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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gemeinsinn - Gemen
Gemeinsinn ist im Gegensatz zu den: wirtschaft-
lichen Eigennutz der Geist der Opferwilligkcit im
Interesse des staatlichen und gesellschaftlichen Fort-
schrittes und der allgemeinen Kulturentwicklung.
Er ist nicht vollständig gleichbedeutend mit der pa-
triotischen Gesinnung, indem er sich wesentlich in
Leistungen von ökonomischer Bedeutung bekundet,
sei es in freiwilliger Arbeit in einem allgemeinen
Interesse, sei es in der.Hingabe materieller Mittel.
Von dem religiös-kirchlichen Wohlthätigkeitssinn
unterscheidet sich der bürgerliche G. durch seiuen welt-
lichen Charakter: er beruht wesentlich auf einer über
das tauschwirtschaftlich -individualistische Princip
hinausgehenden Gescllschaftsanschauung, vermöge
welcher der einzelne fühlt, das; er seinen Verpflich-
tungen gegen die Gemeinschaften, welche die Voraus-
setzung seiner ganzen Lebensstellung bilden, noch nicht
genügt hat, wenn er nur das leistet, wozu er nach
privatem oder öffentlichem Recht gezwungen werden
kann. Der G. ergänzt vielfach die Thätigkeit der
öffentlichen und kirchlichen Armenpflege in der Un-
terstützung der Notleidenden; noch mehr aber ist er
bestrebt, sociale und wirtschaftliche Verbesserungeil
zu fchaffen, welche der Entstehung von Armut und
Not entgegenwirken. Seine Fürsorge geht aber auch
über die Grenzen des streng Notwendigen und Un-
entbehrlichen hinaus, er eröffnet der mit der Not
des Lebens kämpfenden Masse auch hier und da das
Reich des Angenehmen und Schönen, er befördert
Bildung, Kunst und Wissenschast. Er ist mit einem
Wort der Träger der gem einnützigen Bestrebun-
gen und findet namentlich in Vereinen seine Organe.
Besonders entwickelt ist diese gemeinnützige Ver-
cinsthätigkeit in den gröftern Städten der Schweiz.
So lehnen sich an die (1777 gegründete) "Gesellschaft
zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen"
in Basel 2." besondere Kommissionen und Anstalten
an. Die Vereine bieten auch die zweckmäßigsten
Sammelstellen für kleinere Schenkungen und Stif-
tungen zu gemeinnützigen Zwecken dar. Nicht selten
aber sind auch die Fälle, in denen reiche Bürger testa-
mentarisch oder schenkungsweise Summen ange-
wiesen haben, die zur selbständigen Begründung
und Unterhaltung gemeinnütziger Anstalten aus-
reichten. Angeregt, gewissermaßen belehrt durch
solchen G. hat dann hier auch der Staat selbst wie-
der sich an die spitze der gemeinnützigen Unter-
nehmungen gestellt. Nachdem seitens der Bundes-
verfassung die Unentgeltlichkeit des Volksschulunter-
richts proklamiert worden war, haben einzelne Kan-
tone bereits die Mittelschulen unentgeltlich geöffnet,
Handfertigkeitsunterricht, Schulwerkftätte und Kin-
dergarten zur ^taatsaufgabe gemacht.
Innerhalb des volkswirtschaftlichen Prozesses der
Preisbildung kann freilich der G. sich nicht unmittel-
bar bethätigen. Hier gilt der strenge Grundsatz der
formalen Gleichheit von Leistung und Gegenleistung
nach dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage.
Wohl aber ist dem G. die Möglichkeit geboten, die
Übel, welche aus diesem Konkurrenzkampfe entfprin-
gen, seinerseits zu mildern, und insbesondere ist es
als rühmliche Frucht des G. anzuerkennen, wenn
die günstig gestellten Interessenten selbst dahin
wirken, daß die Gesetzgebung einer übermäßigen
Ausbeutung des Schwächern durch den Stärkern
Schranken ziehe, wie das z. B. durch die Fabrik-
gesetzgebung (s. d.) bis zu einem gewissen Grade
geschehen ist.
Gemeinfpruch, soviel wie Gemeinplatz (s. d.).
Gemeinwebel wurden im 16. und 17. Jahrh,
von den Landsknechten aus ihrer Mitte gewählt und
bildeten die Mittelspersonen zwischen dem Haupt-
mann und den Landsknechten. Namentlich hatten
sie etwaige Beschwerden der Gemeinen dem Haupt-
mann vorzutragen. Außerdem muhten sie auf Ord-
nung während der Märsche halten sowie Pulver
und Blei an die Hakenschützen verteilen und die
vom Proviantmeister empfangenen Lebensmittel
verausgaben u. s. w.
Gemeinwirtschaft im eigentlichen Sinne ist
im Gegensatz zu dem privat- und tauschwirtschaft-
lichen System diejenige Wirtschaftsform, bei welcher
eine Gesamtheit nach einem einheitlichen Plane ge-
meinschaftlich ihren ganzen Bedarf an wirtschaft-
lichen Gütern produziert und diefelben an ihre ein-
zelnen Mitglieder ebenfalls unmittelbar nach be-
stimmten Regeln verteilt. In dieser Auffassung ist
G. gleichbedeutend mit Kommunismus (s. d.) und
bisher zumeist nur in kleinen Gemeinschaften von
klostcrartigem Charakter verwirklicht worden. Man
bezeichnet aber auch als G. solche wirtschaftliche Be-
triebe und Verwaltungen, die innerhalb des bestehen-
den tauschwirtschastlichen Systems von öffentlichen
oder privaten Gemeinschaften oder Korporationen im
wirtschaftlichen oder anderweitigen Interesse ihrer
eigenen Mitglieder oder anderer Personen geführt
werden. Diefelben sind entweder Zwangsgemein-
wirtschaften, wie die Finanzwirtschaften des Staates
und der Gemeinde, teils freie G., wie die der Ver-
eine und Gefellfchaften, mögen diese nun gemein-
nützige oder mildthätige Zwecke verfolgen oder pri-
vatwirtschaftliche Vorteile für ihre Mitglieder er-
streben. Auch die gemeinnützigen und wohlthätigen
Stiftungen können hierher gerechnet werden, inso-
fern sie Zweckvermögen darstellen, die zum Besten
einer Vielheit von Perfonen verwendet werden.
Was die bestehenden Zwangsgemeinwirtschaften
betrifft, so haben ^taat und Gemeinde zunächst ge-
wisse specifische Leistungen zu erfüllen, die nicht
wirtschaftlicher Natur sind, aber finanzielle Einnah-
men voraussetzen. Andere Leistungen, z.B. der
Eisenbahn- und Postbetrieb seitens des Staates,
haben einen wesentlich wirtschaftlichen Charakter
und sind nur aus Zweckmäßigkeitsgründen der öffent-
lichen G. übertragen. Hier ist jedoch keine scharfe
Grenze zu ziehen, zumal die Zweckmäßigkeit unter
verschiedenen Umständen und Zeitverhältnissen an-
ders beurteilt werden wird. Staat und Gemeinde
können unbeschadet ihrer Zwangsgewalt anch eine
freie gemeinwirtfchaftliche Thätigkeit in Konkurrenz
mit den Privatwirtschaften entfalten, und dies wird
voraussichtlich in der Zukunft noch in weiterm Um-
fange geschehen, als es bisher der Fall war, da die
vorherrschenden Anschauungen über die Leistungs-
fähigkeit der öffentlichen Unternehmungen diesen in
der neuesten Zeit entschieden günstiger geworden sind.
Voinvili (lat.), Zwillinge (s. d.).
Gemen, früher auch Gehmen geschrieben,
Flecken im Kreis Borken des preuß. Neg.-Bez. Mün-
ster, in der vormals reichsunmittetbaren Standes-
herrschast G., 2 km nördlich von Borken, an der
Bocholter Aa, hat (1890) 999 meist kath. E., Post-
agentur, Telegraph, evang. Kirche (1710), kath.
Kirche im ehemaligen Franziskanerkloster (1719),
ein sestes schloß des Grafen von Landsl'erg-Velen
und G. mit dem Park Sternbusch und eine mechan.
Leinenweberci. Bei G.wnrde 1811 das letzte Fem-
oder Gaugericht abgehalten.