Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Diese Seite ist noch nicht korrigiert worden und enthält Fehler.

804
Geographie
wiefern der Mensch nach seiner Kultur und Geschichte
vom Boden, den er bewohnt, abhängig ist, wie er
sich vielfältig von den natürlichen Verhältnissen
unabhängig und sich dieselben Unterthan gemacht
hat; sie stellt ferner die Erde als den Schauplatz der
durch die Bande der Sprache, Religion, Sitte, des
Rechts und der Geschichte zusammengehaltenen Vol-
ler dar und gestaltet sich so znr historischen G., !
von der die politische G. oder Staatenlunoe
insofern ein Zweig ist, als sie die geschichtliche Aus-
gestaltung der Länder zu Staaten besonders rnit
Zuhilfenahme der Statistik geographisch betrachtet.
Die synthetische Betrachtungsweise der G. führt
zur Länderkunde oder Chorographie. Sie
giebt für die Gebiete größerer oder lleinerer natür-
lich abgegrenzter Länderräume und für die in den-
selben gelegenen Staatengebilde eine zusammen-
hängende Darstellung der Lage auf der Erdkugel,
der horizontalen Gliederung, der geolog. Boden-
beschaffenheit, der Orographie und Hydrographie
des Klimas, der von der Wechselwirkung dieser Ver-
hältnisse bedingten Verbreitnngsgrenzen der typi-
schen Gewächse und Tiere; endlich geht sie ein auf
den Menfchen, seine ränmliche Verteilung nach Art,
Lage, Zahl und Größe der Siedelungen, auf die
Verkehrswege, die Kultur-, Wirtfchafts- und Staats-
formen, und sucht die Wechselwirkungen all dieser
Momente und ihre gegenseitige Bedingtheit festzu-
stellen. Die lande^lnndlichen Einzelbilder, in denen
naturgemäß die Beschreibung und Schilderung einc
wichtige Rolle spielt und die beim Eingehen auf
einzelne Örtlichkeiten zur Ortsbeschreibung oder
Topographie führen, fetzen sich schließlich zu-
sammen zu Darstellungen der Erdteile und endlich
zu solchen der ganzen Erde, damit aber zu dem, was
Karl Ritter (s.' d.) in seinen allgemeinen chorogra-
phischen Gemälden als Endziel vorschwebte.
Indem die Länderkunde einzelne bestimmte Ver-
dältnisse oder Thätigkeiten des Menschen ganz aus-
schließlich in den Vordergrund ihrer Untersuchung !
stellt und dieselben nach den Gesetzen oder Erschei-
nungen der räumlichen Anordnnng verfolgt, ge-
langt sie zu beliebig vermehrbaren Einzelformen,
als deren wichtigere dieKirchen-, Mission^-, Militär-,
Handels-, Verkehrs-, Forstgeographie genannt seiu
mögen. Indem sie ferner die Zustände der Länder,
Völker und Staaten zu verschiedenen Zeitpnntten !
darstellt, unterscheidet man alte, mittlere und !
neuere G., wobei die zeitlichen Grenzen etwa die-
selben sind wie bei der alten, mittlern und neuern
Geschichte. Als besonderer Zweig der alten G. mag
noch die biblische G. erwähnt werden.
Schwierig ist vielfach die scharfe Abgrenzung des
Inhalts der G. gegen eine größere Anzahl von
Nachbarwissenschaften, so der mathematischen G.
gegen die Astronomie und Geodäsie, der einzelnen
Teile der Geophysik gegen einige Gebiete der Physik
und besonders gegen die Geologie, der Anthropo-
geographie gegen Anthropologie, Ethllologie,Volks-
wirlscha^tslehre und Statistik. Doch sind diese
Schwierigkeiten der Grenzbestimmung häufig über
Gebühr aufgebauscht worden. Giebt es doch, viel-
leicht mit einziger Ausnahme der reinen Mathematik,
leinen Zweig unsers Forschens, der sich nicht fast
allseitig mit andern berührte oder gar kreuzte. Wie
also wohl keine Wissenschaft starr umgrenzt ist, fo !
ist. es eben auch die G. nicht, die zu ihrem Ausbau !
viel Material von außen holt, die aber dieses
mannigfaltige Material unter einem ihr ausschließ-
lich eigenen Gesichtspunkt benutzt und weiter ver-
breitet, nämlich unter dem der räumlichen Anoro-
nnng und der Wechselwirkung aller an der Erd-
oberfläche wirksamen Kräfte, als deren Endergebnis
sich sodann das chorographische Gesamtbild der Erde
herausschält. Über diese Grenzfragen, wie über-
haupt über die Methodik der G. vgl. Ritter in der
Einleitung zur allgemeinen vergleichenden G. (Berl.
1852), von Richthofen, Aufgaben und Methoden der
heutigen G. (Lpz. 1883), und vor allem das Geogr.
Jahrbuch (Gotha 1866 - 94) und darin die Be-
richte von H. Wagner über die Entwicklung der
Methodik und des Studiums der Erdtunde.
II. Geschichtliches. ^V. Die Entwicklung des
geographifchen Horizontes vom Altertum
bis zur Jetztzeit. In den ältesten Zeiten be-
schränkte die geogr. Kenntnis jedes Volks sich auf den
Ort oder die Landschaft, wo es wohnte. Erst später
dienten Wanderun gen,Seefahrten, Kriege, Geschäfts-
reisen zur Erweiterung der geogr. Kenntnisse. In den
ältesten Zeiten hatten zuerst die Ägypter und später
die Phönizier das Verdienst, Nachrichten von frem-
den Ländern verbreitet zu haben. Nächstdem ent-
halten die Religions- und histor. Bücher der älte-
sten Völker gelegentlich allerlei geogr. Bemerkungen.
Hierher gehört vor allem die hochinteressante Mo-
saische Völtertafel, 1 Mof. 10. Die Griechen, durch
die Phönizier angeregt, erwarben sich bald eine
ziemlich weit reichende Kenntnis der Nachbarländer,
namentlich Griechenlands, Kleinasiens und einiger
anderer Küstenländer des Mittelmeers, wie wir
im Homer sehen. Anarimander von Milet (611-
546 v. Chr.) machte den ersten Versuch einer Erd-
karte. Den ion. Geographen galt die Erde als eine
runde, vom Ocean umflossene Scheibe. Die das
innere Meer, das Mittelmeer, umgebenden Länder
zerfielen nach ihrer Auffassung entweder in zwei
Erdteile, Asien und Europa, oder man nahm als
einen dritten Libyen (Afrika) an. Ausfendungen
von Kolonien und der erweiterte und blühender ge-
wordene Handel sowie Reisen einzelner wissens-
durstiger Männer, z. V. des Herodot (s. d.) und
Hippokrates (460-356 v. Ehr.), förderten wenig-
stens die Kenntnis der von Menschen bewohnten
Länder (vgl. Karten zur Geschichte der Geo-
graphie In,). Noch während der Blütezeit der
ionischen G. hatten die Pythagoreer die Kugelgestalt
der Erde gelehrt, die jüngern Pythagoreer bildeten
dann die Lehre von der Erdbewegung weiter bis
zum Kopernikanischen System. Aristarch von Sa-
mos und der Ehaldäer lHeleueus sind als die Ko-
pernikaner des Altertums bezeichnet worden, aber
ihre Lehre fand keine allgemeine Anerkennung. Da-
gegen war schon zur Zeit des Aristoteles die Lehre
von der Kugelgestalt der Erde allgemein anerkannt,
ja es wurden nicht lange nach ^hm ^chon Messungen
des Erdumfangs verfucht. Auch der Begriff der
Zonen entwickelte sich allmählich, die heiße und die
kalte Zone galten für unbewohnbar. Nach Hanno
machte vorzüglich Pytheas anf die Erweiterung
des geogr. Wissens Einfluß ausübende Entdeckungs-
reisen. Mächtiger aber als alles Vorhergegangene
wirkten die Kriegszüge Alexanders d. Gr. und die
von ihm und später von den Ptolemäern veranstalte-
ten Entdeckungsreisen zur See. Die geogr. Werke
jener Zeit, von denen sich allerdings nur ^ra.<zmcntc
erhalten haben, zerfallen in Hafeiwerzeichnisse und
Küstenbeschreibungen (sog. Periplus) und in Länder-
beschreibungen (sog. Periegesis).