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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Frankreich (Geschichte 987-1328)

somit sein Gebiet verdoppelt, so konnte er auch im Innern die größten Erfolge in der Stärkung seiner Monarchie aufweisen. Was seine Vorgänger zur Niederhaltung der großen Vasallen gethan hatten, setzte er in nachhaltiger Weise fort. Jene wurden allmählich aus dem Rate des Königs entfernt, in den nun einfache Ritter, Geistliche und Rechtsgelehrte eintraten, die zuverlässige Werkzeuge des dem Absolutismus zustrebenden Königtums wurden. Ebenso erweiterte sich auch die Kompetenz des königl. Hofgerichts immer mehr; schon durfte man von den Gerichten des Klerus und der Barone an jenes appellieren. Die Erblichkeit der großen Kronämter wurde beseitigt und die unabhängigen Vasallen aus ihnen entfernt. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes fand bei Philipp rege Förderung. Er erkannte schon die Bedeutung von Paris, das er ummauern ließ, schützte die fremden Kaufleute, Handel und Gewerbe und begabte auch die kleinsten Kommunen mit Freiheitsbriefen. - Unter seinem Nachfolger Ludwig VIII. (1223-26) sollte nun F. auch den wichtigen Schritt gegen den Süden thun, den Philipp schon vorbereitet hatte. In Languedoc tobte seit fünfzehn Jahren ein blutiger Krieg, den das Papsttum gegen die ketzerischen Albigenser (s. d.) und ihren vermeintlichen Beschützer, den mächtigen Grafen von Toulouse, führte. Als dieser aber den Grafen von Montfort, denen der Papst Toulouse gegeben hatte, erfolgreich widerstand, kam Ludwig VIII. 1226 der Kirche zu Hilfe; doch starb er schon kurz nach dem glücklichen Beginn seines Zuges. Auch gegen England hatte er den Kampf wieder begonnen und Poitou erobert. Die Monarchie schädigte er jedoch dadurch, daß er sein Gebiet unter seine vier Söhne teilte.

Der Thronerbe Ludwig IX., der Heilige (1226-70), wurde während seiner Minderjährigkeit von seiner Mutter Blanca geleitet, und ihrer Energie hatte F. es zu danken, daß die letzten Angriffe, die die großen Vasallen im Bunde mit Heinrich III. von England gegen die Krone unternahmen, abgeschlagen wurden. Nun beginnt für das Land eine Periode innern Friedens und kräftigen Aufblühens. Durch vorteilhafte Verträge vergrößerte Ludwig sein und seiner Brüder Gebiet; 1229 trat Raimund von Toulouse einen Teil seines Besitzes ab; der Rest kam nach seinem Tode 1249 an Alfons von Poitou, den Bruder Ludwigs, den Gemahl der Erbtochter Raimunds. 1246 kam die Provence durch Heirat an Karl I. von Anjou, den jüngsten Bruder Ludwigs. 1258 trat Aragon sein Land nördlich der Pyrenäen zum Teil an F. ab; 1259 wurde zwar das Gebiet jenseit der Charente und Garonne freiwillig an Heinrich III. von England zurückerstattet, dafür aber erkannte er Ludwig als rechtmäßigen Besitzer der früher engl. Provinzen im Norden an und nahm sie von ihm zum Lehn. Durch Kauf wurden Macon, Blois und Chartres erworben. Eine kluge Politik der Kirche gegenüber, die Ludwig zwar ehrte, aber in ihren hierarchischen Übergriffen nicht unterstützte, erhöhte das Ansehen F.s, das jetzt, wo in Deutschland das Kaisertum unterging, die erste Macht Europas wurde. Allerdings ist die Echtheit der Pragmatischen Sanktion (1269), in der Ludwig die Selbständigkeit der Gallikanischen Kirche (s. d.) begründet hätte, neuerdings angezweifelt; aber der Inhalt entspricht doch zum Teil den Maßregeln, mit denen er, im Einverständnis mit seinem Adel, den drückenden Steuern der päpstl. Legaten entgegentrat. Sehr wichtig sind Ludwigs rechtliche Einrichtungen. Er hat das Parlament an seinem Hofe organisiert, ein Gericht, das die letzte Entscheidung über die Prozesse in den Provinzen hatte. An die Stelle des Gottesurteils trat der Zeugenbeweis, das röm. Recht verdrängte das Landrecht, und die gelehrten Juristen (Legisten, s. d.) kamen zu großer Bedeutung. Die Verwaltung wurde in die Hände königl. Beamter (Baillis, Seneschalls, Prévôts) gelegt; sie hatten die Polizei und die Einziehung der Steuern unter sich.

Ludwig starb 1270 auf einem Kreuzzuge, den er gegen Tunis unternommen hatte. Sein Sohn Philipp III., der Kühne (1270-85), kehrte von dort nach einigen Erfolgen zurück. Er ließ sich zum Teil von seinem Oheim Karl I. von Anjou, dem König von Sicilien, zum Teil von seinem Günstling Peter de la Brosse leiten. Unternehmungen gegen Castilien (1276) und Aragon (1285) verliefen nicht glücklich; doch wurde ein bedeutender Gebietszuwachs dadurch erlangt, daß nach dem Tode des kinderlosen Alfons von Poitou der größere Teil des Südwestens von F. an die Krone kam (Auvergne, Poitou, Toulouse). Im Innern führte Philipp die Verwaltung im Sinne seiner Vorfahren weiter. Den Höhepunkt erreichte aber diese ganze franz. Entwicklung des 13. Jahrh. unter Philipp IV., dem Schönen (1285-1314). Gestützt auf eine starke Macht, auf ein ergebenes Beamtentum, auf kluge und energisch für den Absolutismus wirkende Legisten, konnte er den Kampf mit dem Papsttum aufnehmen. Die wichtige Frage der Besteuerung des franz. Klerus gab den Anlaß zu dem folgenschweren Streite zwischen dem Papste Bonifacius VIII. und Philipp IV. Der Streit endete 1303 mit dem gewaltthätigen Überfall Bonifacius' VIII. in Anagni; seine Folgen zeigten sich in zwei bedeutsamen Ereignissen: der Übersiedelung des Papsttunis nach Avignon (1305), wo es im Machtbereich des franz. Königs festgehalten wurde, und der Aufhebung des Tempelherrenordens (1312), der als ein Staat im Staate dem Könige gefährlich erschien und überdies durch seine Reichtümer seine Begehrlichkeit reizte. Denn durch unglückliche kriegerische Unternehmungen (Niederlage gegen die Flandrischen Städte bei Courtrai 1302) und gesteigerte Ausgaben der Regierung war Philipp in Geldverlegenheit geraten, die er vergeblich durch drückende fiskalische Maßnahmen und Münzoperationen zu beseitigen versuchte. Damit hing, mehr als mit seiner Kirchenpolitik, die bedeutsame Berufung der Generalstaaten (États généraux, s. d.) zusammen (1303), wo neben Adel und Klerus auch der Dritte Stand, das aufblühende Bürgertum, vertreten war, das somit nun anfing, kräftigen Anteil am Staatsleben zu nehmen; die Feudalität wurde immer mehr aus den maßgebenden Stellungen verdrängt. Nach außen hat Philipp keine großen Erfolge gehabt, so in dem dauernden Kriege mit England. Nur das zum Deutschen Reiche gehörende Lyon nahm er 1312 fort und erwarb durch Heirat Navarra, Champagne und Brie. Seine Bedeutung beruht in den durchaus modernen Tendenzen seiner Regierung, durch die er die mittelalterliche Entwicklung des Lehnsstaates durchbrach und die modernen Formen des Absolutismus anbahnte. Der älteste Sohn Philipps, Ludwig X. (1314-16), begünstigte dagegen eine feudale Reaktion, die sich gegen die Räte des Vaters richtete. Ihm folgte, da er keinen Sohn hatte, sein Bruder Philipp V. (1316-22), und diesem aus demselben Grunde sein Bruder Karl IV. (1322-28); beide waren nicht