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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Evangelienharmonie; Evangelienseite; Evangelisation; Evangēlisch

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Evangelienharmonie - Evangelisch

Die Hauptschwierigkeit liegt darin, daß bald Matthäus, bald Markus das Ursprüngliche bietet, daher die Vertreter der Markushypothese bald einen Urmarkus angenommen haben, bald unsern Markus vom Urmatthäus und unsern Matthäus wieder von beiden abhängig sein ließen. Der Urmatthäus wurde gewöhnlich als bloße Spruch- oder Redensammlung vorgestellt, aus der neben unserm Matthäus auch Lukas geschöpft habe, wobei dann wieder Streit entstand, welcher von beiden die Quelle am treuesten benutze. Daneben blieb streitig, ob diese zweite Quelle auch Erzählungsstücke enthalten habe. Wahrscheinlich gab es von ihr eine doppelte Redaktion: eine ältere, wesentlich Redestücke enthaltend, die unserm Matthäus, eine jüngere, im streng ebionitischen Geiste (s. Ebioniten) gehaltene und zu einem vollständigen Evangelium erweiterte, die dem Lukas vorlag und wahrscheinlich auch die älteste Form des Hebräerevangeliums bildete. Neben dieser Redequelle wurde mit immer größerer Wahrscheinlichkeit eine Erzählungsquelle angenommen, die jedoch nicht als eine ältere Redaktion des kanonischen Markus (Urmarkus), sondern als eine nur ihrem histor. Rahmen nach und in der Leidensgeschichte im Markus, sonst aber vielfach im Matthäus treuer erhalten ist. Letzterer ist hiernach aus dieser Erzählungsquelle und der ältesten Redaktion der Redequelle hervorgegangen, während unser Markus aus einer Bearbeitung der Erzählungsquelle entstanden ist, Lukas aber, sei es eben diese letztere, sei es unsern kanonischen Markus mit der ebionitischen Quelle und schriftlichen oder mündlichen Überlieferungen aus paulinischen Kreisen kombinierte. (Vgl. P. Feine, Zur synoptischen Frage, in den «Jahrbüchern für prot. Theologie», 1886–88.) Die beiden Hauptquellen stammen noch aus der Zeit vor Zerstörung Jerusalems. Lukas scheint unter allen Synoptikern der jüngste zu sein, obwohl auch das Matthäusevangelium seine gegenwärtige Redaktion erst im 2. Jahrh. erhalten haben mag. Unmittelbar apostolisch ist jedenfalls kein einziges unserer Evangelien. Der ursprüngliche histor. Rahmen der evang. Erzählung ist relativ am treuesten bei Markus bewahrt, wogegen die Sprüche Jesu und eine Reihe einzelner Erzählungen meist bei Matthäus in ursprünglichster Gestalt aufbehalten sind. Doch fehlt es auch hier nicht an Ausnahmen. Am wenigsten unter allen tragen die Reden und Erzählungen des vierten Evangeliums einen geschichtlichen Charakter, wie denn die Unmöglichkeit, daß Johannes der Verfasser dieses Evangeliums sei, von Baur, Hilgenfeld, Köstlin, Scholten, Keim, Thoma gründlich erwiesen ist.

Evangelienharmonie, eine aus allen vier Evangelien zusammengearbeitete Darstellung der Geschichte Jesu. Die älteste Zusammenstellung dieser Art ist das sog. Diatessaron (d. h. durch Vier) des Tatianus (s. d.), das um 170 in griech. Sprache verfaßt, aber namentlich in syr. Gemeinden verbreitet und noch um die Mitte des 4. Jahrh. in Edessa gottesdienstlich verlesen wurde. Noch in der Zeit vor Fixierung des Kanons entstanden, scheint es den Text unserer Evangelien ziemlich frei behandelt zu haben und galt später für ketzerisch, daher der syr. Bischof Theodoret um 400 alle in seinem Sprengel verbreiteten Exemplare konfiszieren und durch unsere kanonischen Evangelien ersetzen ließ. Das Diatessaron Tatians ist verloren, aber seinem Inhalte nach zum größten Teile noch aus einem Kommentar des ^[Spaltenwechsel] heil. Ephräm bekannt. Eine jüngere, stark veränderte Bearbeitung in lat. Sprache machte Victor von Capua (gest. 544) bekannt; eine althochdeutsche Übersetzung der letztern ist der Deutsche Tatian (hg. von E. Sievers, Paderb. 1872). Vgl. Zahn, Forschungen zur Geschichte des neutestamentlichen Kanons, Tl. 1: Tatians Diatessaron (Erlangen 1881). – Dem «Diatessaron» des Ammonius von Alexandria (3. Jahrh.) lag das Evangelium des Matthäus zu Grunde; der Text der drei andern Evangelien war in zahlreiche kleine Sektionen geteilt, auf die durch Buchstaben und Ziffern am Rande des Grundtextes verwiesen wurde. Deutsche poet. Bearbeitungen der evang. Geschichte auf Grund aller vier Evangelien sind aus dem 9. Jahrh. die E. Otfrieds (s. d.) und der «Heliand» (s. d.). – Die Bezeichnung E. (harmonia evangelica) wird zuerst für die gelehrte Bearbeitung der vier Evangelien von Martin Chemnitz (vollendet 1593 durch Johann Gerhard) gebraucht. Jetzt nennt man eine solche Zusammenstellung des griech. Textes aller vier Evangelien zu wissenschaftlichen Zwecken Synopse oder Synopsis.

Evangelienseite, in der kath. Kirche die (vom Schiff aus) linke Seite des Altars, so genannt, weil hier das Evangelium verlesen wird. Sie heißt auch Brotseite, weil bei der Kommunion auf dieser Seite das Brot verabreicht wird. Im Gegensatz hierzu heißt die Epistelseite (s. Epistolar) Kelchseite.

Evangelisation, die Verbreitung der evang. Lehre unter den Katholiken. In Frankreich widmet die Evangelische Gesellschaft (s. d.) einen Teil ihrer Kräfte der E., in Elsaß-Lothringen wurde hierzu 1842 die Evangelisations-Gesellschaft gestiftet. In Spanien wirkt neben von England ausgehenden Sendboten der deutsche Pfarrer F. Fliedner (s. d.), in seinen Erfolgen glücklicher als seine kühnen Vorgänger Matamoros, Trigo und Alhama, die ihre evang. Überzeugung fast mit ihrem Blute bezahlen mußten. In Italien betreibt hauptsächlich die Waldenserkirche eine erfolgreiche Evangelisationsarbeit. Ihre Schulen sind sehr gut besucht. Auch die Freie Kirche und die methodistische und baptistische Mission sind dort sehr thätig. In Bari und Messina, wo sich viele evang. Deutsche aufhalten, sind deutsch-evang. Gemeinden in der Bildung begriffen. Ebenso hat die E. in andern kath. Ländern, wie in Belgien, und in den überseeischen Gebieten, wie in Brasilien, Chile u. a., Erfolge. – Vgl. Salis, Das Evangelium in Italien (Bas. 1888); Bernstorff, Evang. Leben in Spanien (Berl. 1887).

Evangēlisch, alles, was dem Evangelium (s. d.) oder der im Neuen Testament enthaltenen göttlichen Heilsbotschaft gemäß ist. Die Protestanten nennen sich Evangelische, weil sie das «reine Evangelium», d. h. die in der Heiligen Schrift offenbarte Heilswahrheit im Gegensatze zum kath. Traditions- und kirchlichen Autoritätsprincip als alleinige Glaubensgrundlage anerkennen. (S. Protestantismus.) Der Name Evangelische Kirche ist seit der Reformationszeit offizieller Titel prot. Landeskirchen geblieben, und erst in neuester Zeit vorzugsweise denjenigen Kirchen beigelegt worden, in denen die Union (s. d.) eingeführt ist, im Unterschiede von den konfessionellen (luth. oder reform.) Sonderkirchen. Die moderne orthodox-pietistische Richtung in der prot. Kirche nimmt im Gegensatze zu der freiern Richtung den Namen evangelisch ausschließlich für