Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Diese Seite ist noch nicht korrigiert worden und enthält Fehler.

659
Gefühlssinn - Gefüllte Blumen
Letztere Ansicht nützt sich auf den engen Znsammen- ^
hang, in dem erfahrungsgemäß G. und Wille ge-
geben sind, und auf die relative Selbständigkeit, ^
welche die G. den Empfindungen gegenüber bebaup-
ten. In diesem Sinne ist das G. als die Reaktion ^
der Apperception gegen Empfindungen und Vor- ^
stellungen oder Verbindungen derselben aufzufassen.
In neuester Zeit hat man versucht die G. dadurcb
erpcrimentell zu erforschen, daß man ihre organischen
Begleiterscheinungen oder Folgezustände feststellte. !
Wegen der Mannigfaltigkeit, die den Deutungen so
erhaltener Volum-, Puls-, Atmungsknrven inne-
wohnt, ist aber den Resultaten noch keine Sicberbeit
beizumessen. Steigerung des Volumens, Beschleu-
nigung von Puls und Atmung scheinen im allge-
meinen als die konstanten Merkmate der Lustzustände,
Verringerung des Volumens, Verlangsamung von
Puls und Atmung als die der Unlustzusta'nde ange-
sehen werden zu dürfen. Ferner scheint die Inner-
vation der willkürlichen und unwillkürlichen Mnokeln
im ersten Falle erhöht, im zweiten Falle gestört (aber
nicht schlechthin verringert) zu sein.
Das G. als solches, namentlich in den höhern
Graden seiner stärke, bleibt immer der rubigen
Überlegung entgegengesetzt; es ist mannigfaltigen
Irrtümern und Täuschungen ausgesetzt: es reißt
den Menschen zu Handlungen fort, die eine ruhige
Prüfung nicht ausbalten. Daß die Menfchen ge-
wöhnlich sich lieber ihren G. überlassen, als die
Mühe der Prüfung und Überlegung auf sich neh-
men, ist sehr natürlich: eben deshalb ist es von
Wichtigkeit, daß das G. richtig gebildet werde, z
Menschen, die sich in ihrer Art, die Dinge und Ver-
hältnisse aufzufassen und zu behandeln, vorzugs-
weise von G. leiten lassen, nennt man Gefübls- >
menschen, die nicht zu verwechseln sind mit Men- '
schen, die wobl auch starke und lebhafte G. haben, !
aber diese einer innern Kontrolle unterwerfen. ^
V e r st ande s mens ch en nennt man die, die gewissen !
G., namentlich denen der Teilnahme, schwer zugäug- ^
lich sind, oder ihnen wenigstens aus Rücksichten der j
Klugheit, des Eigennutzes u. s. w. keinen Einfluß auf
ihr Handeln gestatten. Die Gefühllosigkeit bat
entweder in natürlicher Noheit ihren Grund, wie sie
harte Lebensart und ungebildete Sitten mit sich
bringen, oder in einer durch übermäßige oder über-
feinerte Genüsse bewirkten Abstumpfung, die der
Blasiertheit verwandt ist. ^u den interessantesten
Gefüblserscheinungen gehören die G. der Sympatbic-
und Antipathie, welche auf der Fähigkeit beruhen, die
durch G. und Begehrungen verursachten Mienen und
Gebärden fremder Personen auf unwillkürliche Art
in der eigenen Phantasie zu wiederholen oder nach-
zuahmen, und zwar so, daß die G. und Begebrungen,
denen sie entsprechen, zugleich mit ihnen ins Bewußt-
sein treten und sich dadurch als unzertrennlich nnd
instinktartig mit ihnen verknüpfte Gemütszustände
zu erkennen geben. Sind uns diese Gemütszustände
genehm, sodaß wir sie uns gern aneignen, so ent- ^
steht Sympathie; im andern Fall Antipathie.
Vgl. außer der allgemeinen Litteratur (s. Psycho- ,
logie) hauptsächlich: Beneke, Psycbolog. Skizzen,
(Bd. 1: Skizzen zur Naturlehre der G., Gott.
1825): Nahlowsky, Das Gefühlsleben (Lpz. 1862:
2. Aufl. 1884): Dumont, Vergnügen und Schmerz
(Bd. 22 der "Internationalen wissenschaftlichen Bi-
bliothek", ebd. 1876); Grot, Psychologie der G. (rus-
sisch, Petersb.1880): A.Lehmann,Hanptgesetzedes !
menschlichen Gefüblslebens. Übersetzt von Bendiren ^
(Lpz. 1892); Dicz, Theorie des G. zur Begründung
der Ästhetik (Stuttg. 1892); Ziegler, Das G. (2. AuL,
Stuttg. 1893). sund Tastsinn.
Gefühlssinn, s. Gefühl (psychol.), Gemeingefühl
Gefüllte Blumen, die Blumen, deren Zabl
der Blumenblätter vervielfacht ist; halbgefüllt,
aucb wohl doppelt nennt man sie, wenn sich nur
zwei oder drei Kreise von lockern Blumenblättern vor-
finden. G. V. sind zu allen Zeiten geschätzt worden;
vervielfältigte und dadurch stärker wirkende Farben-
flüchen verleihen ihnen einen höhern Zierwert.
Auch erhalten sie sich länger in ihrer Iugendfrische,
als einfache Blnmen derfelben Art, da sie meistens
nickt, wie die lctztern, durch Erzeugung der Frucht
erschöpft werden und da sie bei eintretender Er-
schlaffung des Zellgewebes einander tragen. An-
dererseits aber gehen durch die Füllung manche in
der Modellierung und im Farbenkontrast beruhende
Werte und ästhetische Besonderheiten verloren, bei
manchen Nosen die edle ^chalenform, bei der Gar-
tenwinde der trichterförmige Bau, bei manchen For-
men des Rittersporns und der Akelei der Sporn u.s.w.
Die Blumenfüllung tritt nnr fpontan auf; die
Nrsacken sind bis jetzt noch unerforscht geblieben,
doch darf man annehmen, daß häufig veränderte
klimatische und Bodenverhältnisse im Spiele sind.
Auf den natürlichen Standorten der Gewächse
kommen Vorgänge solcher Art nnr ausnahmsweise
vor, z. B. bei dem Wiesenschaumkraut auf den
feuchten Wiesen des nördl. Abhanges des Thürin-
gerwaldes sehr häufig, auch bei dem Schölltraute,
gelegentlich bei einigen Blütendolden der Vogel-
tirsche u. a. m. Im übrigen aber scheint es einer
wiederholten Veränderung der Lebensverhältnisse
zn bedürfen, um die Neigung zum Gefülltwerden
bei den Knltnrgewächsen zu wecken, und weiterhin
einer aufmerksamen und konsequenten Zuchtwahl,
um sie zu befestigen und in der beim ersten Auf-
treten der Füllnng angedeuteten Form zu vervoll-
kommnen. Die Füllung der Blumen entsteht durch
Umwandlung oder Rückbildung der Staubgefäße
Fiss. 1.
(Staubblätter), nicht fetten auch des Stempels
(Fruchtblätter) in Blumenblätter. Dieser Vorgang
ist nachgewiesen durch allmähliche Übergänge zwi-
schen Staub- und Blumenblättern, wie sie in man-
chen Blüten wildwachsender Pflanzen beobachtet
werden, fast regelmäßig bei der Seerose (5^m-
pliaeH aida. 2^.). Diese stufenweife Verbreiterung,
besser V erblätterung, ist durch vorstehende Fig. 1,
Blume und Staubgefäße der genannien Pflanze
darstellend, veranschaulicht. Es findet somit hier
eine rückwärts schreitende Metamorpbose (s. d.) statt.
42*