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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Geheime Verbindungen

gegenzusetzen oder gar unhaltbare Zustände zurückzuführen. Von G. V. liefert schon die Geschichte der alten Kulturvölker zahlreiche Beispiele in den Berichten von ind., ägypt. und andern Priesterorden mit esoterischen Lehren und Gebräuchen, von den Mysterien (s. d.) der Griechen, vom Pythagoräerbunde, von der jüd. Sekte der Essener und den vom röm. Staate verurteilten Kulten. Das Mittelalter weist zahlreiche, mit der Kirche in Widerspruch tretende und von ihr mit dem Banne belegte religiöse Verbrüderungen auf, die Tempelherren mit ihrem Geheimtreiben, die Katharer und Waldenser u.a.; ferner die Femgerichte und Bauhütten in Deutschland.

Zahlreiche Geheimbünde traten dann im 17. Jahrh. ins Leben, die teils die Erlangung übernatürlicher Fertigkeiten, wie Geisterbannen, teils die Lösung alchimistischer Probleme zum Zweck hatten. Auch die besonders seit Anfang des 18. Jahrh. aus England nach dem Kontinent verbreitete Freimaurerei (s. d.) vernachlässigte zum Teil ihre humanitäre Aufgabe, indem sie sich in Geheimniskrämerei verlor und den Vorschriften unbekannter Obern huldigte. Dieses ganze Jahrhundert erfüllte sich mit zahllosen Gebeimbünden. Jede kleine Stadt hatte ihre Maurer- oder Illuminatenloge, wo sich dann freilich in den letzten Decennien des Jahrhunderts auch wenig erbauliche Erscheinungen zeigten, namentlich ein ungesunder Mysticismus bei den ursprünglich rein humanitären Geheimbünden der Maurer und der Rosenkreuzer (s. d.). Der von Weißhaupt in Ingolstadt gegründete Orden der Illuminaten (s. d.) wagte sich mit noch ungeklärten Ideen auf das Gebiet der Politik, wo er übrigens rasch viele Proselyten machte und sich lange noch nach seiner Aufhebung 1787 insgeheim forterhielt.

Aber erst als Napoleon I. mit der Anarchie zugleich die Freiheit zu ersticken drohte, entstanden immer häufiger geheime polit. Verbindungen, wie die der Philadelphen (s. d.), die sich, ungeachtet aller Gegenmaßregeln, bis zum Sturze des Kaisers erhielten, die "Charbonniers" im östl. Frankreich, deren Propaganda in Italien die Carbonari (s. d.) ins Leben rief. In Deutschland hatte sich zur Zeit der Napoleonischen Herrschaft die Idee des nationalen Widerstandes zunächst (1808) in den "Tugendbund" (s. d.) geflüchtet, dessen Satzungen übrigens der Staatsregierung bekannt waren, und der sich schon 1810 wieder auflöste. Er gab aber trotzdem noch mehrere Jahre hindurch den Namen her für alle anti-franz. Agitation in Deutschland. Wirkliche Geheimbünde deutscher Patrioten waren der von Jahn und Friesen (1810) gegründete "Deutsche Bund", der "Eiserne Bund", der Bund der "Charlottenburger" u. a. Wie in Deutschland und Italien bildeten sich auch anderwärts G. V. mit durchaus nationaler Tendenz, namentlich als mit dem Siege über die revolutionäre Monarchie Napoleons und ihre grenzenlose Eroberungssucht das Legitimitätsprincip zu neuer Geltung kam, das der nationalen Strömung meist ebenso fremd oder gar feindlich gegenüberstand wie die Universalherrschaft des Corsen. Einen entschieden nationalen Charakter hatte die 1795 gestiftete und 1814 erneuerte "Hetärie" (s. d.) der Griechen zur Befreiung von der türk. Herrschaft und die seit 1817 unter den Polen gestifteten G. V. unter den Namen des "Patriotischen Vereins", des Bundes der "Sensenträger", der "Strahlenden", der "Philareten" und der "Templer". Die teilweise Entdeckung der letztern führte zu ihrer Verschmelzung in dem "Patriotischen

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Verein", der sich mit dem über Rußland, besonders in den südwestl. Provinzen, verzweigten Geheimbunde in Verkehr setzte. Der mißglückte Ausdruck der Verschwörung in Petersburg nach Alexanders I. Tode (s. Dekabristen) hatte auch die Auflösung des poln. Patriotischen Vereins zur Folge, an dessen Stelle 1828 eine Geheime Verbindung zunächst in der Warschauer Militärschule entstand, die, zu einem Jünglingsbunde erweitert, den Anstoß zur poln. Erhebung von 1830 gab. Auch nach der Unterdrückung dieses Aufstandes dauerten die zum Teil von der Emigration in Frankreich geleiteten Versuche zur Gründung revolutionärer Gesellschaften fort, ungeachtet zahlreicher Entdeckungen und harter Bestrafungen der Beteiligten, und führten zu den Bewegungen von 1846, 1848 und 1863.

Im Westen und Süden Europas war das Ziel der G. V. seit der Restauration von 1815 und der damit verbundenen Reaktion neben den erwähnten nationalen Einigungsabsichten auch auf die Einführung wirklich verfassungsmäßiger Zustände gerichtet. So hatten in Italien die Carbonari, weniger die Camorra und Mafia, in Spanien die sog. Freimaurer und Comuneros eine entschieden liberale, zum Teil demokratische Färbung. In Frankreich bildeten sich solche Verbindungen zunächst im Interesse der Napoleonischen Dynastie unter verschiedenen Namen, wie Verein der schwarzen Nadel, der Patrioten von 1816, der Geier Bonapartes, der Sonnenritter, der europ.-reform. Patrioten, der allgemeinen Regeneration. Diese verschmolzen später unter sich und mit den Carbonari, sodaß Paris Hauptsitz der Charbonnerie wurde. Bald nach dem Frieden entstand auch in Deutschland, namentlich in den Rheingegenden, eine vom frühern Tugendbunde manches entlehnende Geheime Verbindung, die aber bald einging. Später ging aus der allgemeinen deutschen Burschenschaft (s. d.) ein Jugendbund hervor, zum Teil als Opposition gegen die sog. Adelskette und gegen jesuitische Umtriebe. (S. Unbedingte.)

Eine neue Phase in der Geschichte der G. V. beginnt mit der franz. Julirevolution 1830. In Frankreich gingen aus der karlistischen Partei Gesellschaften wie die der Chevaliers de la légitimité hervor. Die republikanische Partei erzeugte eine neue Charbonnerie démocratique, und als Bestandteil der zahlreichen Gesellschaft der Menschenrechte bildete sich eine besondere Section d'action. Nachdem sodann in Italien erneuerte revolutionäre Versuche gescheitert waren, stifteten mehrere Flüchtlinge, z. B. Mazzini (s. d.), in Opposition mit der franz. Charbonnerie, das Junge Italien, nach dessen Vorbild ein Junges Deutschland, Junges Polen, Junges Frankreich und eine Junge Schweiz entstanden, die als Junges Europa (s. d.) in gegenseitigen Verkehr zu treten suchten. Zum Teil aus den Trümmern früherer Vereine, zum Teil aus der Carbonaria und dem Jungen Europa bildete sich in Spanien seit Ferdinands VII. Tode (1833) eine Menge geheimer Gesellschaften, wie die der Isabellinos, der hohen Templer, der Menschenrechte, der unregelmäßigen Freimaurer und das zu Barcelona gegründete Junge Spanien. Diese Vereine bezweckten entweder nur eine Abwehr des karlistischen Despotismus und der Priesterherrschaft, oder sie gingen auf Herstellung der Konstitution von 1812 oder der Republik aus. Ihnen gegenüber traten mehrere karlistische Vereine auf, wie die Sonnenritter, während der gemäßigte Liberalismus zur Gesellschaft der Jovellanisten hielt. In ähnlicher