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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Fieber

Temperaturen dabei erreicht werden. Zunächst erfolgt durch die mit jedem F. verbundene Beschleunigung des Stoffwechsels und den erhöhten Eiweißumsatz eine beträchtliche Konsumtion und Entkräftung des Körpers, welche um so schwieriger zu bekämpfen ist, als durch die gleichzeitig vorhandene Verdauungsschwäche und Appetitlosigkeit die Nahrungsaufnahme meist auf das äußerste beschränkt wird; weiterhin entstehen aber auch durch jede anhaltende Überheizung des Blutes schwere Ernährungsstörungen und pathol. Veränderungen (sog. parenchymatöse Entartungen) der verschiedensten lebenswichtigen Organe, des Gehirns, der Leber und Nieren, des Herzfleisches u. a., durch welche die befallenen Organe für ihre Verrichtungen mehr oder minder unfähig und wodurch unter Umständen selbst Lähmung des Herzens oder des Centralnervensystems und damit plötzlicher Tod herbeigeführt werden. Wegen dieser nachteiligen Wirkung auf die innern Organe sind länger anhaltende F. immer als eine ernste Gefahr für das Leben zu betrachten. Hohe Bluttemperaturen von 40 bis 41° C. vermag der Körper bei gleichmäßiger Andauer nicht länger als 2, höchstens 3 Wochen zu ertragen, während F. mit nachlassendem Fiebertypus, bei denen gegen Morgen ein erheblicheres Sinken der Körpertemperatur erfolgt, sehr viel länger ertragen werden, und intermittierende F., bei denen Fiebertage mit ganz fieberfreien Tagen abwechseln, oft erst nach längerm Bestehen einen sichtlichen Einfluß auf die Ernährung und Konstitution des Kranken ausüben. Andererseits ist das F. auch als ein Heilungsvorgang zu betrachten, welcher dazu dient, die in den Körper eingedrungenen Schädlichkeiten infolge des gesteigerten Stoffwechsels rascher auszuscheiden.

Die Behandlung der Fieberkranken muß sich nach dem besondern Falle richten und geht in vielen Fällen mit der Behandlung der eigentlichen Krankheit Hand in Hand. Das Wechselfieber wird durch Chinin sicher geheilt, aber auch in andern Krankheiten kann durch große Dosen Chinin (2 bis 3 g), Antipyrin, Antifebrin oder Salicylsäure die Temperatur vorübergehend erniedrigt und damit gewissen, durch die Überheizung des Blutes herbeigeführten Gefahren wirksam entgegengetreten werden. Ähnlich wirken Digitalis (Fingerhutkraut), Veratrin und starke Stuhlentleerungen. Das schnellste und wirksamste Mittel zur Herabsetzung der abnorm hohen Temperatur ist indessen das kalte Bad, welches schon Ende des 18. Jahrh. von dem Engländer James Currie vielfach angewendet, aber erst seit den neuerlichen Empfehlungen von Brand, Bartels, Liebermeister, von Ziemssen, Jürgensen u. a. allgemein eingeführt ist und die Sterblichkeitsziffer des Typhus, der Lungenentzündung und verschiedener anderer schwerer Fieberkrankheiten bedeutend herabgesetzt hat. Sowie die Temperatur 39,5 bis 40° C. erreicht, wird der Kranke in ein kaltes oder kühles Vollbad von 18 bis 23° R. gesetzt und 5-10 Minuten darin gelassen, sodann in ein Leintuch gewickelt, zu Bett gebracht und leicht zugedeckt. Dieses Verfahren ist je nach der Höhe und dem Typus des F. täglich drei-, viermal und selbst noch öfter anzuwenden und so lange hindurch fortzusetzen, bis das F. dauernd zu niedern Temperaturgraden herabsinkt. Bei Kindern und schwächlichen Kranken, welche kalte Bäder nicht vertragen, wendet man an deren Stelle mit großem Vorteil kalte Einwicklungen an; ein großes Leintuch, doppelt oder vierfach gelegt, wird mit lauem Wasser durchtränkt, gut ausgerungen, auf einer wollenen Decke ausgebreitet und sodann der vollständig entkleidete Kranke zuerst in das nasse Tuch und dann in die wollene Decke eingeschlagen. Nach 10-15 Minuten wird der Kranke herausgenommen und wieder frisch eingewickelt und die ganze Procedur je nach der Höhe des vorhandenen F. drei- bis siebenmal nacheinander vorgenommen.

Da das F. bei Verletzten und Operierten vor allem durch Störungen der Wundheilung bedingt ist, so ist bei F. die Wunde einer genauen Untersuchung zu unterwerfen. Durch Beseitigung z. B. einer vorhandenen Eiterverhaltung wird oft das F. sofort beseitigt.

Hinsichtlich des allgemeinen diätetischen Verhaltens ist zu betonen, daß jeder Fieberkranke möglichst frühzeitig in Pflege genommen werden und während der ganzen Dauer des F. das Bett hüten muß; längeres Aufbleiben und Ankämpfen gegen die Krankheit sowie ein weiterer Transport, selbst mit der Eisenbahn, wirken durchaus schädlich. Starke Sinneseindrücke (Geräusch, Licht) sind von dem Kranken möglichst fern zu halten; sein Lager muß bequem und nicht zu warm, das Krankenzimmer (s. d.) jederzeit gut ventiliert und nicht über 16 bis 17° C. temperiert sein. Mit besondern Schwierigkeiten hat die Ernährung des Fieberkranken zu kämpfen, weil wegen der meist auf das äußerste daniederliegenden Verdauung und der ungenügenden Absonderung der Verdauungssäfte Eiweißsubstanzen und Fette in erheblichern Mengen von dem Fieberkranken nicht verarbeitet und verdaut werden können und zudem eher eine allgemeine Steigerung des Stoffumsatzes und damit des F. bewirken würden. Man beschränke sich deshalb auf das Darreichen von Milch und Schleimsuppen aus dünnem Gerstenschleim, Hafergrütze, Gries und ähnlichen leicht verdaulichen, vorzugsweise sog. Kohlenhydrate enthaltenden Nahrungsmitteln, welche auch ohne Einwirkung der Verdauungssäfte einfach durch den Milchsäuregärungsprozeß schließlich gelöst und in die Säftemasse aufgenommen werden können. Nur ganz allmählich und mit Vorsicht gehe man zu kräftigern Nährstoffen (Fleischsaft, Fleischbrühen mit Ei, geschabtes Fleisch, leichte Mehlspeisen) über. Als Getränk dienen am besten einfaches kaltes Wasser, Brot- oder Reiswasser oder säuerliche Limonaden. Besondere Sorgfalt ist auf regelmäßige Stuhlentleerung zu verwenden. Bewußtlosen Fieberkranken sind öfters einige Löffel kalten Wassers in den Mund einzuflößen. Eine wichtige Rolle in der Fieberbehandlung spielen endlich die Reizmittel (starke Fleischbrühe, Wein, Cognac, schwarzer Thee), durch welche in Augenblicken der Gefahr der Erschöpfung oder Herzlähmung wirksam begegnet wird. Über die Verhütung des sog. Auf- oder Durchliegens s. Aufliegen. - Vgl. Wunderlich, Die Eigenwärme in Krankheiten (Lpz. 1868; 2. Aufl. 1870); Liebermeister, über Wärmeregulierung und F., und: Über die Behandlung des F. (in Volkmanns "Sammlung klinischer Vorträge", Nr. 19 und 31, ebd. 1871-72); ders., Handbuch der Pathologie und Therapie des F. (ebd. 1875); Senator, Untersuchungen über den fieberhaften Prozeß und seine Behandlung (Berl. 1873); Buß, über Wesen und Behandlung des F. (Stuttg. 1878); Cohnheim, Vorlesungen über allgemeine Pathologie (2. Aufl., 2 Bde., Berl. 1882); von Recklinghausen, Handbuch der allgemeinen Pathologie des Kreislaufs und der Ernährung ("Deutsche