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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Galilei
lichte er dic Abhandlung über das passive Schwim-
men, worin er nachwies, daß dieses unabhängig von
der Gestalt des Korpers sei. In der 16 13 erschienenen
Schrift über die Sonnenflecken verteidigte G. dann
offen dic Kopernikanische Lehre, ohne sich jedocb auf
die Frage nach dem Verhältnis derselben zur Welt-
anschauung der Bibel einzulassen. Letzteres geschah
zuerst in dem datierten Schreiben vom 21. Dez. 1613
an P. Castelli, einen der eifrigsten Schüler G.s,
worin der Satz einwickelt wird, die Theologie habe
zuzusehen, das; sie die Bibel in Übereinstimmung mit
den festgestellten Thatsachen der Naturwissenschaft
erkläre. G.s Gegner, welchen der Brief nicht unbe-
kannt blieb, wiewohl er erst nur handschriftlich ver-
breitet wurde, glaubten sich uun verpflichtet, zum
offenen Angriff überzugehen. Der Pater Caccini
griff am 4. Adventssonntag 1614 G. und seine An-
hänger öffentlich von der Kanzel aus an und Pater
Lorini denunzierte 15. Febr. 1615 G. bei dcr röm.
Inquisition als Häretiker.
Jetzt begann dic Inquisition sich ernstlich mit
G. zu befassen. Dieser, in der Hoffnung, der Koper-
nikanischen Lehre zum Siege verhelfen zu tonnen,
begab sich im Dez. 1615 freiwillig nach Rom, wo er
sich bis Anfang Juni 1616 aufhielt. Während er
daselbst weilte, fand der erste Inquisitionsprozeß
gegen ihn, genauer gegen die Kopernikanische Lehre
statt. Elf Tbeologcn, die sog. "Qualisikatoren des
Heiligen Offiziums", erklärten am 23. Febr. 1616 dic
zwei aus dcr Denunziation Eaccinis entnommenen
Sätze: 1) "die Sonne ist der Mittelpunkt der Well
und darum unbeweglich", und 2) "die Erde ist nicht
der Mittelpunkt der Welt und nicht unoewcglicb,
sondern sie bewegt sich täglich um sich selbst", für
abfurd philosophisch betrachtet, außerdem den ersten
sür formell häretisch, sofern er mit dem Wortlaut
der Heiligen Schrift im Widerspruch stehe, den zwei-
ten für einen folchen, der mindestens einen dog-
matischen Irrtum enthalte. Darauf hin wurde in
der Sitzung vom 25. Febr. vom Papste Paul V. bc-
foblen, der Kardinal Bellarmin solle G. ermähnen,
daß er dic genannte Meinung (die Kopcrnilauische
Lehre) aufgebe, und wenn er sicb weigern sollte zu
gehorchen, so sollte der Pater Komnnssarius ihn:
den Befehl erteilen, daß er sich schlechthin enthalte,
eine solche Meinung zu lehren, zu verteidigen oder
auch nur zu besprechen; wenn er sich aber dabei
nicht beruhigte, so sei er "einzukerkern". G. fügte
sick diefer Ermahnung, und hiermit war der Prozeß
von 1616 zu Ende. Äm 5. März wurde sodann ein
Dekret der Indcrkongrcgation ausgefertigt, durch
welches einige dic Kopcrnikanischc Lehre vertei-
digende Werke und auch das Buch des Kopernitus
selbst, "bis es korrigiert wäre", verboten wurden.
G.s und scincr Schriften geschieht in diesem Dekret
gar keine Erwähnung.
Im Okt. 1623 veröffentlichte G. eine "N 8^'ia-
toi-6" betitelte Streitschrift gegen den Jesuiten
Grassi, ein nocb immer unübertroffenes Muster
scharfer, zermalmender Polemik. Die Jesuiten
denunzierten das Werk fofort bei der Inquisition,
doch wurde es nach genauer Prüfung nicht bloß
nicht verboten, sondern belobt und empfohlen', auch
Nrban V11I. hatte an dem ihm gewidmeten Vucbe
große Freude. Durch diesen Erfolg ermutigt, ent-
schloß sich G., mit seinem Hauptwert hervorzutreten.
Nach 6 Jahren war es (April 1630) vollendet: im
Febr. 1632 erschien das epochemachende Werk mit
dem "Imprimatur" des röm. sowohl als auch des
florentin. Inquisitors verseben. W trug den Titel:
< l)i3.1oF0 äi (?a1ii60 (Fgiiißi, I^inc60, uiktßiuatico
5s>1)rg,0i'l1iiiki'i0 cleiio 8tuäio äi?i83>. 6 tiloäolo 6
illl^6ni9.tic0 primario ä6i 86i'6ni38imc> (^r. Dnca.
(Ii I'08carm. I)ove noi c0NFi'088i äi ^uNttro Fior-
nut6 81 äi"coiro 80^13. i <Iu6 ina83imi 8i8t6ini dei
inonäo, 1'oi6inaico 6 ^o^Li'nicano-, ^i'oponenäo
iliä6t6i'iuinaiHin6nt6 1s rg^ioni tilc)5oiieli6 6 na-
tn^I,1i tanto ^)Li' I' nna, huiinto P6r 1 altlH party."
Das in Gefprächsform abgefaßte Buch ist eine
glänzende Verteidigung des Kopernikanischen Welt-
systems, worin G. die Ergebnisse seiner langjährigen
Forschungen und Entdeckungen niederlegte, dabei
aber die Bedingung, dic Kopernikanifche Lehre bloß
in hypothetischein Sinne zu behandeln, äußerlich
wenigstens, möglichst zu erfüllen sich bemühte. Die
Wirkung war eine überwältigende. Während seine
Freunde über dao Erscheinen des Werkes jubelten,
boten G.s Feinde entsetzt alles auf, den geistes-
mächtigcn Gegner zu verderben. Zunächst wurde
Nrban VIII., der frühere Freund G.s, durch dic ihm
aufgebundene Lüge, unter der Maske des Sim-
plicius (einer der Intcrlocutoren in G.s Dialog,
dem die Nolle der Verteidigung des Ptolemäiseben
Systems zufällt) fei er, der Papst, selbst geineint,
gegen den großen Gelebrtcn aufgebracht. Dann
fand sich eine Registratur vom 26. Febr. 1616, wo-
nach G. vorn Generalkommisfar der röm. Inqui-
sition den strengen Befehl erhalten haben sollte, die
Kopcrnitanischc Lehre "ganz und gar aufzugeben
und sie fernerhin weder in irgend einer Weise sest-
zuhalten, noch durch Wort oder Schrift zu lebren
oder zu verteidigen". Auf Grund diefes von unab-
bängigen Forschern als spätere Fälschung, von
jesuitischen Schriftstellern als echt bezeichneten Do-
luments wurde G. dcs Ungehorsams gegen einen
erhaltenen positiven Befehl des Heiligen Offiziums,
den er bei Auswirkung der Druckerlaubnis betrü-
gerischerweise verschwiegen haben sollte, angeklagt.
Im Aug. 1632 wurde der Verkauf des "via-
I<"3'0" verboten, am 23. Sept. der 68jährige For-
scher nach Rom citiert. Am 13. Febr. 1633 langte
G. in Nom an. Vom 12. April bis zum 21. Juni
wurde er viermal verhört; vom 12.bis zum30. April,
dann wieder vom 21. bis 24. Juni, im ganzen also
23 Tage, faß er gefangen im Inquisition^palast;
am 22. Juni 1633 mußte er die Kopernikanische
Lehre öffentlich und feierlich abschwören. Das ge-
flügelte Wort: "Uppur 8i MU0V6" ("und sie bewegt
sich doch!") hat der innerlich gebrochene Greis da-
bei nicht gesprochen; die Nachwelt hat es ihm in
den Mund gelegt, um seine Gefühle, zugleich aber
auch den Sieg der wissenschaftlichen Forscbung da-
mit auszudrücken. Die Frage, ob G. gefoltert wor-
den sei, ist nicht entschieden. (Vgl. Woblwill, Ist
G. gefoltert worden? Lpz. 1877; Ecartazzini, 11
IN'0C6830 6i l^. (^. 6 Ik moäernH critica. 56^6309.,
Flor. 1878.)^
Im Inquisitionsurteil war G. auf unbestimmte
Zeit zu förmlicher Kerkerhaft im Heiligen Offizium
verurteilt worden. Urban VIIl. verwandelte diefe
Strafe in cine leichte Haft in der Villa des Groß-
berzogs von Toc^ana auf Trinitä dei Monti in
Rom; später wurde G. gestattet, siä' r.ach Siena
und Ende 1633 nach seiner Villa Arcetri bei Florenz
zurückzuziehen. Dort arbeitete er, obwohl seit Dez.
1637 gänzlich erblindet, unermüdet weiter. 1637
entdeckte er die Libration der Mondkugel; in sei-
^ nem 1638 zu Leiden erschienenen zweiten Haupt-