1887, 15. März 1888, 2. Febr. 1889; dazu kommen noch Gesetze über die vom Reich einzurichtende oder zu unterstützende Postdampferverbindung mit Australien, Ostasien, Ostafrika vom 1. Febr. 1890, 6. April 1885, 27. Juni 1887, 20. März 1893.

2) Die Grundzüge der Reichskriegsverfassung sind in der Reichsverfassung festgestellt, namentlich im Abschn. XI, der von dem Reichskriegswesen, und im Abschn. IX, der von der Reichskriegsmarine handelt. Die Vorschriften des Abschn. XI kommen jedoch verfassungsgemäß in Bayern nur nach näherer Bestimmung des Bündnisvertrags vom 23. Nov. 1870 unter III, §. 5, und in Württemberg nur nach näherer Bestimmung der Militärkonvention vom 21./25. Nov. 1870 zur Anwendung. Mit allen übrigen Einzelstaaten hat Preußen besondere Militärkonventionen über die Ausführung der Bestimmungen der Reichsverfassung über das Reichskriegswesen abgeschlossen, durch welche in allen wesentlichen Beziehungen die Einheitlichkeit mit den preuß. Heereseinrichtungen herbeigeführt worden ist. Die gesamte Landmacht des Reichs bildet ein einheitliches Heer (Art. 63, Abschn. 1). Da die Durchführung dieses Grundsatzes durch die Herstellung der Einheitlichkeit in der Militärgesetzgebung und in der Organisation des Reichskriegswesens bedingt wird, so hat auch der Art. 4, Nr. 14 der Reichsverfassung vorgeschrieben, daß das Militärwesen des Reichs und die Kriegsmarine der Beaufsichtigung des Reichs und der Gesetzgebung desselben unterliegen, und auf dem Gebiete der Militärgesetzgebung ist die verfassungsmäßig vorgesehene Einheitlichkeit durch das Reichsmilitärgesetz vom 2. Mai 1874 nebst den Gesetzen vom 6. Mai 1880, 31. März 1885, 11. März 1887, 11. Febr. 1888, 27. Jan. 1890 und 3. Aug. 1893, betreffend Ergänzungen und Abänderungen des Gesetzes vom 2. Mai 1874, hergestellt worden, an welche Gesetze sich das Gesetz über den Landsturm vom 12. Febr. 1875, jetzt ersetzt durch die Vorschriften des Gesetzes vom 11. Febr. 1888, und das Gesetz vom 15. Febr. 1875, betreffend die Ausübung der militär. Kontrolle über die Personen des Beurlaubtenstandes, die Übungen derselben, sowie die gegen sie zulässigen Disciplinarstrafmittel, anschließen. Auch ist das Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872 ergangen. Dazu kommen noch zahlreiche Specialgesetze über einzelne Seiten des Militärwesens, insbesondere über Quartier- und Naturalverpflegung, über Kriegsleistungen, Pensionswesen, Versorgung von Witwen und Waisen u. a. m. Die Kosten und Lasten des gesamten Kriegswesens sind, nach Art. 58 der Reichsverfassung, von allen Staaten und deren Angehörigen gleichmäßig zu tragen; von Bayern soll jedoch dieser Verpflichtung nur in der Art entsprochen werden, daß dasselbe die Kosten und Lasten seines Kriegswesens ausschließlich und allein trägt. Die Durchführung dieser Sätze geschieht in der Weise, daß alljährlich durch den Staatshaushaltsetat des Reichs alle Kosten für das Militärwesen festgestellt und dieselben aus den Mitteln des Reichs bestritten werden; für Bayern wird im Reichsetat nur eine Pauschsumme bewilligt, deren Verwendung im einzelnen durch die bayr. Landesgesetzgebung geordnet wird. Den Oberbefehl über die gesamte Landmacht des Reichs im Kriege und Frieden hat die Reichsverfassung (Art. 63, Abschn. 1) dem Kaiser übertragen. Diese Bestimmung findet indes auf Bayern im Frieden keine Anwendung, dessen