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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gehirn

griech. chi nicht unähnlichen Nervenknoten, aus dem nach vorn die beiden Sehnerven <s. Fig. 4, 7) austreten, während er sich nach hinten in die Tiefe des Großhirns senkt und daselbst in den beiden sog. Sehstreifen endigt. Hinter der Sehnervenkreuzung liegt der graue Hügel (tuber cinereum), eine graue dünne Platte, die einen Teil des Bodens der mittlern Hirnkammer bildet und sich zu einem kegelförmigen, nach vorn und unten gerichteten hohlen Zapfen, dem Trichter (infundibulum) verlängert. An dem untern soliden Ende des Trichters ist der Hirnanhang (hypophysis cerebri s. glandula pituitaria, s. Fig. 4, 6) befestigt, ein rundliches drüsenähnliches Gebilde von unbekannter Bestimmung, das in der Aushöhlung des sog. Türkensattels am Keilbeinkörper gelegen ist. An den grauen Hügel schließen sich nach hinten die beiden Markhügel (corpora mamillaria, s. Fig. 4, 9) an, zwei weiße, halbkugelige, erbsengroße Körper; hierauf folgen die hintere Siebplatte, die den hintern Teil des Bodens der mittlern Hirnkammer bildet, und die beiden Hirnschenkel oder Hirnstiele (pedunculi s. crura cerebri), zwei breite dicke Markmassen, die aus der Brücke des verlängerten Marks hervortreten, sich nach vorn und außen in die Hemisphären einsenken und das verlängerte Mark mit dem Großhirn in direkte Verbindung bringen.

Wenn man durch die Großhirnhemisphären in der Höhe des Balkens einen horizontalen Schnitt legt, so gelangt man in die Hirnhöhlen (ventriculi cerebri), und zwar zunächst in die beiden symmetrisch angeordneten, mit einer geringen Menge wässeriger Flüssigkeit erfüllten Seitenventrikel (s. Fig. 2,6), deren jeder wiederum drei bogenförmig gekrümmte, sich nach verschiedenen Richtungen in die Markmasse des Großhirns einbohrende Fortsätze oder sog. Hörner aussendet. Das vordere Horn eines jeden Seitenventrikels verläuft nach dem vordern, das hintere Horn nach dem hintern Lappen des Großhirns, während das untere Horn sich nach dem mittlern Hirnlappen hinabzieht. Im Vorderhorn zeigt sich zunächst der Streifenhügel (corpus striatum, s. Fig. 1, 8), ein birnförmiger Hügel von grauer Färbung, der im Innern aus abwechselnden Lagen von grauer und weißer Hirnsubstanz besteht und dessen äußere Teile noch besonders als Linsenkern, Vormauer und Haubenkern (s. Fig. 2, 10, 11) bezeichnet werden, ferner der Sehhügel (thalamus opticus, s. Fig. 1,7; 2,7), der die Wand der dritten Hirnhöhle bilden hilft und sich nach unten zu in den Sehstreifen (tractus opticus) fortsetzt, aus welchem letztern die Sehnerven hervorgehen. Im Hinterhorn der Seitenventrikel bemerkt man als wulstartigen Vorsprung den Vogelsporn oder kleinen Seepferdefuß, am Boden des untern Horns einen ähnlichen gekrümmten Wulst, den großen Seepferdefuß oder das Ammonshorn (cornu Ammonis, s. Fig. 2,12). Der Balken und das unter diesem gelegene Gewölbe (fornix, s. Fig. 1, 6 und Fig. 2, 5) bilden die Decke der dritten Hirnhöhle (s. Fig. 2, 8), die durch eine kleine halbmondförmige Spalte, das Monrosche Loch, mit den beiden Seitenventrikeln und durch einen nach hinten verlaufenden engen Kanal, die Sylvische Wasserleitung, mit der im Innern des Kleinhirns gelegenen vierten Hirnhöhle in offener Verbindung steht. Alle vier Hirnhöhlen werden von einer zarten Haut, dem sog. Ependym, ausgekleidet und von der weichen Hirnhaut mit einem besondern feinverzweigten Gefäßgeflecht (plexus choroideus) versehen. Zwischen der dritten und vierten Hirnhöhle befinden sich die sog. Vierhügel (corpora quadrigemina), ein unpaarer, durch einen Kreuzschnitt in vier Hügel geteilter weißer Höcker, dessen vorderes Hügelpaar größer und höher ist als das hintere; auf dem erstern ruht die sog. Zirbeldrüse (glandula pinealis, s. Fig. 1,9), ein ovaler, rötlichgraner weicher Körper von der Größe eines Kirschkerns, in dem die Alten den Sitz der Seele suchten und der im Innern den sog. Hirnsand, sandartige Konkremente aus phosphorsaurem und kohlensaurem Kalk, enthält.

Das Kleine G. (cerebellum, s. Fig. 1,10; 4,19,20) liegt im Hinterkopfe unter dem Großen, mit dessen unterm Teile es durch den Hirnknoten oder die Varolsbrücke zusammenhängt, während es von dem obern durch das Hirnzelt (tentorium cerebelli), eine Falte der harten Hirnhaut, die den Hinterkopf quer durchschneidet, getrennt wird. Es besitzt die Form eines querliegenden Ellipsoids und ist wie das Große G. in zwei seitlich symmetrisch gebaute Hälften oder Hemisphären geteilt, die in der Mitte durch einen schmälern Teil, den sog. Wurm, miteinander verbunden sind. Beide Kleinhirnhemisphären werden durch eine horizontale Querfurche (sulcus horizontalis Reilii) in eine obere und untere Hälfte geteilt; ihre Oberfläche wird von grauer Hirnsubstanz gebildet und zeigt nicht, wie das Großhirn, darmähnliche Windungen, wohl aber eine Menge tiefer Einschnitte, welche viele übereinander liegende Platten oder Lappen bilden. Schneidet man das Kleinhirn senkrecht durch, so bietet die Schnittfläche infolge der eigentümlichen Verteilung der grauen und weißen Hirnsubstanz eine gewisse Ähnlichkeit mit den zackigen Blättern eines Baumes dar, weshalb man diese baumförmige Anordnung der weißen Hirnsubstanz im Kleinhirn von alters her Lebensbaum (arbor vitae, s. Fig. 1,10) nennt. Im Innern des Kleinhirns liegt die vierte Hirnhöhle, die mit den übrigen Hirnhöhlen in direkter Verbindung steht.

Das Mittelhirn (mesencephalon), das die Verbindung zwischen dem Großen und dem Kleinen G. sowie zwischen dem G. und dem Rückenmark herstellt, setzt sich aus dem verlängerten Mark, der Brücke und den Vierhügeln zusammen. Das verlängerte Mark (medulla oblongata, s. Fig. 1,12; 4, 18), der bei weitem wichtigste Teil des ganzen Centralnervensystems, ist ein weißer unpaarer Markzapfen, der durch das große Hinterhauptsloch in das Rückenmark übergeht und durch seichte Längseinschnitte beiderseits in drei Stränge eingeteilt wird, in die sog. Pyramiden, deren Nervenfasern nach oben durch die Brücke hindurch in die Hirnschenkel übertreten, nach unten dagegen sich durchkreuzend (decussatio pyramidum) in das Rückenmark übergehen, ferner in die sog. Oliven, die in ihrer weißen Substanz einen grauen gezackten Kern, den Olivenkern, enthalten, und in die sog. strangförmigen Körper, deren Nervenfasern zu den Hemisphären des Kleinen G. treten und den Boden der vierten Hirnhöhle bilden helfen. Das verlängerte Mark ist das Centralorgan für die Atmungsbewegungen sowie für die Herzthätigkeit und die Gefäßmuskulatur, weshalb seine Durchschneidung oder Verletzung sofortigen Tod zur Folge hat. Die Brücke des Varolius (Varolsbrücke) oder der Hirnknoten (pons Varolii,