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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gemeindeämter
staatlichen Behörden geleitet und angewiesen wur-
den (Bayr. Städte- und Marktinstruktion von 1748,
Württemb. Kommunordnung von 1758, Preuß.
Allg. Landr. II, Tit. 7 u. 8). Besonders feindselig
gegen die Freiheit der G. erwies sich die Französische
Revolution. Indem sie alle histor. Rechte und sog.
Privilegien beseitigte und eine straffe Centralisation
der Staatsgewalt herzustellen trachtete, vermittelst
deren die voloute A<w6i'lÜ6 (d. h. die jedesmalige
Majorität) den gesamten Staat in allen seinen
Teilen absolut beherrschen sollte, bemächtigte sie sich
auch der G., unterwarf dieselben der Regierung,
indem den Präfekten so weit reichende Befugnisse
eingeräumt wurden, daß die G. ihnen gegenüber
fast willenlos waren, und befriedigte die Eitelkeit
und die polit. Vorurteile der höhern Klassen der
städtischen Bevölkerung durch Einrichtung von Lokal-
parlamenten (c0U86ii8 muuiejpaux), die zwar an
der Verwaltung nicht unmittelbar beteiligt, aber
doch die Beschlüsse über das städtische Budget sowie
über andere städtische Verwaltungsangelegenheiten
zu fassen berechtigt waren. Diesem franz. Vorbilde
folgten am Anfange des 19. Jahrh, mehrere unter
franz. Einfluß stehende deutfche Staaten. Indem
grundsätzlich festgestellt wurde, daß alle Hoheits-
rechte, vor allem Gerichtsbarkeit, Polizei und Ve-
steuerungsrecht, aber auch die Verwaltung des
Schulwesens, der Armenpflege u. s. w. unveräußer-
liche Rechte des Staates feien und daher von den
G. nur auf Grund eines staatlichen Auftrags und
unter fortlaufender Kontrolle und Oberleitung von
Staatsbehörden ausgeübt werden könnten', daß fer-
ner auch die Vermögensverwaltung der Kommunen
einer strengen Staatsaufsicht bedürfe, damit Zu-
stände wie im spätern Mittelalter nicht wieder ein-
treten könnten, wurden die G. zunächst ihrer öffent-
lich-rechtlichen Funktionen vielfach ganz beraubt
und lediglich zu Verwaltungsdistrikten des Staates.
Das unvergängliche Verdienst, die richtigen
Grundlagen einer den Bedürfnisjen der Gegenwart
entsprechenden Gemeindcverfasjung geschaffen zu
haben, gebührt dem Freiherrn vom Stein, welcher
durch die Preuß. Städteordnung vom 19. Nov.
1808 in hervorragender, wenn auch zum Teil allzu
idealer Weise das Problem löste, den städtischen G.
die zu einer gedeihlichen Entwicklung erforderliche
Freiheit und Selbständigkeit zu gewähren und sie
zugleich dem Organismus des Staates dergestalt
einzufügen, daß sie seine Zwecke förderten und die
ihm gestellten Aufgaben ausführen hülfen. Die G.
haben eine weitgehende Selbständigkeit ihrer Ver-
waltung, find aber nicht bloß der Gesetzgebung, son-
dern auch der Aufsicht des Staates unterworfen.
Für die Verfassung der G. ist in der Schafjung der
beiden Kollegien des Magistrats und der Stadt-
verordneten nicht das franz. Präfektursystem durch-
geführt, sondern an die in den ältern deutschen Ver-
fassungen hergebrachte Einrichtung eines engern
und weitern Rats angeknüpft worden. In dem
Magistratskollegium ist der berufsmäßige Beamten-
dienst und das Ehrenamt in zweckmäßige Ver-
bindung gebracht. Der günstige Erfolg, den die
Preuß. Städteordnung in kurzer Frist hatte, ver-
anlaßte die meisten andern Staaten, ihre Gemeinde-
ordnung auf äbnlichen Principien neu zu errichten,
wobei die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ver-
bältnisse im Westen und Süden Deutschlands es ge-
statteten, für städtische und ländliche G. im wesent-
lichen übereinstimmende Normen aufzustellen. Auch
in den westl. Provinzen Preußens gelangte man zu
einer gesetzlichen Regelung der ländlichen Gemeinde-
verfassung; in den östl. Provinzen dagegen schlug
ein 1850 unternommener Versuch, weil von absolut
falscher Grundlage aus unternommen, fehl, und
erst 1872 ist es gelungen, durch die Kreisordnung.
die Verfassung der Landgemeinden in einigen be-
sonders wichtigen Punkten zu reformieren; eine
vollständige Landgemeindeordnung erging unterm
3. Juli 1891 (s. Gemeinderecht), doch weist dieselbe,
den thatsächlichen Verhältnissen entsprechend, wesent-
liche Verschiedenheiten von den süd- und mittel-
deutschen Landgemeindeordnungen auf. - Die
Eteinsche Städteordnung ist mit Recht vorbildlich
für ganz Deutschland geworden: sie hat die Grund-
lagen der ganzen heutigen deutschen Städteverfas-
sung gelegt. Dennoch bewies die Erfahrung, daß
man in derselben in einzelnen und teilweise hoch-
wichtigen Punkten fehlgegriffen hatte, und es wurde
demgemäß zweimal, 1831 und 1856, das Gefetz in
erheblichem Umfange revidiert und modifiziert. <S.
auch Gemeindeordnung.) - Durch die Kreisord-
nung (s. d.) von 1872 und die Provinzialordnung
ls. d.) von 1875 sind in Preußen auch die Kreise
und die Provinzeil als Gemeindeverbände mit aus-
gedehnter Selbstverwaltung organisiert worden.
Gemeindeämter sind dauernd abgegrenzte Ge-
schäftskreise zur Verrichtung derjenigen Thätigkeit,
welche zur Erfüllung der Lebenszwecke und Auf-
gaben der Gemeinden erforderlich ist, soweit sie
nicht auf Privatvertrag oder allgemeiner Gesetzes-
vorschrift beruhen. Mit diesen Geschäftskreisen sind
die dazu erforderlichen Befugnisse und Pflichten ver-
bunden, und insoweit das Amt als das Subjekt der-
selben gedacht wird, führt es die Bezeichnung Ge-
mein d e b e h ö r d e. Diejenigen Personen, welchen
die Fübrung dieser Geschäfte übertragen ist, heißen
Gemeindebeamte. Dieselben sind zu unterschei-
den einerseits von denjenigen Gemeindeangehöri-
gen, denen kraft gesetzlicher Pflicht gewisse Thätig-
keiten im Interesse der Gemeinde obliegen, und an-
dererseits von Personen, welche den Gemeinden
vertragsmäßig zur Leistung von Arbeiten, Herstel-
lung von Werken, Lieferung von Materialien sich
verpflichten. Die erstern erfüllen Unterthanenpflich-
ten, die letztern stehen mit der Gemeinde in einem
privatrechtlichen Verhältnis. Charakteristisch für
den Begriff sowohl des Staats- als des Gemeinde-
beamten ist dagegen die freiwillig übernommene,
öffentlich-rechtliche Dienstpflicht. Dieselbe kann aber
in zweifacher Art übernommen werden: entweder
als unbesoldeter Ehrendienst oder als bezahlte Be-
rufsarbeit. In der Gemeindeverfassung finden beide
Arten vielfache Verwendung. Das Ehrenamt ist
gerade für die Funktionell der Gemeinde besonders
geeignet wegen des unmittelbaren persönlichen In-
teresses, welches die Angehörigen an dem Wohle
ihrer Gemeinde nehmen, wegen der Lokal- und Per-
sonalkenntuis, welche zur Fübrung der Gemeinde-
geschäfte erforderlich ist, und wegen der die Wahl
der geeigneten Personen erleichternden Zusammen-
gehörigkeit und Bekanntschaft der Gemeindegenossen
unter sich. Es wäre aber unmöglich und jedenfalls
verfehlt, den berufsmäßigen Beamtendienst aus den
Gemeinden ganz auszuschließen; denn auch hier,
wie im Staatsdienst, ist für viele Llmter eine tech-
nische oder jurist. Vorbildung erforderlich, und die
zahlreichen mittlern und niedern Amter der Sekre-
täre, Kalkulatoren, Rendanten, Voten, Kastellane