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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Geburtsstatistik

schlagende Wirkung auf die Häufigkeit der Konzeptionen auszuüben.

Von großem moralstatist. Interesse ist die Verteilung der Geburten nach Ehelichkeit und Unehelichkeit. Wirft man von diesem Gesichtspunkte aus einen Blick auf die einzelnen Staaten, so darf auch das Verhältnis der ehelichen und unehelichen Geborenen zur Zahl der verheirateten, bez. ledigen gebärfähigen Frauen auf Beachtung Anspruch erheben, zumal da durch die erstere der beiden Ziffern der eheliche Kinderreichtum einen befriedigenden statist. Ausdruck findet. Während der J. 1871-1885 entfielen auf:

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Staaten 100 Geborene 100 Gebärfähige und zwar

eheliche uneheliche verheiratete ehelich Geborene ledige unehelich Geborene

Deutsches Reich 90,97 9,03 28,35 3,60

Preußen 92,26 7,74 28,69 3,15

Bayern 87,40 12,60 31,72 5,10

Sachsen 87,05 12,95 27,73 6,06

Württemberg 91,54 8,46 33,57 3,70

Baden 91,85 8,15 28,72 2,89

Elsaß-Lothringen 92,39 7,61 27,38 2,45

Belgien (ohne Totgeborene) 92,45 7,55 26,92 2,24

Frankreich (ohne Totgeborene) 92,60 7,40 16,79 1,95

Schweiz 95,00 5,00 24,88 1,41

Dänemark 89,54 10,46 24,48 3,32

Schweden 89,58 10,42 24,66 2,80

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Für die Würdigung dieser Thatsachen ist nicht außer acht zu lassen, daß die Häufigkeit der unehelichen Geburten an sich noch keinen unbedingt zuverlässigen Maßstab für die Beurteilung der sittlichen Zustände eines Landes abgiebt. Nicht nur, daß die gewiß verwerfliche Prostitution die unehelichen Geburten zu vermindern strebt, auch die verschiedenartige wirtschaftliche Lage der Bevölkerung, das ländliche Erbrecht sowie der Zustand der Ehegesetzgebung üben einen beachtenswerten Einfluß auf die Frequenz der unehelichen Geburten aus. Wie sehr der letztgenannte Faktor von Bedeutung sein kann, lehren die bayr. Verhältnisse, wo bis 1868 die Eheschließungen rechtlich äußerst erschwert waren, infolgedessen 1835-60 unter 100 Geborenen 21,1, 1860-68 gar 22,2 uneheliche gezählt wurden.

Die Gefährdung des menschlichen Lebens vor der Geburt kommt in der Zahl der Totgeborenen zum Ausdruck. Im Deutschen Reich entfielen auf 100 Geborene überhaupt Totgeborene in den J. 1841-50: 3,9, 1851-60: 4,0, 1861-70: 4,1, 1871 -80: 4,0 und 1881-90: 3,7. Die deutschen Einzelstaaten weichen hiervon nur wenig ab. Größere Unterschiede treten bei einem internationalen Vergleich hervor. Das Prozentverhältnis der Totgeborenen betrug 1871-85 in den Niederlanden 5,11, in Frankreich 4,47, in Belgien 4,41, in der Schweiz 4,12, in Norwegen 3,39, in Italien 3,03, in Dänemark 3,12, in Schweden 2,97, in Österreich 2,52 und 1876-85 in Ungarn 1,72. Leider beruht die Feststellung der Totgeburt in den einzelnen Ländern nicht auf denselben Grundsätzen. Auch wird aus religiösem Interesse, namentlich in kath. Gegenden, die Thatsache einer Totgeburt vielfach verheimlicht und das Kind als kurz nach der Geburt verstorben registriert. Es darf als feststehend gelten, daß unter den unehelichen Geburten verhältnismäßig mehr tote sind als unter den ehelichen, weshalb schon eine größere außereheliche Fruchtbarkeit (s. oben) die Zahl der Totgeborenen steigern kann.

Die Untersuchungen über das Geschlecht der Geborenen sind so alt wie die bevölkerungsstatist. Studien überhaupt. Schon im vorigen Jahrhundert hat Süßmilch auf den konstanten Knabenüberschuß aufmerksam gemacht und Wappäus fand durch Beobachtung einer Zahl von 58¼ Mill. Geborenen in den größern europ. Ländern, daß auf 100 Mädchen 106,31 Knaben entfielen. Die neuern Berechnungen führen ungefähr zu dem gleichen Ergebnis. Es kamen nämlich auf 100 Mädchen 1872-88 im Deutschen Reich 106,2, 1871-85 in Preußen 106,3, in Bayern 106,4, in Sachsen 106,0, in der Schweiz 106,2, in Österreich 106,6, in Norwegen 106,4, in Belgien 105,7, in Italien 107,0, 1872-85 in Württemberg 105,1, in Baden 105,5, in Elsaß-Lothringen 106,0, 1876-85 in Ungarn 105,6, in Frankreich 104,3 und in Schweden 106,2 Knaben. Die überraschende Regelmäßigkeit dieser Erscheinung hat zu zahlreichen Erklärungsversuchen angeregt. Am bekanntesten ist die Hofacker-Sadlersche Hypothese, nach der das Alter der Eltern auf die Geschlechtsbildung des Kindes derart von Einfluß ist, daß das höhere Alter des Mannes gegenüber der Frau die Tendenz einer Knabenqeburt in sich schließt. Obwohl nun auch die Thatsache des höhern Durchschnittsalters des Mannes im Vergleich zur Frau (s. Ehestatistik) dieser Theorie eine Stütze verleiht, ist sie doch wegen ihrer Unvereinbarkeit mit den Ergebnissen der neuern Bevölkerungsstatistik aufgegeben worden. Vorläufig muß die Regelmäßigkeit des Knabenüberschusses noch als wissenschaftliches Rätsel betrachtet werden, das zu lösen auch neuerdings wieder mehrfach versucht worden ist. Im allgemeinen pflegt der Knabenüberschuß bei den ehelich Geborenen etwas größer zu sein al5 bei den unehelichen. Dies gilt insbesondere auch für das Deutsche Reich, wo 1872-85 unter den Ehelichen 51,51 Proz. Knaben und 48,49 Proz. Mädchen und unter den Unehelichen 51,29 Proz. Knaben und 48,71 Proz. Mädchen gezählt wurden. Weit stärker ausgeprägt erscheint überall der größere Knabenüberschuß unter den Totgeborenen im Vergleich zu den Lebendgeborenen; unter diesen waren 1872-85 im Deutschen Reich 51,30 männliche und 48,70 weibliche, unter jenen hingegen 56,23 männliche und 43,77 weibliche Geborene. Das Leben der Knaben ist also schon vor und bei der Geburt stärker gefährdet als das der Mädchen.

In betreff der Mehrlingsgeburten befanden sich unter 100 Geborenen überhaupt:

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Staaten Jahre Einfache Geborene Mehrlingskinder Darunter Zwillinge Darunter Drillinge u.s.w.

Preußen 1876-85 97,52 2,48 2,44 0,04

Bayern 1876-85 97,52 2,48 2,44 0,04

Sachsen 1876-85 97,68 2,32 2,29 0,03

Ungarn 1876-85 97,23 2,77 2,72 0,05

Norwegen 1876-85 97,33 2,67 2,62 0,05

Frankreich 1876-85 98,01 1,99 1,96 0,03

Schweiz 1871-85 97,61 2,39 2,35 0,04

Italien 1871-85 97,59 2,41 - -

Österreich 1871-85 97,65 2,35 2,30 0,05

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Wirft man schließlich noch einen Blick auf die Fruchtbarkeit der Ehen, so muß man sich aller-^[folgende Seite]