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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Eid (juristisch)
oder Wahrnehmungen des Schwurpflichtigen der
E. regelmäßig dahin zu leisten, daß die bezügliche
Thatsache wahr oder nicht wahr sei; nur wenn die
Thatsache vom Gegner behauptet und dem Schwur-
pflichtigen nach den Umständen des Falles (z. B.
wegen Länge der Zeit) die Beschwörung der Wahr-
heit oder NichtWahrheit nicht zuzumuten ist, kann
das Gericht die Leistung des E. dahin zulassen, daß
man nach sorgfältiger Prüfung und Erkundigung
die Überzeugung erlangt oder nicht erlangt habe,
daß die Thatsache wahr sei. Die Anordnung
einer Eidesleistung steht dem Gericht zu. Ent-
sprechend der Natur des E. soll diese Anordnung
grundsätzlich durch bedingtes Endurteil (s. d.) und
die Eidesleistung selbst erst nach Eintritt der Rechts-
kraft des Urteils erfolgen. Nur in einigen Fällen
darf die Anordnung in Gestalt eines Beweis-
beschlusses oder bedingten Zwischennrteils (s. d.)
getroffen werden. Die Leistung des E. oder dessen
Erlasjung seitens des Gegners begründet vollen
Beweis der Veweisthatsache, welcher im erstern
Falle nur unter denselben Voraussetzungen, unter
welchen ein rechtskräftiges Urteil wegen Verletzung
der Eidespflicht anfechtbar ist, d. h. durch Nichtig-
keitsklage (s. d.), entkräftet werden kann. Die Ver-
weigerung der Eidesleistung hat zur Folge, daß
das Gegenteil der Beweisthatfache als voll be-
wiesen gilt. Wenn der Schwurpflichtige in dem
zur Eidesleistung bestimmten Termine nicht er-
scheint, so ist auf Antrag des Gegners durch Ver-
säumnisurteil (s. d.) auszusprechen, daß der E. als
verweigert anzusehen sei. Dem Schwurpflichtigen
steht frei, fich zur Leistung eines beschränktern E.
als des normierten zu erbieten. Unerhebliche Um-
stände, welche in die Eidesform aufgenommen find,
können berichtigt werden.
Alle bisher besprochenen E. werden vom Gericht,
von einer öffentlichen Behörde oder von einem öffent-
lichen Beamten abgenommen. Vor Gericht wird
auch der E. über die Verklarung (s. d.) geleistet.
Andere, früher üblich gewesene E. sind durch die
Gesetzgebung beseitigt: So der Gefährdeeid
(^n-amsmuin cHiumnias), welcher bei Beginn des
Prozesses zurVermeidungschikanöserProzeßführung
geschworen wurde; der Perhorrescenzeid, day
der schwörenden Partei der Prozeßrichter befangen
erscheine und das ^urarakiituiii cautionis, durch
welches eine unvermögende oder eine angesessene
Partei statt durch Bürgen oder Hinterlegung Sicher-
heit für die Kosten leistete. Das Mg. Landr. 1,14,
ߧ. 184, 194 läßt auch im Bürgerlichen Recht jura-
torische Kaution zu. Das will der Deutsche Ent-
wurf beseitigen. Beseitigt ist auch längst der Rei-
nigungseid im Strafverfahren, welchen ein durch
die Beweisaufnahme nicht von allem Verdacht ge-
reinigter Angeschuldigter zu schwören hatte. Er
sollte die Folter ersetzen. Heute kann nur das Straf-
verfahren eingestellt, oder wenn das Hauptverfahren
eröffnet ist, verurteilt oder freigesprochen werden.
Der Lehnseid, das eidliche Gelöbnis der Lehns-
treue, welches bei Lehnserneuerungen von dem
Vasallen oder in dessen Seele von einem Stell-
vertreter abgeleistet wurde, ist überall da gefallen,
wo die Oberlehnsherrlichkeit beseitigt ist.
Im Gebiet des gemeinen Bürgerlichen Rechts ist
der eidlichen Bestärkung einer Willenserklärung viel-
fach die Bedeutung beigelegt, daß dadurch an fich un-
gültige Willenserklärungen wirksam werden sollen.
Tas haben die neuern Gesetzgebungen beseitigt. Daß
eine Partei ihr Recht von einem außergericht-
lichen E. der Gegenpartei abhängig macht, kommt
kaum noch vor. Das Sächs. Bürgert. Gesetzbuch er-
klärt ein solches Abkommen sür nichtig.
Eine Versicherung an Eidesstatt kann der
Civilstandesbeamte nach dem Gesetz vom 6. Febr.
1875, §. 45, den Verlobten abnehmen. Sonst sind
derartige Versicherungen bei Ausstellung außer-
gerichtlicher Zeugnisse, bei Deklarationen zur Steuer
und in ähnlichen Fällen vielfach in Übung.
Als Erfordernisse der Eidesleistung stellt das
kanonifche Recht auf: a. veritHg iu in6ut6) d. ^u-
äicinin iu ^urauts, e. ^ustitia. in od^'ecto. Zu a:
Wahrhaftigkeit in der Seele verbietet jede Mental-
refervation, welche einen unausgesprochenen Vor-
behalt macht. Zu d: Urteilsfähigkeit des Schwören-
den (Eidesmündigkeit) schließt den E. Unmün-
diger, nach kanonischem Recht noch nicht 14jäh-
riger, nach den deutschen Prozeßgesetzen noch nicht
16 jähriger Personen aus. Altere Personen dürfen
den E. nicht leisten, wenn sie wegen mangelnder
Verstandesreife oder wegen Verstandesschwäche von
dem Wesen und der Bedeutung des E. keine ge-
nügende Vorstellung haben. Ebensowenig Betrun-
kene; deshalb sollten nach der ältern Praxis die E.
vormittags abgenommen werden. Personen, welche
wegen Meineids verurteilt wurden, ist nach dem
Strafgesetzbuch (H. 161), mit Ausnahme der Fälle
der §§. 157, 158, die Fähigkeit als Zeuge oder
Sachverständiger eidlich vernommen zu werden, ver-
sagt; einen zu- oder zurückgeschobenen und einen
richterlichen E., wenn ihm derselbe anvertraut wird,
kann solche Person schwören. Doch können Zu-
schiebung, Zurückschiebung und richterliche Auf-
erlegung einer Eidesleistung widerrufen werden
(nach Maßgabe der §§. 422, 432, 439 der Civil-
prozeßordnung). Zu e: Gerechtigkeit im Gegen-
stande, d. h. der E. soll nicht die Religion, die gute
Sitte oder ein Gesetz verletzen.
Der Eidesleistung (Beeidigung) hat eine
Anmahnung an die Heiligkeit des E. und eine Ver-
warnung vor dem Meineide durch den Richter vor-
herzugehen. Der E. wird von den Schwurpflichtigen
einzeln in Person geleistet. Die Norm des E. ist
nach der verschiedenen Bedeutung desselben ver-
schieden, die in dem Eingänge: "ich schwöre bei
Gott dem Allmächtigen und Allwissenden" und
dem Schluß "so wahr mir Gott helfe" enthaltene
religiöse Beteuerungsformel nach den deutschen
Prozeßordnungen für alle Arten von E. die gleiche
(Civilprozeßordn. §§. 440, 442, 443; Strafprozeß-
ordn. z§. 59, 60, 62, 72, 288; Gerichtsverfassungs-
gesetz ß. 51). Diese Formel eignet sich für die Mit-
glieder aller Religionsparteien, welche an einen
Gott glauben; die Zufügung weiterer konfessioneller
Bekräftigungsformeln ist für entbehrlich erachtet.
Die in Österreich durch Gesetz vom 3. Mai 1868
eingeführte, in ß. 171 der Strafprozeßordnung von
1873 in Bezug genommene wesentlich übereinstim-
mende Eidesformel ("ich schwöre bei Gott dem
Allmächtigen und Allwissenden einen reinen E. -
so wahr mir Gott helfe") soll zwar auch für alle
Schwurpflichtigen ohne Rücksicht auf das Reli-
gionsbekenntnis gelten; ß. 4 des angezogenen Ge-
setzes schreibt aber für Christen einerseits - mit
Ausnahme derjenigen, welche sich zur helvet.
Konfession bekennen - und Israeliten anderer-
seits besondere Feierlichkeiten vor. Die deutschen
Prozeßordnungen verlangen allgemein nur das
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