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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Frankreich (Kirchenwesen. Bildungs- und Unterrichtswesen)

(unter der ältern Bourbonenlinie weiß) tragen diese drei Farben in senkrechten Streifen, das Blau nach innen. (S. Tafel: Flaggen der Seestaaten, beim Artikel Flaggen.) Abgesehen von dem Orden der Ehrenlegion (s. d.) giebt es noch eine Kriegsmedaille, und 1883 ist ein besonderer Orden für Landwirte gestiftet worden. Alle frühern Orden (Orden des heil. Ludwig, des heiligen Geistes u. s. w.) sind seit 1831 aufgehoben.

Kirchenwesen. Obgleich F. einerseits Sitz und Ausgangspunkt der atheistischen Weltanschauung (Voltaire, die Encyklopädisten), andererseits verschiedener reformatorischer Bestrebungen (Waldenser, Calvinismus) war, so ist das Land doch überwiegend katholisch geblieben, wobei jedoch den Anhängern anderer Kulte vollständig freie Religionsübung gestattet ist. Die außer dem katholischen vom Staate anerkannten Religionsbekenntnisse sind das lutherische, das reformierte und das israelitische. Die Diener derselben werden vom Staate angestellt und besoldet, im übrigen sind beide, Staat und Kirche, vollständig voneinander unabhängig. F. zerfällt in 17 Kirchenprovinzen der katholischen Kirche, die als Staatskirche gilt, mit zusammen 17 Erzdiöcesen und 70 Diöcesen; an der Spitze der Erzdiöcesen stehen 17 Erzbischöfe (darunter 5 Kardinäle): in Aix, Albi, Auch, Avignon, Besançon, Bordeaux, Bourges, Cambrai, Chambéry, Lyon, Paris, Reims, Rennes, Rouen, Sens, Toulouse und Tours. Hierzu kommen die Kirchenprovinz Algier mit 1 Erzdiöcese und 2 Diöcesen und die Erzdiöcese Carthago. Am 1. Jan. 1890 wurden gezählt (Algerien mit inbegriffen): 182 Generalvikare, 695 Chorherren, 3423 Pfarrer, 28895 Pfarrverweser, 10027 Vikare, 4381 Kaplane u. s. w., im ganzen 50420 Kleriker, welchen noch die Direktoren und Lehrer der Großen (676) und der Kleinen Seminare (3730) hinzuzufügen sind. Die Zahl der Ordensgeistlichen belief sich (1880) auf 30287 in 416 Orden und 127753 Nonnen in 3798 Kongregationen, von welchen aber in demselben Jahre 384 männliche und 602 weibliche Orden vom Staate aufgelöst wurden. Die reformierte Kirche (mit theol. Fakultäten in Paris und Montauban), welche hauptsächlich im Südwesten, am stärksten im Depart. Gard vertreten ist, steht unter dem Centralrate und dem Konsistorium in Paris und hat (1893) 887 Geistliche; die lutherische (namentlich in den Depart. Seine, Haute-Saône und Doubs) hat als Oberbehörde das Oberkonsistorium in Paris und zählte (1893) 90 Pastoren. Die Israeliten stehen unter dem Centralkonsistorium in Paris, welchem die 10 Oberrabbiner und 47 Rabbiner unterstellt sind.

Bildungs- und Unterrichtswesen. Das Schulwesen hat namentlich auf dem Gebiete der Volksschulen ganz erhebliche Fortschritte aufzuweisen. Zwar hatten schon die Revolution und die erste Republik die Notwendigkeit der Vermehrung des Volksschulunterrichts anerkannt, aber sie vermochten ihre Pläne nicht durchzuführen, und auch unter dem ersten Kaiserreiche blieb derselbe eine Angelegenheit der Gemeinden, welche ihre Schulen meist den geistlichen Orden überließen. Noch 1840 waren Tausende von Gemeinden ohne Schulen. Unter dem gelehrten prot. Unterrichtsminister Waddington fing der Staat an, der Vervollkommnung der Schule sein eifriges Augenmerk zuzuwenden. Waddington war bemüht, durch Vermehrung der Schulhäuser und der Zahl der Lehrer die obligatorische Volksschule vorzubereiten.

Allein erst durch ins Gesetz vom 28. März 1882 wurde der Schulzwang eingeführt und jede Gemeinde von 500 Einwohnern verpflichtet, eine Volksschule für beide Geschlechter zu errichten. 1878 wurde ein Gesetz angenommen, wonach jede Gemeinde ein eigenes Schulhaus haben muß. Der Staat hilft nötigenfalls durch Schenkungen oder Vorschüsse. Zu diesem Zwecke wurde eine Caisse pour la construction des écoles gestiftet. Diese Kasse hat in 7 Jahren beinahe 16000 Schulhäuser gebaut, über 30000 ausbessern und möblieren lassen, hat 178 Mill. Frs. Staatssubventionen verteilt und 190 Mill. vorgeschossen. Die Departements haben für die Normalschulen (Seminare) und zur Unterstützung der ärmsten Gemeinden noch 13 Mill. zugelegt, und endlich haben die besser gestellten Gemeinden fast 95 Mill. freiwillige Beiträge geliefert. In der folgenden Zeit bis Ende 1888 sind von dem Staate 38, von den Departements 14 und von den Gemeinden 56 Millionen für denselben Zweck verwendet worden. Die Heranbildung von Lehrern und Lehrerinnen für die Volksschule erfolgt in sog. Normalschulen (Seminaren), von denen jetzt je eine in jedem Departement besteht. Die Zahl nichtgeprüfter Lehrer verringert sich mit jedem Jahre, da seit 1881 solche ohne Prüfungszeugnis nicht mehr zum Schuldienst zugelassen werden. 1887 wurde dieses Zeugnis 1676 Seminaristen und 1102 Seminaristinnen erteilt. 1890-91 waren von den Lehrern in den öffentlichen Schulen versehen: 21 Proz. mit dem brevet supérieur, 76 Proz. mit dem brevet élémentaire, 3 Proz. (3405) waren ohne Zeugnis. Das Gesetz vom 16. Juni 1881 verfügte die Unentgeltlichkeit des Elementarunterrichts und rief dadurch zugleich eine bedeutende Erhöhung des Staatszuschusses hervor; derselbe hat sich seit 1869 mehr als verzehnfacht.

Zum Zwecke der Beaufsichtigung des Schulwesens wird F. (einschließlich Algeriens) in 17 Akademien eingeteilt, deren jede von einem dem Unterrichtsminister unmittelbar untergeordneten Rektor und den Departements-Schulinspektoren verwaltet und beaufsichtigt wird. Jede Akademie hat einen akademischen Rat, der sich aus ordentlichen, außerordentlichen und vom Minister ernannten Mitgliedern zusammensetzt. Er giebt sein Urteil ab bezüglich der Unterrichtsordnung, der Verwaltung und Disciplin des höhern Schulwesens. Daneben hat jedes Departement einen Departementsrat des niedern öffentlichen Unterrichts unter dem Vorsitz des Präfekten.

Von großer Bedeutung für die Entwicklung des Unterrichtswesens war das Dekret vom 27. Febr. 1880 über die Umwandlung des Conseil supérieur de l'instruction publique. In diesem Unterrichtsrate sitzen neun vom Präsidenten der Republik ernannte hohe Beamte der Universität und vier Mitglieder aus dem (nichtstaatlichen) enseignement libre, Mitglieder des Instituts, des Collège de France, der verschiedenen Fakultäten, aller Hoch-, Mittel- und Volksschulen. Alle bekleiden das Amt 4 Jahre und sind wieder wählbar. 15 Mitglieder bilden die ständige Sektion, welche die Lehrpläne und Reglements, die Gründung von Fakultäten, Lyceen, Collèges, Normalschulen, die Besetzung von Lehrstühlen begutachtet. Der Rat selbst, der sich regelmäßig zweimal im Jahre versammelt, giebt sein Gutachten ab über dieselben Fragen, über das Verfahren bei Prüfungen, der Verleihung der Grade, über Lehr- und Lesebücher und bildet die letzte Instanz in Disciplinar- und Streitsachen.