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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Gehirnwassersucht

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Gehirnwassersucht

betragen; meist finden sich dieselben Flecken auch am Rückenmark. Die mikroskopische Untersuchung ergiebt, daß an diesen Stellen infolge einer ausgebreiteten Bindegewebswucherung zahlreiche Nervenelemente, insbesondere Ganglienzellen, zu Grunde gegangen sind und eine schwielige Schrumpfung der betreffenden Hirnpartie stattgefunden hat. Die Krankheit findet sich vorwiegend im jugendlichen und mittlern Lebensalter, bei Frauen etwas häufiger als bei Männern, und befällt namentlich solche Personen, die aus nervenschwachen Familien stammen; unter den veranlassenden Ursachen werden besonders traumatische Einwirkungen auf das Centralnervensystem (Fall, Stoß, Schläge auf den Kopf), Gemütserschütterungen, heftige Erkältungen und erschöpfende Krankheiten (Typhus, Cholera, Pocken) angeführt. Die Krankheit beginnt gewöhnlich mit leichter Verstimmung, Eingenommenheit und Schmerz des Kopfes, Schwindel und einem eigentümlichen zitternden Gange, wozu sich im weitern Verlauf ein allgemeines anhaltendes Zittern des ganzen Körpers gesellt. Bei der weitern Entwicklung der Krankheit stellen sich Sprachstörungen und Lähmungserscheinungen ein, die zunächst an den untern Extremitäten beginnen und sich dann allmählich in ganz ungeregelter Reihenfolge über die verschiedenen Muskeln und Muskelgrnppen des Körpers ausbreiten. In den letzten Stadien der Krankheit treten auch deutliche Störungen in den psychischen Verrichtungen auf; das Gedächtnis wird auffallend geschwächt, die geistigen Interessen erlahmen und die hinzukommende Verblödung macht unaufhaltsame Fortschritte, bis der Kranke in vollkommener Hilflosigkeit seinen Leiden erliegt. Die Dauer der Krankheit ist sehr wechselnd; während rasch verlaufende Fälle in Jahresfrist zum Tode führen, erreichen andere eine Dauer von 10 bis 15 Jahren. Gegen die ausgebildete Krankheit sind alle Behandlungsmethoden erfolglos; nur im Beginn des Leidens scheint bisweilen die vorsichtige Anwendung des elektrischen Stroms nützlich zu sein.

Gehirnwassersucht (Hydrocephalus, Hydrops ventriculorum), die krankhafte Ansammlung von klarer, wässeriger Flüssigkeit in den Hirnhöhlen (Hydrocephalus internus) oder zwischen der Hirnoberfläche und der Schädelwand (Hydrocephalus externus), durch die infolge des Gehirndrucks (s. d.) immer mehr oder minder schwere Funktionsstörungen des nervösen Centralorgans hervorgerufen werden, ist entweder angeboren oder durch mancherlei krankhafte Zustände der Hirnsubstanz erworben. Bei der angeborenen G. (angeborenem Wasserkopf, Hydrocephalus congenitus) fällt zunächst die außergewöhnliche Größe der Schädelkapsel (Makrocephalie) auf. Der Schädel eines solchen Neugeborenen kann bis zu 2 Fuß im Umfang messen und steht in keinem Verhältnis zu dem kleinen Gesicht; die Stirn bildet eine große konvexe, vorspringende Halbkugel, die einzelnen Schädelknochen sind weit auseinander gedrängt, die Fontanellen ungewöhnlich groß und die breiten häutigen Verbindungen der Schädelknoten ungemein stark gespannt. Ältere Kinder vermögen den schweren Kopf nicht aufrecht zu halten, sondern lassen ihn der Schwere nach zur Seite oder nach vorn herabsinken; dabei macht das kleine, nach dem Kinn zugespitzte, greisenhafte Gesicht einen widerlichen und bemitleidenswerten Eindruck. Bei der Leichenöffnung finden sich die Hirnhöhlen in weite und dickhäutige Blasen oder Säcke verwandelt, die eine große Menge (bis zu 5 kg und darüber) klarer seröser Flüssigkeit enthalten; die den Ventrikeln zunächst liegende Hirnmasse ist sehr verdünnt und beträgt bisweilen eine nur millimeterdicke Schicht, Streifen- und Sehhügel erscheinen völlig abgeflacht, die Hirnwindungen oft nicht mehr erkennbar und die sämtlichen Hirnhäute außergewöhnlich dünn. Bei so hochgradiger Wasseransammlung giebt der Kopf sehr häufig ein unüberwindliches Geburtshindernis ab und muß deshalb punktiert werden, damit das Wasser ablaufen und die Geburt beendet werden kann, weshalb die meisten derartigen Kinder tot zur Welt kommen. Bei mäßigern Graden der Krankheit kann das Leben zwar erhalten bleiben, doch sterben die Kinder meist früh; nur sehr wenige erreichen ein höheres Alter. Gewöhnlich bleiben solche Kinder hinsichtlich der geistigen und körperlichen Fähigkeiten bedeutend zurück, ein guter Teil bleibt blödsinnig, gelähmt, selbst blind und taubstumm, und nur in ganz geringgradigen Fällen kommt eine nachträgliche Anbildung von Gehirnsubstanz und eine nahezu normale Entwicklung der intellektuellen Funktionen zu stande.

Die Ursachen des angeborenen Wasserkopfs sind gänzlich unbekannt; man weiß nur, daß derselbe sich erst in der letzten Zeit der Schwangerschaft und zwar nicht vor dem siebenten Schwangerschaftsmonat entwickelt, und daß manche Frauen mehrmals hintereinander hydrocephalische Kinder gebären. Wahrscheinlich entwickelt sich die angeborene G. während der Fötalzeit infolge einer chronischen Entzündung des sog. Medullarrohrs, d. h. der embryonalen Anlage des Gehirns (s. d., S. 678d); ob aber, wie manche behaupten, diese chronische Entzündung durch Syphilis oder skrofulöse Blutbeschaffenheit der Eltern, durch Trunksucht des Vaters, durch zu ungleiches Alter oder Blutsverwandtschaft der Eltern veranlaßt wird, steht noch dahin. Was die Behandlung anlangt, so haben sich alle innern Mittel als nutzlos erwiesen; auch die vielfach empfohlenen chirurg. Eingriffe (Einstechen eines feinen Troikars, Kompression des Schädels u. a.) leisten im allgemeinen nicht viel Ersprießliches. Man beschränke sich darauf, für möglichst ungeschmälerten Aufenthalt in freier Luft und in trocknen, sonnigen Räumen, für milde, leicht verdauliche Nahrung und gehörige Regulierung des Stuhlgangs zu sorgen und die psychischen Funktionen vorsichtig und schonend zu entwickeln.

Die erworbene G. (Hydocephalus acquisitus) besteht gewöhnlich in einer Wasseranhäufung in den Gehirnhöhlen, welche jedoch niemals zu einer Formveränderung oder Vergrößerung der knöchernen Schädelkapsel, sondern nur zu einer bald stärkern, bald schwächern Kompression der Hirnsubstanz führt und sich in jedem Lebensalter im Anschluß an verschiedenartige Krankheitszustände entwickeln kann. Am häufigsten geschieht dies infolge von abnormer Blutbeschaffenheit (bei der Säuferdyskrasie, Syphilis, Skrofulose und der Brightschen Nierenkrankheit), von anhaltenden Cirkulationsstörungen (chronischen Herzkrankheiten und Lungenemphysem), von Hirngeschwülsten, welche die Blutleiter zusammendrücken, und von allen Krankheiten, die mit Schrumpfung und Schwund der Hirnsubstanz verbunden sind, wie insbesondere beim Hirnschwund der alten Leute und der Geisteskranken. Bei den letztgenannten Affektionen würde durch die eintretende Verkleinerung des Gehirns in der allseitig geschlossenen