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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutschland und Deutsches Reich (Geschichte 1866-71)

lehnen; er behandelte ihn also "dilatorisch". Napoleon aber knüpfte nun mit König Wilhelm von Holland Verhandlungen über den Verkauf von Luxemburg an, die Ende März 1807 dem Abschluß nahe waren. Jedoch die Antwort, die Bismarck auf eine Anfrage des Königs von Holland, und 1. April auf eine Interpellation Bennigsens im Norddeutschen Reichstag erteilte, gab maßvoll, aber deutlich zu verstehen, daß Preußen die Abtretung zu hindern entschloßen sei. Die franz. Kriegsdrohungen wurden mit der Veröffentlichung der süddeutschen Bündnisverträge beantwortet, und da die Heeresverfassung Frankreichs einer gründlichen Verbesserung bedürfte, so mußte Napoleon den Rückzug antreten. Durch die Vermittelung Rußlands kam eine Konferenz zu London zu stande, und diese unterzeichnete 11. Mai einen Vertrag, wonach Luxemburg als neutraler Staat bei Holland blieb, Preußen sein Garnisonsrecht aufgab, die Festung geschleift wurde, das Land im Zollverein blieb.

Zur weitern Einigung mit den süddeutschen Staaten schloß Bismarck mit diesen den Zollvertrag vom 8. Juli 1867, wodurch die Gesetzgebung über das gesamte Zollwesen durch die Mehrheitsbeschlüsse des Norddeutschen Bundesrats und Reichstags, in welche für diesen Fall die Vertreter Süddeutschlands einzutreten hatten, festgestellt werden sollte. Noch war die süddeutsche Bevölkerung für solche Einigungspläne nur teilweise empfänglich. In Baden und Hessen wurden die Verträge ohne Anstand angenommen. In Bayern sträubte sich die Reichsratskammer, in Württemberg die Abgeordnetenkammer. Nur mit Mühe wurde die Annahme durchgesetzt. Auch die Einführung der preuß. Heereseinrichtungen fand Schwierigkeiten. Nur Baden, das dem preuß. General Beyer das Kriegsministerium übertrug, schloß sich vollständig an das preuß. System an; Hessen hatte nach Abschluß seiner Militärkonvention keine Wahl mehr. Die unter ungeheurer Agitation und Aufregung vollzogenen Zollparlamentswahlen vom Febr. und März 1868 waren ein Maßstab für die polit. Stimmung Süddeutschlands. In Hessen siegte die nationale Partei, in Baden gleichfalls, jedoch mit geringer Mehrheit, in Württemberg wurde infolge der Koalition der Regierung mit Demokraten und Ultramontanen auch nicht ein einziger nationaler Kandidat gewählt, in Bayern errangen die antinationalen Parteien eine bedeutende Mehrheit. Daraus ergab sich von selbst als Programm des Zollparlaments: strenges Festhalten an der Kompetenz, unerbittliche Zurückweisung jedes Antrags auf Ausdehnung derselben, jeder Debatte über rein polit. Gegenstände. Dies hat denn auch die aus Ultramontanen und Demokraten zusammengesetzte "süddeutsche Fraktion" konsequent durchgeführt, und sie hat in den drei Sitzungen des Zollparlaments, die 27. April 1868, 3. Juni 1869 und 21. April 1870 eröffnet wurden, sich als den eifersüchtigsten Wächter des Buchstabens des Zollvertrags gezeigt. Weit heftiger noch war der Widerstand in den Landtagen gegen einen engern Anschluß an den Norddeutschen Bund. Die aus Demokraten und Großdeutschen bestehende Mehrheit der württemb. Abgeordnetenkammer agitierte noch im März 1870, nachdem die "Volkspartei" einen Adressensturm organisiert hatte, für Einführung eines Milizheers. In Bayern errangen bei den Abgeordnetenwahlen von 1869 die Klerikalen die Mehrheit; der Rücktritt des nationalgesinnten Ministerpräsidenten Fürsten Hohenlohe, der 1867 durch die Sendung Tauffkirchens nach Wien einen vergeblichen Versuch gemacht hatte, Österreich und Preußen einander zu nähern, wurde zur Notwendigkeit; die Patriotenmehrheit machte den Versuch, das ganze Militärwesen umzugestalten und Milizeinrichtungen einzuführen. In Baden dagegen, wo der Großherzog und die Kammermehrheit eines Sinnes waren, empfand man es schmerzlich, daß der Eintritt des Landes in den Norddeutschen Bund aus polit. Gründen noch nicht möglich war, denn Bismarcks ausgesprochene Absicht war es, jedes forcierte Vorgehen gegenüber den Südstaaten zu vermeiden und sie nicht durch die Aufnahme Badens zu verstimmen.

Im Norddeutschen Reichstag nahm die Arbeit an der freiheitlichen und nationalen Entwicklung des Bundesstaates ihren ungestörten Fortgang. Die Errichtung eines Bundesoberhandelsgerichts in Leipzig, die Einführung eines neuen Strafgesetzbuchs, die Unterstützung des Baues der Gotthardbahn wurden in den Sitzungen von 1869 und 1870 beschlossen. Frankreich gegenüber, das die Reorganisation seiner Armee aufs eifrigste betrieb, wurde eine maßvolle, aber entschlossene Sprache geführt. Eine Depesche Bismarcks vom 7. Sept. 1867 wies jede Einmischung in das Verhältnis zwischen Nord- und Süddeutschland aufs bestimmteste zurück, und ein franz. Versuch, die nordschlesw. Frage zu stellen, erhielt die gebührende Antwort. Den 1866 entthronten Fürsten war die preuß. Regierung 1867 durch Gewährung von Abfindungen bereitwillig entgegengekommen; aber als der Hof König Georgs von Hannover zu Hietzing ein Mittelpunkt welfischer Agitation wurde, als die zuerst in Holland errichtete Welfenlegion 1868 aus der Schweiz nach Frankreich übertrat und so die Verbindung mit Napoleon offen zu Tage lag, verfügte die preuß. Regierung die Beschlagnahme des Vermögens König Georgs. Die gleiche Maßregel mußte auch gegen den Kurfürsten von Hessen verfügt werden. In der That waren jene Jahre erfüllt von welfischen Umtrieben in Wien und Paris, und mehr noch: während Virchow im preuß. Abgeordnetenhause 1869 den Antrag auf Herbeiführung einer allgemeinen Abrüstung stellte, fanden zwischen Frankreich, Österreich und Italien Verhandlungen statt, die ihre Spitze gegen Preußen kehrten. Der Abschluß eines festen Dreibundes scheiterte an der von Napoleon zurückgewiesenen Forderung der Räumung Roms; aber zwischen Napoleon und dem Kaiser von Österreich kam es im Juni 1869 zu einem Einverständnis, welches dem erstern Österreichs Beistand zusicherte, falls Preußen an dem durch den Prager Frieden hergestellten Statusquo rührte.

Dazu kam nun, daß das Zollparlament die nationalen Hoffnungen nicht erfüllt hatte; Bayern und Württemberg schienen einer Lossagung vom Norden näher zu stehen, als einem Anschluß an denselben, und die extremen Elemente unter den Antinationalen scheuten sogar eine Verbindung mit Frankreich nicht. Aber über alle Erwartung hinaus kam der Umschlag. Die das deutsche Nationalgefühl verletzende Weise, mit der das franz. Kabinett die span. Thronfolgefrage behandelte, die Kriegserklärung vom 19. Juli und der siegreiche Krieg selbst (s. Deutsch-Französischer Krieg von 1870 und 1871) räumten die der Einigung Deutschlands entgegenstehenden Hindernisse weg und führten zum Abschluß der Versailler Verträge. Die überraschenden Waffen-^[folgende Seite]