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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Fichte (botanisch)

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Fichte'

Samenlappen. Im ersten Jahre bildet sich eine ziemlich lange, tiefgehende Hauptwurzel mit vielen Nebenwurzeln. Erstere bleibt später zurück, letztere werden vorherrschend und verlaufen horizontal. Daher die für die F. charakteristische tellerförmige Bewurzelung, die ihr gestattet, auf sehr flachgründigem Boden zu gedeihen, aber auch den Übelstand hat, daß sie vom Sturme leicht geworfen wird.

Die Abbildung auf Tafel Nadelhölzer: Waldbäume VII, Fig. 1 zeigt die gemeine F. als Baum, außerdem 1 Zweig mit männlichen Blütenkätzchen, 2 männliches Kätzchen, 3 Triebspitze mit weiblichen Blütenzapfen, 4 aufgesprungenes Staubgefäß, 5 reifen Zapfen, 6 Zapfenschuppe von außen mit der sehr kleinen Deckschuppe am Grunde, 7 Zapfenschuppe von innen mit aufliegendem Samenpaar, 8 Samen mit und ohne Flügel und Flügel allein, 9 Spitze einer Nadel und Querschnitt derselben, 10 Keimpflanze mit noch aufsitzender Samenschale, 11 Galle der Fichten-Rindenlaus, Chermes abietis L. (1, 5 und 11 sind verkleinert.)

Die F. ist im größten Teile Europas heimisch, mit Ausnahme der südl. und nördlichsten Gebiete; sie erstreckt sich von den Pyrenäen bis Ostsibirien und von den nordital. Alpen bis Lappland. Sie ist ein geselliger, waldbildender Baum. Obwohl sie auch in den Ebenen Polens, Litauens, Ostpreußens u. s. w. teils rein, teils gemischt mit andern Holzarten umfangreiche Wälder bildet, scheint ihr doch das Gebirgsklima besonders zuzusagen. Als ursprünglicher Baum kommt sie in einem großen Teile Norddeutschlands und im nordwestl. Deutschland nicht vor, ebenso nicht in den Niederlanden, man findet sie hier nur durch die Kultur eingeführt. Dagegen bedeckt sie die höhern Teile vieler Gebirge (z. B. Harz, Thüringer Wald, Erz- und Riesengebirge, Böhmerwald) fast ganz. In den Hochgebirgen bildet sie in Gesellschaft der Krummholzkiefer, allerdings nur als niedriger, krüppelhafter Baum, die Baumgrenze. Je weiter nach Süden, desto mehr wird die F. zum Gebirgsbaum. Im nördl. Norwegen unter 67° geht sie z. b. nicht viel über 200 m; im Harz (Brocken unter 51° 48') liegt die Fichtengrenze bei 1000 m, im Riesengebirge (50° 45') bei 1200, im Böhmer- und Bayrischen Wald (49°) bei 14-1500, in den Walliser Alpen bei 2100, in den Pyrenäen bei 13-1000 m. In den rauhen Hochlagen bleibt der Stamm kurz, tief beastet, daher sehr abholzig; nicht selten schlagen hier die auf dem Boden liegenden Äste Wurzeln, richten ihre Enden empor und wachsen selbständig weiter. Sturm, Schnee und Eisanhang brechen die Wipfel; aber sich emporrichtende Seitenäste bilden neue Wipfel, so daß sich mitunter die sonderbarsten Baumformen zeigen.

Ihr nutzbarstes Alter erreicht die F. im 80. bis 100. Jahre; sie wird in Kulturwäldern überhaupt wohl selten über 150 Jahre alt, während in den Urwäldern 400- und 500jährige F. keine Seltenheit sind. Sie liefert ein vorzügliches Bau- und Nutzholz, an Brenngüte steht sie der Buche nach. Während die jungen Bestände große Massen wertvoller Stangen geben, die durchforstungsweise genutzt werden, geben die Althölzer das beste Bauholz, das beste Material zu Schnitt- und Spalt waren (Bretter, Latten, Gefäße, Schachteln, Spielwaren, Zündhölzchen u. s. w.). Sehr lange und starke F. werden zu Mastbäumen benutzt und teuer bezahlt. Die astlos erwachsenen alten F. der Urwaldungen in den Gebirgen liefern die Resonanzhölzer für die Instrumentenmacher (bedeutender Handelsartikel z. B. im Böhmerwald). In ausgedehntester Weise wird Fichtenholz zur Herstellung von Holzstoff und Cellulose für die Papierfabrikation benutzt; in Deutschland werden zu diesem Zweck jährlich einige hunderttausend Festmeter verwendet. Namentlich aus Fichtenholz wird Holzwolle gefertigt, die neuerdings viel zu Polsterungen, als Verpackungsmaterial und zu chirurg. Zwecken, nämlich zu antiseptischem Verband Verwendung findet. Die Fichtenrinde benutzt man als Surrogat für Eichenrinde beim Gerben des Leders. Das Fichtenharz (s. d. und Harznutzung) schmilzt man in Kesseln und gewinnt so das gemeine gelbe Pech. Aus der Rinde alter F. dringt nicht selten goldgelbes Harz hervor, das, an der Luft erhärtet, dunkel wird; die reinen, blaßgelben Stücke kommen unter dem Namen gemeiner Weihrauch in den Handel und werden zu Salben und Pflastern benutzt. Die Nadeln der F. verwendet man mit zur Bereitung von "Waldwolle" und zu stärkenden Bädern. Letzteres geschieht namentlich mit den jungen Maitrieben. Mit dem Blütenstaube verfälscht man nicht selten den Bärlappsamen (Semen Lycopodii) der Apotheker. Die ganz junge, noch ziemlich weiche Masse des jüngsten Splintringes wird in Schweden und Lappland frisch gegessen, und in Zeiten der Not wird die innere Rinde, mit Getreidemehl vermischt, zu Brot verbacken. Aus dem durch Abschaben der Cambiumschicht frisch im Mai und Juni gefällter F. gewonnenen Rohsaft bereitet man das Vanillin.

Die vielseitige Nutzbarkeit des Holzes der F. hat diesem Baum im 19. Jahrh, die besondere Aufmerksamkeit der Forstwirte zugewendet. Ausgedehnte, früher mit der wenig nutzbaren Buche bestockte Flächen sind in neuerer Zeit mit F. bepflanzt worden. Durch Saat, namentlich durch Pflanzung verjüngt man die F. meist ohne große Schwierigkeit, weshalb man ohne Bedenken Kahlhiebe führen kann, wie Harz, Erzgebirge, Thüringer Wald u. s. w. beweisen. In Süddeutschland, zum Teil auch in Österreich wendet man häufig Femelschlagbetrieb (s. d.) an. Die F. ist während ihres Lebens vielen Gefahren ausgesetzt, durch Sturm, Schnee, Frost und Hitze sowie durch Insekten und andere Tiere. Borkenkäfer (Tomicus typographus L. und Verwandte) und der Nonnenschmetterling (Liparis monacha L.) haben oft schon Millionen von Stämmen getötet, der große braune Rüsselkäfer (Hylobius abietis L.) vernichtet alljährlich Tausende von jungen Pflanzen. Das Rotwild schält gern die Stämme jüngerer F. (Stangenhölzer) und wird dadurch sehr schädlich. Eine Anzahl parasitischer Pilze verursacht Krankheiten der Nadeln, der Rinde und des Holzes. Unter den Pilzen sind erwähnenswert: Agaricus melleus Vahl. (s. Erdkrebs), der oft in jungen Pflanzungen, aber auch in ältern Beständen arge Zerstörungen anrichtet, Trametes radiciperda R. Hart. und pini Fr., Hysterium macrosporum R. Hart. (s. Fichtenritzenschorf) u. s. w.

Die F. ist sehr formenreich. Nach den Zapfen unterscheidet man die erythrocarpa mit roten, kleinschuppigen von der chlorocarpa, mit grünen, großschuppigen Zapfen, obgleich rote und grüne Zapfen auf einem Baum gefunden werden. Als eigentliche Varietäten sind u. a. zu betrachten: Schlangenfichte (Picea virgata Faques ) mit wenig oder gar nicht verzweigten Quirlästen, Hänge-

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 767.