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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Französische Litteratur

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Französische Litteratur (Altfranzösische Periode 1230-1330)

eigentlich dramatischen, nachdem die objektive und subjektive Richtung in der epischen und lyrischen Form jede für sich so durchgebildet waren, daß eine Verschmelzung beider in der dramatischen möglich war. So waren zunächst kleine liturgische Dramen entstanden, als Weihnachts- und Osterspiele in lat. Sprache von Geistlichen zur Feier der Geburt und der Auferstehung des Erlösers gespielt, die allmählich franz. Sätze aufnahmen, ihren liturgischen Charakter abstreiften, vollständig zur Volkssprache übergingen und dann nicht mehr in, sondern seit Mitte des 12. Jahrh. vor der Kirche von Laien gespielt wurden. Von einfachster Gestalt ist das franz.-lat. Spiel von den klugen und thörichten Jungfrauen aus dem Anfang des 12. Jahrh. (hg. von E. Böhmer in dessen "Roman. Studien", Bd. 4, Bonn 1879); rein französisch ist bereits das dem 12. Jahrh. noch angehörende geistliche Schauspiel "Adam" (hg. von Graß, Halle 1891) und das aus dem 13. Jahrh. stammende Fragment "La résurrection du Sauveur"; von den Miracles (d. h. dramatisierten Heiligenlegenden) ist das "Jeu de Saint Nicolas von Jehan Bodel aus Arras, um 1200, das älteste, das in seinen eingestreuten komischen Episoden, die hier einen breiten Raum einnehmen, schon die Keime zum heitern weltlichen Schauspiel enthält. (Vgl. Petit de Julleville, Les mystères, 2 Bde., Par. 1886.)

Als ältestes geschichtliches Prosawerk, das in franz. Sprache geschrieben ist, verdient die "Conqueste de Constantinople" von Villehardouin hervorgehoben zu werden.

3) Von der Regierung Ludwigs IX. bis zur Thronbesteigung der Valois (ungefähr 1230-1330). Seit dem zweiten Viertel des 13. Jahrh. hat der ritterlich-abenteuerliche und volkstümlich-epische Geist in der F. L. sich ausgelebt. Das Bürgertum, unter dem Schutze eines starken Königtums neben dem Rittertum zu einer Macht geworden, erstreckt jetzt auch seinen Einfluß auf den in der Dichtung wirkenden Geist. Von der geistlichen Wissenschaft (Scholastik) und Poesie entlehnen bürgerliche Poeten die Allegorie und den Hang zum spitzfindigen Grübeln, der sich mit der dem dritten Stande eigentümlichen Neigung zur Satire gern verbindet. Die Reflexionspoesie beherrscht den litterar. Markt: die Quellen der Inspiration für das nationale und ritterliche Heldentum sind verschüttet, das allegorisch-satir. und allegorisch-moralisierende Epos tritt auf den Plan. Das erfolgreichste litterar. Erzeugnis des franz. Mittelalters entsteht in dieser Epoche: der "Roman de la Rose", der bis tief ins 16. Jahrh. sein Ansehen als klassisches Werk behauptet hat. Dieses Gedicht, von Guillaume de Lorris um 1237 begonnen und von Jean de Meung, genannt Clopinel, um 1280 beendet, ist der ersten Anlage nach eine zarte allegorische Liebesgeschichte, die aber von dem zweiten Dichter zu einem von scharfer Satire und cynischen Wendungen erfüllten allgemeinen Zeitbilde ausgedehnt wird ("Le roman de la Rose", hg. von Fr. Michel, 2 Bde., Par. 1864). Seit dem beispiellosen Erfolg des Rosenromans wurde die Vision eine beliebte poet. Einkleidungsform und die Allegorie ein bevorzugtes Darstellungsmittel. Es entstand eine allegorische moralisierende Bearbeitung der Metamarphosen (vor 1305, von Chrétien Legouais, "Les métamorphoses d'Ovide moralisées"), eine "Allégorie sur les membres du corps humain" u. a. In "Renart le nouvel" von Jacques Gelée (1288) wird das Tierepos allegorisch zu moralisierenden Zwecken behandelt, im "Roman de Fauvel", von François de Rues, eine polit.-satir. Schrift gegen die Tempelherren in das Gewand der Allegorie gehüllt. Den lehrhaften Zug, der durch die franz. Dichtung ging, bezeugen auch die verschiedenen gereimten Encyklopädien, die in diesem Jahrhundert entstanden, so die "Image du monde" (um 1245) des Gautier von Metz und der "Trésor" des Florentiners Brunetto Latini (um 1270).

Die eigentliche epische Dichtung ist unfruchtbar geworden. Neuschöpfungen in der volkstümlichen Richtung entstehen zur Ausfüllung von Lücken in den einzelnen epischen Kreisen. Sonst beschäftigt man sich damit, alte Chansons de geste im Geschmacke der Zeit umzuarbeiten und auszuweiten (Remaniements). Diese Neubearbeitungen sind bestimmt, gelesen zu werden. Ein geschickter Nachahmer der alten Heldenlieder ist Adenès li Rois, der um 1270 "Berte aux grans piés", "Beuvon de Comarchis" u. a. schrieb; sein Schüler Girart d'Amiens kompilierte um 1300 einen "Charlemagne" (Jugendgeschichte Karls d. Gr.) in Alexandrinern. Adenès verfaßte auch ein Epos in höfischem Stil: "Cléomadès", und Philippe de Remi die beiden Versromane "La manekine" (ein byzant. Stoff) und "Jehan de Dammartin" (1270-80). Einen "Roman de Mahomet" schrieb (1258) Alexandre du Pont zu Laon. Auch die Prosa kommt jetzt auf diesem Gebiete zur Geltung. Bereits zwischen 1250 und 1300 schrieb Baudouin Butors Romane aus dem Artuskreise in Prosa um, und die berühmtesten Heldenlieder, Roland, Fierabras u. s. w., wurden prosaisch gefaßt. Dasselbe Schicksal traf alte Verslegenden (Brandan) und andere epische Dichtungen früherer Zeit. Neue Dichtungen in Prosa aus dieser Zeit sind die "Palamides" ("Guiron li courtois") von Elie, die Kompilation der Geschichten des Artussagenkreises von Rusticien von Pisa (um 1270), die Novelle von König Flore und Belle Jehanne und der Roman von der Comtesse de Ponthieu. Bei dieser Bevorzugung der ungebundenen Rede werden die gereimten Chroniken seltener; zu erwähnen ist die "Chronique rimée" des Philippe Mousket (aus Tournai), die Geschichte Frankreichs bis 1243 behandelnd, und aus späterer Zeit des Guillaume Guiart (von Orléans) "Branche des royaux lignages" (die Jahre 1165-1306 umfassend). Dagegen waren die berühmten "Chroniques de Saint-Denis" seit dem 12. Jahrh. in Prosa geschrieben. Die Zeit von 1180 bis 1260 behandelt eine interessante Prosachronik von Reims. Die höchste Stelle gebührt aber dem Memoirenwerke des Herrn von Joinville, der eine "Histoire de Saint Louis" schrieb (verfaßt 1305-9). Auch Marco Polo aus Venedig schrieb seine Reiseerlebnisse während seiner Gefangenschaft in Genua (1296-98) in franz. Sprache.

Der Minnesang verstummt an den Fürstenhöfen und findet jetzt seine Pflege durch bürgerliche Dichter in den Städten des nordöstl. Frankreichs. Hier entstehen die "Puys", poet. Gesellschaften, in denen ursprünglich Lieder zu Ehren der Jungfrau Maria in dichterischen Wettkämpfen vorgetragen wurden, später auch die weltliche Lyrik Eingang fand. Adam de la Halle (1235-88) aus Arras ist der hervorragendste Vertreter der bürgerlichen Minnedichtung. Neben ihm ist als Vertreter der Pariser Poesie Rustebeuf (gest. um 1280) zu nennen, dessen in der Form halb volkstümliche Gedichte einen scharfen polemisch-satir. Zug haben und in