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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ferrara (Stadt)
SW. von Venedig, 9 km südlich vom Po, in 7 in
Höhe (Schwelle des Rathauses) und fast 1 m unter
dem Flußspiegel, in einer sumpfigen und ungesunden,
aber fruchtbaren Ebene, an den Linien Padua-F.-
Bologna (123 km) undF.-Rimini (124 km) des
Adriatischen Netzes und an der Anschlußlinie Suz-
zara-F. (82 km), ist mit festen
Mauern, Bastionen und einer
starken Citadelle versehen, Sitz
eines Militärdistrikts und hat
(1881) mit Einschluß der Vor-
städte San Luca und ^an
Giorgio 30695 E., darunter
etwa' 2000 Israeliten (Nov.
1892 nach Berechnung als Ge-
meinde 85 000 E.), in Garnison
das 2. Feldartillerieregiment nebst 2 Traincom-
pagnien und das 3. Bataillon des 41. Infanterie-
regiments. F. hat breite, aber stille, öde Straßen,
30 Kirchen und zahlreiche große und schöne, aber
verödete Paläste.
Kirchen. Der Dom San Giorgio, ein Prachtbau
lombard. Stils, besitzt eiue großartige Facade mit
drei Nundbogenstellungen übereinander; der untere
Teil der Front und die^eitenfacaden sind von 1135,
der Oberbau aus dem 13. Jahrh., die Skulpturen
aus den: 13. und 14. Jahrh., das Innere, dreifchiffig
mit zwei Querschiffen, ist 1712 modernisiert und
enthält zahlreiche Wandmalereien. An der südl.
Ecke des Doms ein Glockenturm mit vier gewaltigen
Stockwerken, unter Herzog Ercole II. (1534-58)
erbaut. San Francesco, ein Vacksteinbau von
Pietro Benvenuti (1494), mit Kuppeln überwölbt,
ist dreischiffig mit Kapellenreihen; im Innern Grab-
mäler der Familie Este. San Venedetto im Corso
di Porta Po, 1490-1553 von Giambattista und
Alberto Tristani erbaut, ist eine dreischiffige Pfeiler-
kirche mit Kapellenreihen. Die ehemalige Kirche
San Nomano mit zierlicher Vacksteinornamentik des
Friefes und der Fensterbogen wird durch Anbauten
fast verdeckt. San Paolo enthält Gemälde von Vo-
noni und Scarsellino; Santa Maria in Vado, eine
der ältesten Kirchen der Stadt, seit 1495 von Biagio
Nossetti und Bart. Tristani umgebaut, dreischiffig,
Mittelschiff mit flacher Decke auf zehn Säulen,
Fresken von Vononi. Die Kirche San Cristoforo
auf dem Campo ^,anto, einem frühern Kartäufer-
kloster, 1498-1553 erbaut, ist ein schöner Renais-
sancebau. Die Kirche Santa Maria della Nosa auf
der Via degli Armari steht vor der Porta Nomana.
In der Kirche San Giorgio, mit Grabmal des Bi-
schofs Noverella von Ant. Nofellino und fchönem
Turm von Viagio Rosfetti, eröffnete Papst EugenIV.
1438 das Ferrara-Florenzer Konzil.
Weltliche Bauten. Den nördlichen, im
14. Jahrh, von Ercole I. erbauten Stadtteil durch-
schneiden zwei Hauptstraßen, der CorsoVittorio Ema-
nuele und der Corso di Porta Po und diPorta Märe;
die Kreuzung bezeichnen vier stattliche Paläste, dar-
unter derPalazzoProsperioderde'Leonimit schönem
Portal und der Palazzo de'Diamanti, benannt nach
den das Gebäude bekleidenden facettierten Quadern,
für Sigismoudo d' Este von Viagio Nossetti in
Frührenaissance errichtet und 1507 vollendet, mit
der städtischen Gemäldesammlung in den: Ateneo
civico, deren Bilder meist der ferrarcsischen Schule
(Garofalo, Dosso Dossi) angehören und aus ehe-
maligen Kirchen stammen. Das ehemalige herzogl.
Schloß (Castello) in der Mitte der Stadt, ein altes
viertürmiges Gebäude von malerischem Äußern, jetzt
Sitz mehrerer Behörden und des Telegraphenamtes,
enthält Deckenfresken von Dossi. Der Palazzo Schifa-
noja an der Strada della Ecandiana, jetzt Taub-
stummenanstalt, einst Lustschloß, 1391 von Alberto
d'Este begonnen, 1469 von Vorso vollendet, enthält
schöne Fresken von Cosimo Tura, Lorenzo Costa
u. a.. 1840 unter der Tünche entdeckt. Der Palazzo
Costabili, mit schönem Hofe und zwei Sälen mit
Deckenfresken von Ercole di Giulio Grandi, wurde
für Ludovico Moro erbaut. Der Palazzo della Ra-
gione, ein got. Vacksteinbau (1315-26), 1840 restau-
riert, ist noch jetzt Sitz des Gerichts. Das einfache
Haus Ariostos, welches der Dichter selbst erbaute
und wo er zuletzt lebte, ist seit 1811 Eigentum der
Stadt. Die Casa degli Ariosti, bei der Kirche Sta.
Maria di Bocche, ist des Dichters Vaterbaus. Das
Haus des Dichters Guarini gehört noch dessenFamilie
an. Im St. Annenhospital befindet sich die Zelle,
in welcher Tasso 1579-86 auf Befehl Alfons'II. ge-
fangen gehalten worden fein soll; in derselben sind
die Namen Byrons u. a. Dichter angeschrieben. An
des Dichters Liebe zu Eleonore von Este erinnert
die vor der ^tadt gelegene Villa Belriguardo. Ein
Standbild Ariostos erhebt sich auf hoher Säule auf
der Piazza Ariostea von Franc. Vidoni, 1833 er-
richtet ; die Säule war im 15. Jahrh, zu einem Denk-
mal für Ercole I. bestimmt und trug 1810 -15
ein Standbild Napoleons I. Zwifchen Schloß und
Dom das Denkmal des in F. geborenen Girolamo
Savonarola, von Stefano Galetti, 1875 errichtet;
vor dem Dom ein Denkmal Victor Emanuels II.
von Monteverde.
F. ist Sitz eines Präfekten, eines Erzbischofs, eines
Tribunals, eines Assisenhofs, eines Handelsgerichts
und einer Handelskammer und hat eine freie (nicht-
staatliche) Universität (I^id6i'HlIniv6i'8itü. äi^.), ein
theol. Seminar, ein Gymnasium, mehrere andere
Unterrichtsinstitute, eine ^ccaäemia ^riostkg,, ver-
schiedene Wohlthätigkeitsanstalten und zwei Theater.
Die Universität, 1264 gegründet und 1391 reorgani-
siert, ging 1394 ein und bestand nach ihrer Neuein-
richtung (1402) nur dürftig. Infolgedessen wurde sie
1442 vom Markgrafen Lionello wiederhergestellt und
sehr berühmt (savonarola und Ariost wirkten an
derselben). Nach 1593 ging sie zurück und wurde
Ende des 18. Jahrh, geschlossen. Nachdem die 1802
gegründete höhere Hydraulische schule wieder ge-
schlossen war, wurde die Universität 1815 wieder
eröffnet und mit einer Ingenieurfchule verbunden.
Sie hatte (1891/92) 68 Hörer und umfaßt eine
jurist., mathem.-naturwissenschaftliche und mediz.-
chirurg. Fakultät, letztere mit einer Pharmaceuten-
schule. Mit ihr verbunden sind ein botan. Garten,
ein Physik. Kabinett, ein anatmn. Theater und eine
reiche Sammlung von Münzen, griech. und lat. In-
schriften, einige röm. und altchristl. Sarkophage
sowie eine ausgezeichnete Bibliothek (90000 Bände,
1474 Ferrareser und 475 andere Handschriften,
darunter 52 Ausgaben des Ariosto, mehrere Auto-
graphien der Werke diefes Dichters "Oi-Ianäo
t'ariuZo"^, sowie Tassos und Guarinis ^"I^tor
Mo"1, 3191 Autographen, 2350 Kupfer- und Hand-
zeichnungen, alte Drucke und Cborbücher mit Minia-
turen des 13. bis 16. Jahrh.). In einem der Viblio-
theksäle ist das Grabdenkmal Ariostos.
Geschichte. Als namhafterer Wohnort wohl erst
mittelalterlichen Ursprungs kam F., welches die
Päpste auf Grund der Schenkungen Pippins und