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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Französische Litteratur

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Französische Litteratur (Altfranzösische Periode 1150-1230)

zurückgehen; auch die alte Biographie des heil. Faro, Bischofs vou Meaux im 6. Jahrh., beruft sich ausdrücklich auf den epischen Volksgesang, aus dem sie zum Ruhme des Heiligen einige Verse in lat. Umbildung wörtlich anführt. (Vgl. Pio Rajna, Le origini dell'epopea francese, Flor. 1884.) Aus der Zusammenfassung einzelner derartiger Lieder und aus ihrer Bearbeitung durch volkstümliche Sänger gehen dann förmliche Epen (Chanson de geste) hervor, deren Vorhandensein schon für das 9. Jahrh. angenommen wird und für das 19. Jahrh. durch das sog. Haager Fragment sicher bezeugt ist. Denn dieses ist als die Bearbeitung einer Chanson de geste aus dem Sagenkreise des Wilhelm von Orange in lat. Prosa nachgewiesen. (Vgl. G. Paris, Histoire poétique de Charlemagne, Par. 1865, S. 50.) In dieser Zeit war Karl d. Gr. die in dem Mittelpunkt einer reichentwickelten volkstümlichen Epik in franz. Sprache stehende Persönlichkeit geworden, und selbst die Thaten seiner Vorgänger (Karl Martels) wurden auf ihn übertragen. Kämpfe gegen äußere Feinde (Saracenen), Fehden mit unbotmäßigen Vasallen und der Geschlechter untereinander (wie der Lothringer Cyllus) bildeten den Inhalt der epischen Dichtung jener Zeit; doch ist in ursprünglicher Gestalt nichts davon erhalten, da vor dem 11. Jahrh. keine Aufzeichnungen stattfanden. Das Wiederaufblühen der lat. Bildung unter Karl d. Gr. war auch nicht günstig für die selbständige Entwicklung der Litteratur in der Vulgärsprache. Nur das praktische Interesse der geistlichen Erbauung und des Unterrichts veranlaßte seit Beginn des 10. Jahrh. einzelne Kleriker, Gedichte in der Vulgärsprache zu schreiben, die mit Benutzung der schon in der weltlichen Epik ausgebildeten Versformen das Leiden Christi und die Lebensgeschichte von Heiligen in gebundener Rede behandelten. Von dieser Klerikerlitteratur ist das älteste erhaltene Zeugnis die Sequenz von der heil. Eulalia aus dem 9. Jahrh. (zuerst hg. von Hoffmann, "Elnonesia", Gent 1837). Aus dem 10. Jahrh. sind überliefert: das Leben des heil. Leodegar und die Passion Christi (hg. von Diez, "Zwei altroman. Gedichte", Bonn 1852). Das umfangreichste und wichtigste Denkmal ist aber das um 1050 entstandene Alexiusleben (hg. von G. Paris, Par. 1872). Weniger bedeutend ist die hymnenartige Bearbeitung des Hohenliedes aus dem Anfange des 12. Jahrh. und die "eingeschobene Epistel" (Epistre farcie) auf den heil. Stephan. (Die beiden letztern und die übrigen Denkmäler bei Foerster und Koschwitz, "Altfranz. Übungsbuch", Tl. 1, Heilbr. 1884.) Auch von den ältesten Versuchen in franz. Prosa, Bearbeitungen geistlicher Stoffe, sind einige aus dieser Zeit erhalten: das Fragment einer Predigt über den Propheten Jonas (10. Jahrh.), eine Übersetzung der Psalmen (11. Jahrh.) und der vier Bücher der Könige (11. und 12. Jahrh.). Dagegen ist von den in den karoling. Überlieferungen wurzelnden altfranz. Heldenliedern, deren es im 11. Jahrh. schon eine beträchtliche Anzahl gegeben haben muß, nur eins auf uns gekommen, das Rolandslied (s. d.), das nicht allein die älteste und altertümlichste, sondern zugleich die poetisch gehaltvollste, epische Dichtung der volkstümlichen Litteratur Frankreichs ist. Ein dem Rolandslied vielleicht gleichalteriges Denkmal ist "Karls d. Gr. Reise nach Jerusalem" (hg. von E. Koschwitz, 2. Aufl., Heilbr. 1883; vgl. auch Romania, Bd. 10), ein halb ernstes, halb komisches "heroisches Fabliau" in der Form des Heldenliedes (Chanson de geste), das auf der halbgelehrten Sage von Karls friedlicher Pilgerfahrt nach Jerusalem beruht. Außerdem gehört hierher das allerdings handschriftlich erst aus dem 14. Jahrh. überlieferte Fragment "Gormont und Isembart" (vgl. Roman. Studien, Bd. 3, 1879).

Mit Beginn des 12. Jahrh. beteiligen sich mit besonderm Eifer die Normannen an der Pflege der F. L. und Dichtung. Seit 911 im festen Besitz des Landes, das nach ihnen den Namen Normandie empfangen hat, haben diese nordischen Germanen bald die eigene Sprache mit der französischen vertauscht und selbst allen Stoffen der volkstümlichen Heldendichtung der Franzosen eine freundliche Aufnahme bereitet. Gerade die ältesten franz. Epen sind uns in Niederschriften von frankonormann. oder anglonormann. Sprachfärbung überliefert (so das Rolandslied). Denn als der Normannenherzog Wilhelm 1066 die engl. Krone gewann, wurde auch die franz. Sprache in England heimisch und behauptete hierüber 150 Jahre die Vorherrschaft als Sprache der Dichtung und des höhern Verkehrs. Die frühesten noch vorhandenen selbständigen Erzeugnisse auf diesem Gebiete der F. L. knüpfen an die Überlieferung der ältern geistlichen Dichtung Frankreichs an. Es sind Legenden und Traktate zu kirchlichen Zwecken. So schrieb Philippe von Thaon (aus der Gegend von Caen) um 1115 seinen "Cumpoz" (lat. Computus), einen Kalender in Versen, und um 1120 für die engl. Königin ein Tierbuch (Bestiaire, s. d.), während der Verfasser der gleichzeitigen Legende vom heil. Brandan nicht genannt wird. Außer verschiedenen Heiligenleben von Wace, die etwas späterer Zeit angehören, zeugen noch die ältesten franz. Reimchroniken, die bei den Normannen entstanden, von lebendigem Interesse für die eigene Vergangenheit: Geoffroi Gaimar, Wace und Benoit (de Sainte-More) waren in dieser Richtung als poet. Geschichtschreiber für den engl.-normann. Hof thätig.

2) Die Blütezeit der altfranzösischen Periode (etwa 1150-1230). Die Werke der beiden letztern entstanden schon in den Jahren, in denen die F. L. des Mittelalters sich zu reicher Blütenfülle entfaltete. In diesem Zeitraum hatten die franz. Könige ihre unmittelbare Machtsphäre kräftig erweitert in siegreichen Kämpfen gegen mächtige Lehnsfürsten und besonders gegen die als franz. Vasallen und Träger der Krone Englands gefährlichen Plantagenets. Auf sicherer Grundlage ruhte hinfort die Zukunft der franz. Nationalität, und ihre Sprache und Litteratur gewann an Kraft, Ausbreitung und Geltung. Und wie die Pariser Schulen gleichzeitig in der Gelehrsamkeit des Abendlandes die Führung übernahmen, ebenso wirkte der Aufschwung und Reichtum der franz. Dichtung auf die litterar. Entwicklung der roman. und german. Nachbarvölker. Vornehmlich die epischen Werke der Trouvères, in denen der Geist des seit den Kreuzzügen erblühenden Rittertums herrschte, erlangten internationale Geltung.

Es hat den Anschein, als ob der Übergang von der höfischen Reimchronik zum höfischen Roman in Versen zuerst mit der Behandlung antiker Sagenstoffe gemacht wurde, neben denen aber bald auch die kunstmäßigen Bearbeitungen epischer Überlieferungen erscheinen, die in der breton. Volkssage wurzeln, Stoffe, die, mit Freiheit behandelt, sich als ungemein fruchtbar erwiesen für die poet. Verwirklichung und Verklärung ritterlicher Lebensverhältnisse und Zeitideale. Für die frühzeitige Behandlung der Alexandersage