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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Französische Litteratur

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Französische Litteratur (Altfranzösische Periode 1330-1450)

den Kämpfen zwischen der Kirche und Pariser Universität Partei nehmen. Auch der Spielmann Colin Muset gehört in diesen Kreis bürgerlicher Sänger.

Große Bedeutung gewannen schon in diesem Zeitraum die dramatischen Aufführungen; doch ist von den geistlichen Schauspielen nur eins, das "Miracle de Théophile" (von Justebeuf), erhalten. Wichtig ist, daß nun auch neben dem religiösen Stücke selbständige weltliche Stücke von heiterm Charakter erscheinen. Zwei Gesellschaften, die Innung der Pariser Prokuratorenschreiber (die Basoche, s. d.) und die Puys begründen die komische Bühne. Aus dem Repertoire der letztern sind einige dramat. Scenen aus dem bürgerlichen Leben, das "Jeu de la feuillée" (von Adam de la Halle), aufgeführt 1264, erhalten und ein Schauspiel "Robin und Marion" desselben Verfassers. Die Basoche spielte an ihren Festtagen seit Beginn des 14. Jahrh. lustige Scenen aus dem Gerichtsleben und kleine in dramat. Form gebrachte Schwänke aus dem Leben des untern Bürgerstandes. So entstanden die Farcen (Schwänke oder Possen), von denen jedoch keine erhalten ist.

4) Das Jahrhundert der französisch-englischen Kriege (etwa 1330-1450). Dieser Zeitraum steht in litterar. Beziehung noch vielfach unter den Einwirkungen der allegorisierenden Dichtung. Zugleich ist aber das bezeichnendste für die schriftstellerischen Erzeugnisse ein polit.-histor. Zug. Unter den Geschichtswerken, die wie die "Chronique anonyme des quatre premiers Valois" (1327-93), die Chronik von Jean Le Bel aus Lüttich (1326-61) die Ereignisse des 14. Jahrh. behandeln, erscheinen die "Chroniques de France, d'Angleterre, d'Écosse, d'Espagne et de Bretagne" (1326-1400), von Jean Froissart, als das Bedeutendste überhaupt, was die F. L. dieser Periode aufzuweisen hat. Weniger hervorragend ist Monstrelets Fortsetzung (1400-44) von Froissarts Geschichtsmemoiren. Die Kriege mit den Engländern riefen auch Anläufe zur epischen Behandlung von Zeitereignißen hervor, doch der Mangel poet. Sinnes und die Anwendung der verlebten Formen der alten Heldendichtung waren dem Epos nicht günstig. Der "Combat des trente" (1351) ist von ritterlich-vaterländischem Geiste erfüllt, das gutgemeinte lange Gedicht auf Duguesclin (um 1380) von Cuvelier zeigt das poet. Unvermögen, ebenso die "Geste de Liège" und die "Geste des Bourguignons" (Anfang des 15. Jahrh.), die letzten Versuche in der einreimigen Tirade der Chanson de geste. Das patriotische Lied findet seinen Vertreter in dem Walkmüller Olivier Basselin, der, nach der Überlieferung, von den Engländern 1450 bei Formigny getötet wurde. Von lyrischer Art ist auch das "Dittié" zum Lobe der Jeanne d'Arc, ein warm empfundenes Triumphlied von Christine de Pisan. Als episches Erzeugnis gehört auch hierher der umfangreiche Prosaroman "Perceforest", ein breitspuriges Lehrbuch der Ritterlichkeit, das eine abenteuerreiche Erzählung mit reicher Fülle antiquarischen, heraldischen Wissens und eine Darstellung feiner Lebensart verbindet. Die beliebteste feststehende poet. Form des Zeitalters ist die Ballade, daneben der ähnlich gebaute Chant royal und das Rondel. Die Ballade, obgleich ursprünglich Liedform, wird auch zu lehrhaft trocknen Auseinandersetzungen benutzt. Guillaume de Machault (etwa 1290-1377) hat allein gegen 200 Balladen geschrieben (vgl. Académie des Inscriptions et belles-lettres, Bd. 20), doch wurde sein Dichterruhm bald verdunkelt durch den vielseitigen Verskünstler Eustache Deschamps (etwa 1340-1410), einen Beamten Karls VI., der mehr als 80000 Verse (darunter 1200 Balladen, 170 Rondels und eine Poetik) verfaßt hat. (Vgl. Eust. Deschamps, ?uvres complètes, hg. von Le Queux de Saint Hilaire, Bd. 1-6, Par. 1874-90.) Das anmutigste Balladenwerk ist das dem Marschall Bouciquaut (um 1390) zugeschriebene "Livre des cent ballades", das eine in eine Erzählung eingerahmte höfische Minnelehre enthält. Die seit der letzten Hälfte des 14. Jahrh. am franz. Königshofe heimische Dichtkunst bleibt nüchtern, gelehrt und schwerfällig. Christine de Pisan (1363-1431) und Alain Chartier (1390-1433) behandeln die Verhältnisse des Staats-, Hof- und Kriegslebens in lehrhafter Weise. Der letztere ist ein guter Patriot und ein Mann auch von praktischer Lebensweisheit. In seinen Jugendgedichten hat er der Minne seinen Zoll entrichtet. Doch erscheinen seine und Froissarts Liebesdichtungen erkünstelt und ohne Geschmack im Vergleich zu den Versen (Balladen, Chansons, Rondels) des Herzogs Karl von Orléans (1391-1465). - Von allen litterar. Gattungen gewinnt jetzt das mittelalterliche Schauspiel die höchste Geltung im öffentlichen Leben der Franzosen. Aus dem 14. Jahrh. sind über 40 Mirakelspiele überliefert (vgl. Paris und Robert, Miracles de Nostre Dame par personnages, Bd. 1-7, Par. 1876-85), in denen meist Marienwunder dramatisiert sind. Um 1395 ist auch das "Histoire de Griselidis" betitelte Schauspiel entstanden. Seit Beginn des 15. Jahrh. beherrschen die "Mystères" (ein Name, der jetzt gebräuchlich wird, und mit dem man vorzugsweise die dramat. Behandlung biblischer Stoffe bezeichnet) die religiöse Volksbühne. Dergleichen Stoffe werden mit großem Aufwand in Scene gesetzt. In Paris hat seit 1402 eine Bruderschaft, die "Confrérie de la passion" (s. d.), das Vorrecht für die Veranstaltung geistlicher Spiele erhalten. Unter den erhaltenen Mysterien, die ganze Cyklen, wie den des Alten Testaments, den des Neuen Testaments umfassen, ist das berühmteste das Mystère vom Leben Christi von Arnoul Greban (etwa 1420-60) und "Les actes des apostres" von Simon Greban. Interessant, weil ein Thema aus der Zeitgeschichte behandelnd, ist das "Mystère du siège d'Orléans" (um 1440; vgl. F. Guessard und E. de Certain, Le mystère du siège d'Orléans, Par. 1862). Gleichzeitig hat auch die Verbindung der Allegorie mit dem Volksschauspiel zwei neue Formen des weltlichen Dramas ins Leben gerufen, die "Moralité" und die "Sottie". Beide Formen sind von ausgesprochen satir. Richtung. Die Moralités, deren älteste erhaltene (entstanden um 1440) die "Farce de la Pippée" ist, sind vielleicht von der Basoche zuerst aufgebracht worden, als diese, nachdem der Passionsbruderschaft für geistliche Aufführungen ein Privileg erteilt worden, durch die Einführung einer neuen Art Schauspiel ihren Darstellungen neue Anziehungskraft geben wollte. Die Moralitäten verfolgen einen moralischen Zweck, indem sie entweder Tugenden und Laster personifizieren, oder auch in einer Mischung von allegorischen oder wirklichen Personen ein geschichtliches Ereignis oder eine Parabel mit moralischer Nutzanwendung in Handlung umsetzen. Das komische Gegenstück zur Moralité ist das Narrenspiel, die "Sottie" (vgl. E. Picot, La sottie en France, Romania, Bd. 7). Diese ist höchst wahr-^[folgende Seite]