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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutschland und Deutsches Reich (Geschichte 1815-66)

besonders schien sich auflösen zu wollen. Dem Abfall Italiens war die slaw. Agitation in Böhmen gefolgt, die im Juni zu blutigen Konflikten führte, über die der Gouverneur, Fürst Windischgrätz, erst nach mehrtägigem Kampfe (15. bis 17. Juni) durch rücksichtslose Energie Meister ward. Gleichzeitig bereitete sich in Ungarn eine ernste Krisis vor. Alles ließ sich zu einem blutigen Konflikt zwischen den Slawen unter Jellachich, dem Banus von Kroatien, und den Magyaren an, wozu beide Teile rüsteten. Inmitten dieser vielen Gefahren stieg als einziger Lichtpunkt der Sieg von Custozza auf, den Radetzky über König Karl Albert (25. Juli) erfocht und der den Anfang einer Restauration der österr. Verhältnisse bedeutete.

Preußen befand sich ebenfalls in bedenklicher Gärung, insbesondere die Hauptstadt. Rührige Agitatoren verfügten über die Massen, und es fehlte an zureichenden Mitteln, die demagogische Bewegung zu zügeln. Am 22. Mai ward die "Versammlung zur Vereinbarung der preuß. Verfassung" eröffnet; aber die Verfassungsarbeit kam nur sehr langsam in Gang. Das Ministerium trat, nachdem wiederholte Straßentumulte stattgefunden hatten, zurück und erhielt als Nachfolger (26. Juni) eine Verwaltung, deren Vorsitz Rudolf von Auerswald übernahm. Aber bald erhoben sich neue Verlegenheiten, die auch dieses Ministerium nicht bemeistern konnte. Während sich die verschiedenen liberalen Fraktionen gegenseitig aufbrauchten und die Straßendemagogie eine Reaktion im Volke hervorrief, begann sich zugleich das aristokratische und militär. Element des vormärzlichen Preußens wieder zu sammeln und in einzelnen Fällen bereits seine Macht zu zeigen. Zu diesen innern Verlegenheiten, die eine Krisis erwarten ließen, kam der Schleswig-Holsteinische Krieg, worin sich die Schwäche der preuß. Politik jener Tage am sprechendsten kundgab. Von vornherein war es ein innerer Widerspruch, daß der König, dem jede Empörung von Unterthanen gegen ihren Landesherrn ein Greuel war, die Aktion gegen Dänemark in die Hand genommen hatte. Anfang Mai hatten die Preußen die Grenze Jütlands überschritten und schienen den Krieg energisch führen zu wollen. Aber die jetzt gestellte Forderung des Bundestags auf Einverleibung Schleswigs in den Deutschen Bund verschlimmerte die diplomat. Situation. Dänemark fand Schutz bei Rußland, das stark auf Preußen drückte und Schweden ermutigte, die dän. Inseln zu besetzen. Das Angebot der engl. Vermittelung, die Klagen des preuß. Handelsstandes über den Schaden, den ihm die dän. Blockade zufügte, die drohende Verwicklung mit Rußland und Schweden führten Preußen Ende Mai zu dem Entschluß, Jütland zu räumen. Die Dänen rückten nach, wurden indes bis Ende Juni aus Schleswig wieder hinausgeworfen. Währenddem begannen die Waffenstillstandsunterhandlungen zwischen Preußen und Dänemark auf Grund des engl., dann auch von Schweden empfohlenen Vorschlags, für beide Herzogtümer eine von Deutschland und Dänemark gemeinschaftlich gebildete Regierung einzusetzen. Die von dem inzwischen gewählten Reichsverweser noch hinzugefügten Bedingungen drohten den Abschluß zu erschweren. Da wies Preußen seinen Unterhändler an, die Verhandlung nicht an jenen Bedingungen scheitern zu lassen. So kam der auf 7 Monate geschlossene Waffenstillstand von Malmö (26. Aug.) zu stande. Zugleich setzte man eine gemeinschaftliche Regierung für die Herzogtümer (aus 5 Eingeborenen bestehend, darunter der als Träger des dän. Systems verhaßte Graf Moltke) ein, deren Mitglieder teils Dänemark, teils der Deutsche Bund ernannte, und hob alle seit 17. März erlassenen Gesetze auf. Ohne bei der Frankfurter Centralgewalt anzufragen, ratifizierte man in Berlin den Vertrag.

Damit trat für die Deutsche Nationalversammlung ein Wendepunkt ein. Nach den stolzen und kriegerischen Erklärungen, die das Reichsministerium 31. Juli über die Wiedereröffnung der Feindseligkeiten im Parlament abgegeben hatte, machte der Waffenstillstand den niederschlagendsten Eindruck, um so mehr, als das Reichsministerium selbst zugab, daß er von den Bedingungen mehrfach abweiche, zu deren Feststellung es Preußen ermächtigt hatte. Dieser Eindruck gab sich auch in der Nationalversammlung kund, als sie 5. Sept. auf den Bericht Dahlmanns mit 17 Stimmen Majorität, aber gegen die Stimmen der eigenen Partei Dahlmanns beschloß, die Ausführung des Waffenstillstands zu sistieren. Das Reichsministerium gab sofort seine Entlassung, und der Reichsverweser beauftragte Dahlmann mit der Bildung eines Ministeriums; aber aus seinen bisherigen Gegnern konnte und wollte er nicht seine Ministerkollegen auswählen. Am 14. Sept. begannen von neuem die Beratungen über den Waffenstillstand, und da eine Fortsetzung des Krieges ohne Preußen unmöglich erschien, wurde 16. Sept. mit 258 gegen 237 Stimmen der Waffenstillstand genehmigt. Die Erbitterung hierüber wußte die radikale Partei zu benutzen. Am 17. Sept., einem Sonntag, fand auf der Pfingstweide bei Frankfurt eine große Volksversammlung statt, welche Rücknahme jenes Beschlusses forderte und die 258 Abgeordneten für Volksverräter erklärte. In der Nacht ließ das Reichsministerium, das durch die Abstimmung vom 16. Sept. wieder befestigt war, Truppen von Mainz herbeikommen, um das Parlament gegen etwaige Überfälle zu schützen. In der That kam es 18. Sept. zu einem Aufstand, in welchem zwei Abgeordnete des Parlaments, General von Auerswald und Fürst Felix Lichnowsky, getötet wurden, die Centralgewalt jedoch Siegerin blieb. Wenige Tage später brach Struve mit einer Schar von Flüchtlingen in das bad. Oberland ein (21. Sept.) und proklamierte in Lörrach die Republik. Schon 24. Sept. wurde er jedoch in Staufen vom bad. Militär unter General Hoffmann angegriffen, seine Schar zersprengt und er selbst auf der Flucht gefangen genommen. Der Versuch, den Rau in Württemberg machte, ging gleichzeitig ohne gewaltsame Erschütterung vorüber.

In Frankfurt war durch die letzten Vorgänge die gegenseitige Erbitterung der Parteien beträchtlich gestiegen, das Ansehen der Versammlung selbst sichtbar erschüttert. Wohl drang jetzt allerwärts die Einsicht durch, daß das zu lange verzögerte Verfassungswerk rascher betrieben werden müsse; aber es war die Frage, ob das Parlament die Macht noch habe, es zum Ziele zu führen. Denn eben jetzt begannen die alten Autoritäten in Österreich wie in Preußen ihre ersten Erfolge zu erringen. In Österreich war es zum Bruch zwischen den Magyaren und Kroaten gekommen. Jellachich setzte sich mit Heeresmacht gegen Ungarn in Bewegung, wo Kossuth die Leitung des Ministeriums übernahm und mit aller Energie zu rüsten begann. Graf