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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Frankreich (Geschichte 1870-73)

übernehme. Am 19. Juli wurde die franz. Kriegserklärung in Berlin überreicht, und Napoleon III. übernahm in Metz 28. Juli das Oberkommando der Rheinarmee, nachdem er der Kaiserin Eugenie die Regentschaft übertragen hatte.

Der Deutsch-Französische Krieg von 1870 und 1871 (s. d.) enthüllte überraschend schnell die äußere und innere Schwäche des zweiten Kaiserreichs. Gleich nach den ersten Niederlagen trat das Ministerium Ollivier vor einem Mißtrauensvotum des Gesetzgebenden Körpers zurück. Das neue Kabinett, unter Vorsitz des Generals Cousin-Montauban, bot alles auf, um die Wehrkraft F.s zu verstärken und Paris zu verproviantieren. Unterdes ward die franz. Armee in einer Reihe großer Schlachten vernichtet, Napoleon III. selbst ergab sich bei Sedan (2. Sept.) kriegsgefangen; der kaiserl. Prinz, der seinen Vater begleitet hatte, hatte sich bereits über Belgien nach England begeben. Auf die Nachricht von dieser Katastrophe brachen in Paris Unruhen aus; in der Nacht vom 3. auf den 4. Sept. beantragte Jules Favre im Gesetzgebenden Körper die Absetzung der kaiserl. Dynastie. Cousin-Montauban wagte nicht, der Bewegung ernstlich entgegenzutreten, da Militär und Nationalgarde sich unzuverlässig zeigten. Am 4. Sept. nachmittags stürmte ein Volkshaufen das Sitzungslokal des Gesetzgebenden Körpers, der Senat löste sich auf, und während Gambetta unter allgemeinem Enthusiasmus die Republik proklamierte, flüchteten die Kaiserin und die Häupter der kaiserl. Partei, um in England Zuflucht zu suchen.

15) Unter der dritten Republik bis zum Rücktritt Thiers' (1870-73). Noch am Abend des 4. Sept. 1870 konstituierte sich auf dem Pariser Stadthause eine "Provisorische Regierung der nationalen Verteidigung", die aus lauter Abgeordneten der Linken bestand (Arago, Crémieux, Favre, Ferry, Gambetta, Garnier-Pagès, Glais-Bizoin, Pelletan, Picard, Rochefort, Simon). Den Vorsitz und das Generalkommando von Paris erhielt General Trochu. Jules Favre wurde Vicepräsident und Minister des Auswärtigen und begann seine Funktionen mit einem diplomat. Rundschreiben vom 6. Sept., worin er erklärte, daß die Regierung den Frieden wünsche, aber "nicht einen Zoll breit des nationalen Gebietes, nicht einen Stein von den franz. Festungen" abgeben werde. Denselben Anspruch erhob Favre in einer mündlichen Verhandlung mit Bismarck zu Ferrières 19. bis 20. Sept. Thiers übernahm eine diplomat. Mission nach London, Wien, Petersburg und Florenz, um die Vermittelung der neutralen Mächte zu erbitten; aber er fand nirgends Gehör. Auch seine Unterhandlungen mit Bismarck, 1. Nov. in Versailles, führten zu keinem Resultat. Als die deutschen Heere gegen Paris vorrückten, beschloß die franz. Regierung, das Schicksal der Hauptstadt zu teilen, doch ward zur Verwaltung der Provinzen eine Delegation nach Tours abgeordnet, wo Gambetta als Minister des Krieges und des Innern thatsächlich die Diktatur an sich riß. Am 19. Sept. war die Einschließung von Paris beendigt. Straßburg und Metz kapitulierten. Anfang Dezember mußte die Regierungsdelegation von Tours weiter südlich nach Bordeaux flüchten, und auch die Regierung von Paris hatte einen schweren Stand. Alle Anstrengungen, den Belagerungsgürtel zu durchbrechen, blieben erfolglos, und Mangel an Lebensmitteln stellte sich ein. Dazu gab es im Innern eine extreme Partei, die in Verbindung mit der internationalen Arbeitergesellschaft stand und sich auf die bewaffnete Bevölkerung der Arbeiterquartiere Belleville, Montmartre u. s. w. stützte. Abgesehen von kleinern Ruhestörungen, versuchte diese 31. Okt. 1870 und 22. Jan. 1871, zunächst ohne Erfolg, sich der Gewalt zu bemächtigen und eine sog. Commune einzusetzen. Unter diesen Umständen sah sich die Regierung der nationalen Verteidigung genötigt, den Frieden zu erbitten.

Am 28. Jan. 1871 wurde zwischen Favre und Bismarck eine Konvention über einen dreiwöchigen Waffenstillstand zu Lande und zu Wasser unterzeichnet. (S. Deutsch-Französischer Krieg von 1870 und 1871, Bd. 5, S. 109 a.) Während dieser Waffenruhe, die später bis zum 3. März verlängert wurde, sollte durch allgemeine freie Wahlen eine Nationalversammlung gewählt werden, um über den Frieden zu verhandeln. Als Gambetta versuchte, die Wahlfreiheit zu Gunsten der Republikaner zu beschränken, wurde sein Dekret weder von Bismarck noch von der Pariser Regierung anerkannt, und bei der allgemeinen Friedenssehnsucht des franz. Volks sah er sich zum Rücktritt genötigt. Am 8. Febr. fanden die Wahlen statt, und am 12. hielt die Nationalversammlung in Bordeaux ihre erste Sitzung. Tags darauf legte die Regierung der nationalen Verteidigung ihre Funktionen in die Hände der Versammlung nieder, und diese ernannte 17. Febr. Thiers zum Chef der Exekutivgewalt, unter dem Jules Favre das Ministerium des Auswärtigen behielt. Am 26. Febr. wurden die Friedenspräliminarien in Versailles zwischen Thiers und Favre einerseits, Bismarck und den Bevollmächtigten von Bayern, Württemberg und Baden andererseits abgeschlossen, wodurch F. die Provinzen Elsaß und Deutsch-Lothringen, mit Metz, aber ohne Belfort, an das Deutsche Reich abtrat und sich verpflichtete, 5000 Mill. Frs. Kriegskosten zu bezahlen; bis nach geleisteter Zahlung sollte ein Teil des franz. Gebietes von deutschen Truppen besetzt bleiben. Diese Präliminarien wurden 1. März von der Nationalversammlung zu Bordeaux, 2. März von Kaiser Wilhelm I. ratifiziert. Kurz darauf (20. März) siedelte auch die Nationalversammlung nebst der Exekutivgewalt aus Bordeaux nach Versailles über. In Paris aber brach 18. März ein neuer erfolgreicher Aufstand aus, und die Commune bemächtigte sich der Gewalt. Die Bewegung blieb jedoch auf die Hauptstadt beschränkt, die Armee der Versailler Regierung treu, und nach langwierigen blutigen Kämpfen (s. Paris) wurde der Aufstand niedergeschlagen und die Ordnung wiederhergestellt (28. Mai). Schon zuvor war der definitive. Friedensschluß mit Deutschland erfolgt. Nach Bestimmung der Präliminarien waren zu Brüssel 28. März franz. und deutsche Bevollmächtigte zusammengetreten, um die Einzelheiten weiter zu beraten; doch die Verhandlungen schleppten sich hin, und man vermochte sich namentlich über die finanziellen Fragen nicht zu einigen. Da griff der Reichskanzler Bismarck persönlich ein, und in einer Zusammenkunft zwischen ihm und den franz. Ministern Favre und Pouyer-Quertier zu Frankfurt a. M. (6. bis 10. Mai) wurden alle streitigen Punkte schnell erledigt. Der Frankfurter Friede (s. d.) vom 10. Mai 1871 bestätigte im wesentlichen die Präliminarien.

Die Wahlen vom 8. Febr. hatten unter klerikalen Einflüssen und unter dem Drucke der Verhältnisse eine überwiegend legitimistisch-orleanistische Majorität ergeben, sodaß man allerseits mit Furcht