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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutschland und Deutsches Reich (Geschichte 1815-66)

aber Österreich und Preußen 16. Mai zu gegenseitigem Beistande zum Schutz aller ihrer Länder.

Daß dadurch eine wirkliche Eintracht nicht wiederhergestellt war, gab sich bei vielen Anlässen auch am Bundestage kund. Am meisten Einigkeit zeigte sich noch in dem Wetteifer einer reaktionären Politik. Der Bund hob die Grundrechte und die aus diesen abgeleiteten Verfassungsbestimmungen auf. In Österreich wurde die nie ins Leben eingeführte Verfassung vom 4. März 1849 durch die kaiserl. Erlasse vom 20. Aug. und 31. Dez. 1851 außer Wirksamkeit gesetzt und nur dasjenige beibehalten, was die Centralisierung der Monarchie begünstigte. In Preußen wollte zwar der König sich nicht dazu verstehen, die von ihm beschworene Verfassung von 1850 umzustoßen; allein die Regierung interpretierte sie in ihrer Anwendung stets in reaktionärstem Sinne und stärkte durch weitgehende Auslegungen die Macht der Bureaukratie. In den meisten übrigen Staaten ersetzte man die liberalen Ministerien von 1848 durch reaktionäre, löste die Kammern jener Zeit auf und veränderte die Wahlgesetze oder octroyierte neue, und die Reaktion entwickelte überall eine ungeduldige und rührige Thätigkeit. Auf Betreiben der Großmächte wählte der Bundestag den sog. Reaktionsausschuß, der über die Übereinstimmung der Landesverfassungen mit den Grundgesetzen des Bundes wachen sollte. Sein merkwürdigstes Probestück legte der Bundestag an Kurhessen ab. Im Juli 1851 wurde durch einfache Verordnungen der Kommissare der Großmächte die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit der Staatsdiener aufgehoben, die vormärzliche Verwaltung wiederhergestellt, die Zusammenberufung der Stände bis zur völligen Regulierung der Verfassungsverhältnisse für unzulässig erklärt, die Gerichtsorganisation umgestaltet und schließlich (März 1852) die ganze Verfassung von 1831 samt dem Wahlgesetze von 1849 durch Bundesbeschluß außer Wirksamkeit gesetzt. Dem Kurfürsten blieb es dann überlassen, eine neue Verfassung zu publizieren, was auch im April 1852 geschah. Es war ihm auch aufgetragen, die Erklärung der Stände über die Verfassung einzuholen, und hierbei begannen sogleich zwischen dem herrschenden Willkürregiment und der Scheinvertretung, die es sich berufen, neue Konflikte, während Beschränkungen, Verfolgungen und Tendenzprozesse fortdauerten und das Land an Bevölkerung und Wohlstand immer mehr abnahm. Zu der Auswanderung, die 1852-54 ihren Höhepunkt erreichte, stellte Kurhessen ein beträchtliches Kontingent.

Das Seitenstück zu diesem Siege der Restauration bildete der Ausgang der schlesw.-holstein. Verwicklung. Dänemark, sobald ihm die Herzogtümer wieder ausgeliefert worden waren, zeigte sich unnachgiebig. Die beiden deutschen Großmächte erklärten gleichwohl ihre Bereitwilligkeit, sich zufriedenzugeben und sich selbst an einer Garantie der dän. Integrität zu beteiligen, wenn nur die Verhältnisse Holsteins zum Bunde geregelt, Schleswig weder ausdrücklich noch thatsächlich in Dänemark inkorporiert und Provinzialstände in beiden Herzogtümern hergestellt würden. Auch Rußland unterstützte diese gemäßigten Forderungen. Als darauf hin das neue dän. Ministerium (28. Jan. 1852) zwar die Herstellung einer gemeinsamen Verfassung für die ganze Monarchie zur Behandlung der gemeinsamen Angelegenheiten als sein Programm verkündigte, im übrigen aber für Schleswig und Holstein-Lauenburg besondere Ministerien, eine ständische Vertretung mit beschließender Autorität und Gleichberechtigung der deutschen und der dän. Nationalität verhieß, fanden sich Österreich und Preußen damit befriedigt, zogen ihre Truppen heraus, und auch der Bundestag gab 29. Juli seine Einwilligung. Indessen hatte die europ. Konferenz zu London, nachdem der Herzog von Augustenburg ohne Zustimmung seiner Verwandten die ihm von Dänemark gebotene Entschädigung angenommen, über Schleswig und Holstein verfügt und in dem Protokoll vom 8. Mai ein neues Erbrecht aufgestellt, das der Glücksburger Linie die Thronfolge zusprach und die Herzogtümer für immer an Dänemark ketten sollte. Österreich und schließlich auch Preußen hatten zugestimmt, während die Mehrzahl der übrigen Bundesglieder doch vor diesem unpopulären Schritte zurückscheute. Dagegen wurde die deutsche Flotte, deren Anfänge die J. 1848 und 1849 geschaffen hatten, der Restaurationspolitik geopfert und nach langen Beratungen ihre Auflösung März 1852 beschlossen. Einige der größern Schiffe kaufte Preußen, der Rest ward versteigert.

Inzwischen waren auch die handelspolit. Verhältnisse in eine eigentümliche Krisis getreten. Am 7. Sept. 1851 hatte Preußen mit Hannover einen für letztern sehr vorteilhaften Vertrag über Vereinigung des Steuervereins mit dem Zollverein abgeschlossen. Preußen kündigte nun (Nov. 1851) den Zollverein, aber, wie es zugleich offiziell erklärte, nur um auf den (Frühjahr 1852) nach Berlin einberufenen Zollkonferenzen die Wiederherstellung des Vereins auf Grundlage des Vertrages mit Hannover vorzunehmen. Der Grund für Preußens entschiedenes Vorgehen war das neuerdings hervortretende Bestreben des österr. Restaurationsministeriums, Preußens alleiniges Übergewicht in der Handelspolitik zu brechen und jener "mitteleuropäischen" Machtstellung Österreichs, die durch die Erfolge in Olmütz und Frankfurt politisch gewonnen schien, in einer engern wirtschaftlichen Verknüpfung eine feste Stütze zu schaffen. Der Versuch, diese Frage am Bundestag zur Entscheidung zu bringen, gelang jedoch nicht, und so berief denn das österr. Ministerium einen Zollkongreß der deutschen Staaten nach Wien (Jan. 1852), an dem, außer Preußen, Hannover und einigen kleinern Staaten, die Mehrzahl der Zollvereinsmitglieder teilnahm. Zwar kam es hier zu keiner Einigung, aber immerhin verpflichteten sich Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, die beiden Hessen und Nassau 6. April zu Darmstadt, bei den Verhandlungen mit Preußen darauf zu bestehen, daß gleichzeitig mit der Erneuerung des Zollvereins auch über eine Verständigung mit Österreich verhandelt werde. Preußen aber bestand darauf, daß das erstere vorangehen müsse. Als die Verhandlungen darüber sich bis zum Herbst ergebnislos hinzogen, brach Preußen sie ab, gab indes schließlich doch so weit nach, daß es, falls man vorläufig von dem Princip einer völligen Zolleinigung absähe, sich bereit zeigte, über einen Handels- und Schiffahrtsvertrag mit Österreich in Unterhandlung zu treten. Nicht ohne Einfluß auf die Verständigung der beiden Großmächte waren die bedenklichen Fortschritte Napoleons in Frankreich gewesen; auf Preußen wirkte auch bestimmend die neuerdings sich wieder mehr Österreich nähernde Haltung Hannovers. Am 19. Febr. 1853 kam es so zum Abschluß des preuß.-österr. Handelsvertrags auf Grundlage gegenseitiger Verkehrserleichterungen und Begünsti-^[folgende Seite]