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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gemeindepräsident - Gemeinderecht
früher nicht selten an den Besitz eines bestimmten
Gutes, des Erb- oder Lehnschulzengutes, geknüpft
war - durch die Kreisordnung von 1872 sind diese
Erbschulzenämter für Preußen aufgehoben, in Süd-
deutschland existieren sie seit lange nicht mehr -
nebst zwei oder mehr Schöffen oder Gerichtsmän-
nern. Wo^Gemeindebeschlüsse zu fassen sind, treten
sämtliche stimmberechtigte zur Gemeindeversamm-
lung zusammen. Die Aufsicht führt die Staats-
behörde des Kreises (Landrat, Bezirksamtmann,
Amtshauptmann u. dgl.), in welchem die Gemeinde
liegt. Bei größern Gemeinden ist an die Stelle der
Versammlung aller Gemeindebürger eine Gemeinde-
vertretung (s. Gemeinderat) gesetzt, welche oft nur
von den Besitzern der Bauerngüter gewählt wird.
Die Staatsbehörde hat mehr oder weniger aus-
gedehnte Aufsicktsrechte, wie z. B. die Bestätigung
des gewählten Schulzen, die Genehmigung gewisser
Beschlüsse, die Prüfung der Rechnungen u. s. w. -
Eine Aufzählung der zur Zeit in den größern
Staaten Deutschlands geltenden G. vgl. bei Iolly,
Gemeinde (in Stengels "Wörterbuch des deutschen
Verwaltungsrechts", 2 Bde., Freib. i. Vr. 1890;
daselbst finden sich auch umfassende litterar. An-
gaben). Vgl. Stolp, Die Gemeindeverfassungen
Deutschlands und des Auslandes (Bd. 1-l;, Berl.
1870-70); Gierke, Das deutsche Genossenschafts-
recht (Bd. 1, ebd. 1808).
Gemeindepräsident, s. Gemeindeordnung.
Gemeinderat oder Stadtverordnetenver-
sammlung (in Bayern Kollegium der Ge-
meinde bevollmächtigten, in Württemberg
und Baden Bürgerausschuß), ein durch Wahl
gebildetes Organ der Gemeinde zur Vertretung
der Gesamtheit der Gemeindegenossen; eine Ge-
meindeversammlung aller Gemeindegenossen ist in
den geltenden Gesetzgebungen die Ausnahme (für
die Landgemeinden in Altpreußen, Schleswig-Hol-
stein, Hannover, Bayern r. d. Rh.). Das Wahl-
system ist in den Gemeindeordnungen sehr verschie-
den geregelt; nach vielen Gesetzen werden Wähler-
klassen nach Maßgabe der Kommunalsteuern gebildet
oder es werden gewisse Interessen, insbesondere die
der Haus- oder Grundbesitzer, besonders berücksich-
tigt. Voraussetzung des Wahlrechts wie der Wähl-
barkeit ist Besitz des Gemcindebürgerrechts in der
Gemeinde oder Wohnsitz in derselben von bestimmter
Dauer; die Eigentümer der zum Gemeindebezirt
gehörenden Grundstücke sind bisweilen auch dann
wahlberechtigt, wenn sie nicht in der Gemeinde wob-
nen (sog. Forensen), und es ist ibnen nach vielen
Ordnungen gestattet, auch durch Stellvertreter ihr
Recht auszuüben. Der G. wird zwar wie alle re-
präsentativen Körperschaften periodisch erneuert,
die Neuwahl ist aber in der Regel eine partielle;
gewöhnlich scheidet alljährlich oder alle zwei Iabre
ein Drittel der Mitglieder aus. Hierdurch wird in
der Behandlung der Gemeindeangclegenheiten eine
gewisse Kontinuität gesichert. Daneben hat die Re-
gierung das Recht der Auflösung (in Preußen nur
durch königl. Verordnung) und der Anordnung von
Neuwablen. In zahlreichen Rechtsgebieten Deutsch-
lands ist der G., dem franz. (^on"6i1 innnioiMi ent-
sprechend, nach Art der parlamentarischei^Versamm-
lungen konstituiert, wenigstens in den Städten; er
steht dem Magistrat, der städtischen Erekutivbehörde,
als eine Art städtischer Volksvertretung gegenüber,
hat eine die parlamentarischen Formen nachahmende
Geschäftsordnung und das Recht zu Interpella-
tionen, zur Beschlußfassung über Petitionen und
zur Stellung von Anträgen und namentlich die
gesamte Feststellung des städtischen Wirtschaftsplans
lBudgets), die Bewilligung der Ausgaben und die
Deckung derselben. In letzterm Punkte liegt weit-
aus der wichtigste Teil seiner Thätigkeit. In manchen
Staaten (Pfalz, Nassau, Hessen, der Rbeinprovinz,
einigen tbüring. Staaten) ist der G. in Verbindung
mit dem Bürgermeister und den Beigeordneten ein
zugleich verwaltendes Organ; im Königreich Sachsen
daben die städtischen Kommunen die Befugnis, durch
Ortsstatut an stelle der regelmäßigen Verfassung
mit den beiden getrennten Organen des Stadtrats
und der Stadtverordneten einen beide Körperschaften
zusammenfassenden G. zu bilden. In den östl. Pro-
vinzen Preußens sind Magistrat und Stadtverord-
nete getrennt beratende und beschließende Kollegien,
aus Mitgliedern beider werden aber zur Verwal-
tung der verschiedenen städtischen Angelegenheiten
Kommissionen, sog. Deputationen, gebildet.
Gemeinderecht, das Bürgerreckt in einer Ge-
meinde; es entbält das Recht zur Teilnahme an den
Gemeindewahlen sowie an den Gemeindenutzungen
und die Fähigkeit, unbesoldete Gemeindeämter zu
übernehmen und in den Gemeinderat (die Stadt-
verordnetenversammlung) gewählt zu werden. Die
Übernahme von konnnunalenEhrenämtern ist Pflicht,
foweit nicht gesetzliche Vefreiungsgründe bestehen.
Niederlassung, Gewerbebetrieb, Erwerb von Grund-
eigentum hängen nach geltendem Reichsreckt nicht
mehr vom G. ab, Verehelichung nur in Bayern
r. d. Rh. traft Reservatrechts. Hinsichtlich des Er-
werbs des G. lassen sich die deutschen Gemeinde-
gesetze unter zwei Kategorien bringen, die von ver-
schiedenen Principien beherrscht werden. Nach dem
einen Princip ist der Erwerb des G. ganz ähnlich
wie der Erwerb des ^taatsbürgerreckts geregelt.
Er erfolgt entweder aus familienrechtlicken Gründen
(Abstammung von einem Gemeindebürger) oder
durä) Verleihung, welche der Naturalisation eines
Ausländers analog ist. Die Aufnahme ist ein
öffentlich-rechtlicher, zweiseitiger Rechtsakt und er-
folgt auf Antrag durch die Gemeindebehörde; die
Gesetze geben aber unter gewissen Voraussetzungen
jedem Einwohner einen Anspruch auf Aufnahme
(z. B. Staatsangehörigkeit, zweijähriger Wohnsitz
und Entrichtung von Kommunalsteuern) und legen
in manchen Fällen die Verpflichtung zum Erwerbe
des G. auf (selbständiger Gewerbebetrieb, Grund-
besitz, fünfjähriger Wohnsitz). Die Gemeinde kann
für die Verleihung ein Bürgergeld, Einzugsgeld, er-
heben, dessen Höhe oder dessen Marimalvetrag durch
die Gesetzgebung festgestellt ist. Zu dieser Kategorie
gehört das rechtsrhein. Bayern, Sachsen, Hessen
und einige thüring. Staaten. Die andere Klasse von
Gemeindegesetzen geht davon a.ns, d<ch bev dem Vor-
handensein gewisser Voraussetzungen das G. von
Rechts wegen ohne besondern Rechtsakt erworben
wird. Dieses System gilt in Preußen, Baden und
der bayr. Pfalz. Nach der Preuft. (^tädteord-
nung erwirbt das Bürgerrecht jeder selbständige,
über 24 I. alte preuft. Staatsangehörige, welcher
seit einem Jahre Einwohner des Stadtbezirks ist,
keine Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln
empfangen und die städtischen Abgaben in einem
gewissen Umfange bezahlt dat oder im Stadtbezirke
ein Wohnhaus als Eigentümer oder Nießbraucher
besitzt. Hinsichtlich der Landgemeinden besteht das
gleiche Princip. ^ .,.,..