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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Französische Eisenbahnen

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Französische Eisenbahnen'

eine starke Strömung zu Gunsten des Staatsbahnsystems sich geltend machte, gelang es doch nicht, eine Mehrheit hierfür in den Kammern zu erlangen. Das Gesetz vom 11. Juni 1842 beruht daher auf dem Grundgedanken, daß die Eisenbahnen durch Zusammenwirken des Staates, der den Grunderwerb, den Unterbau, die Kunstbauten und Stationsanlagen auf seine Kosten zu übernehmen hat, mit der Privatindustrie, der die Herstellung des Oberbaues und die Beschaffung der Betriebsmittel obliegt, zu bauen sind. Gleichzeitig legte dieses Gesetz die Haupteisenbahnlinien fest, die sich von Paris strahlenförmig nach den Grenzen des Landes erstrecken sollten. Auf diesen Grundlagen entwickelte sich das Eisenbahnwesen in den nächsten 10 Jahren langsam weiter, geriet dann ins Stocken, und die Eisenbahnen verlangten neue Unterstützungen vom Staate. Diese wurden nach Wiederherstellung des Kaiserreichs gewährt durch Begünstigung der Verschmelzung (s. Eisenbahnfusion) der vorhandenen Eisenbahnen zu den vorerwähnten sechs großen Gesellschaften, deren Konzessionen gleichzeitig auf 99 Jahre, d. h. bis zu der Zeit zwischen 1950 und 1960 verlängert wurden. Durch Gesetz vom 11. Juni 1859 übernahm der Staat ferner eine umfassende Zinsgarantie für die von den großen Gesellschaften neu zu bauenden Linien. Zu diesem Zwecke wurde ihr Netz in zwei Klassen geteilt, in das alte Netz (ancien réseau), die bis dahin gebauten Strecken enthaltend, und in das neue (nouveau réseau). Für jenes wurde nach den bisherigen Erfahrungen ein Mindestertrag festgestellt, der zur Zahlung der Dividende auf die Aktien ausreichte. Aus etwaigen Mehreinnahmen sollten die Obligationen, mittels deren der Bau der neuen Strecken erfolgte, verzinst werden (sie flössen zur Verzinsung der Obligationen ab - déversaient - und man bezeichnet den aus diesen Abflüssen gebildeten Fonds als (déversoir). Soweit die Einnahmen des alten Netzes hierzu nicht ausreichten, leistete der Staat für die Ostbahn vom 1. Jan. 1864, für die übrigen Bahnen vom 1. Jan. 1865 ab auf 50 Jahre eine Zinsgewähr bis auf Höhe von 4 Proz. und 0,65 Proz. Amortisation. Nach Ablauf der Konzessionen sollten die Bahnen auf den Staat übergehen, gegen eine Entschädigung für das zu übernehmende Material und mit der Berechtigung, die seinerseits gelieferten und noch nicht zurückerstatteten Zuschüsse anzurechnen. Auch diese neue Abmachung genügte nur auf wenige Jahre, um einen den Bedürfnissen des Landes entsprechenden Ausbau des Eisenbahnnetzes zu sichern. Durch Gesetz vom 12. Juli 1865, betreffend die chemins de fer d'intérêt local et industriels, wurde daher den Departements, Gemeinden oder Privaten der Van solcher Bahnen zugewiesen (s. Nebenbahnen). Diese Bahnen, über deren Begriff und Bedeutung keinerlei Bestimmungen getroffen waren, wurden zum Teil als Hauptbahnen und innerhalb des den großen Gesellschaften zugewiesenen Gebietes angelegt, die ihrerseits ihre Anlage thunlichst hinderten und ihren Betrieb erschwerten. Am 11. Juni 1880 erging ein neues Lokalbahngesetz, das zugleich die Verhältnisse der Tramways (s. Straßenbahnen) regelt; neuerdings ist eine Abänderung desselben in Aussicht genommen. Nach dem Kriege von 1870 und 1871 wurde ein Teil der Ostbahn an das Deutsche Reich abgetreten. (S. Reichseisenbahnen.)

Inzwischen hatten sich in der Verwaltung der großen Eisenbahnen viele Mißbräuche eingeschlichen; nach dem Kriege geriet zugleich der Eisenbahnbau ins Stocken und im Lande machte sich wiederum eine starke Strömung zu Gunsten der Einführung des Staatsbahnsystems geltend. Als daher der damalige Minister der öffentlichen Arbeiten Christophle 1876 der Kammer einen Gesetzentwurf vorlegte, nach dem die Linien der Charentes- und der Vendée-Gesellschaft sowie einiger anderer kleinerer Gesellschaften dem second réseau der Orléansbahn einverleibt werden sollten, wurde dieser Vorschlag im Abgeordnetenhause abgelehnt und die Regierung aufgefordert, für den Fall, daß die Orléansbahn nicht auf dem Staate günstigere Bedingungen eingehen wolle, den Erwerb der Bahnen durch den Staat unter eventueller Verpachtung an Betriebsgesellschaften zu bewirken. Da die Orléansbahn auf annehmbare Bedingungen nicht einging, so erschien mit dem Ministerium Dufaure Ende 1877 das von Gambetta, Léon Say und dem neuen Arbeitsminister Freycinet ausgearbeitete "Programm Freycinet", das im Lande mit Jubel begrüßt wurde. Es erfolgte der Ankauf von 10 Bahnen (Charentes- und Vendéebahn, Bressuire-Poitiers, St. Nazaire-Le Croisie, Orléans-Châlons, Clermont-Tulle mit 1861 km, Poitiers-Saumur, Nantais, Maine-et-Loire und Orléans-Rouen mit 754 km) für den Staat (Gesetz vom 18. Mai 1878) und damit die Bildung des Staatsbahnnetzes (Chemins de fer d'État). In den nächsten Jahren fanden Versuche statt, die einflußreiche Orléansbahn in eine Staatsbahn umzuwandeln; gleichzeitig wurde der Eisenbahnbau vom Staate kräftig gefördert. Mit dem 31. Dez. 1882 erfolgten Tode Gambettas, des energischen Vertreters des Staatsbahngedankens, fand wieder ein Umschwung statt. Es erfolgte eine neue Verständigung mit den großen Privatbahnen durch die oben erwähnten, im Gesetz vom 20. Nov. 1883 genehmigten Verträge. Nach denselben genehmigte die Regierung den sechs großen Gesellschaften eine Anzahl neuer Linien und trat ihnen die meisten der vom Staate seit 1879 gebauten Bahnen, im ganzen rund 3800 km, unentgeltlich ab. Der Bau der neu genehmigten Bahnen erfolgte auf Kosten des Staates, die Gesellschaften leisteten einen festen Betrag von 50 000 Frs. für das Kilometer und schossen dem Staate die Herstellungskosten der neuen Linien vor, die vom Staate nebst Zinsen in Jahresraten zu erstatten sind, soweit sie nicht durch die vom Staate auf Grund des Gesetzes vom 11. Juni 1859 geleisteten Zinsgewährzuschüsse gedeckt sind, deren Gesamtbetrag sich 1883 auf 672 884 308 Frs. belief. Die Westbahn, die sich in besonders bedrängten Verhältnissen befand, brauchte sich indes von den ihr geleisteten 240 Mill. Frs. Zuschüssen nur 160 Mill. anrechnen zu lassen; der Rest wurde ihr erlassen. Für die Verwaltung der Bahnen wurde der Unterschied der beiden Netze aufgehoben. Aus den Reinerträgen des Gesamtnetzes sind zunächst die Zinsen und Tilgungsbeträge für die Obligationen zu entnehmen, sodann eine feste Summe zur Zahlung einer Mindestdividende. Reichen die Erträge zur Zahlung dieser Dividende nicht aus, so schießt der Staat das Fehlende zu, was aus den Reinerträgen späterer Jahre zu erstatten ist. Etwa höhere Reinerträge kommen zunächst bis zu einem bestimmten Betrage den Aktionären zu gute, ein weiterer Überschuß wird zwischen diesen und dem Staate geteilt. Die also vom Staate gewährleisteten Mindestdividenden betragen bei der:

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 147.