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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Geschichte
G. G. Gervinus und L. Häusser. Gervinus, ausgestattet mit außerordentlichem polit. Scharfblick und ebenso national gesinnt, wie Schlosser kosmopolitisch, aber ebenso liberal wie dieser, war der erste, welcher die deutsche Litteraturgeschichte in großem Maßstabe und im Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung der Nation darstellte. Eine nationale und wissenschaftliche That zugleich war die auf gründlicher, auch archivalischer Forschung beruhende "Deutsche G. vom Tode Friedrichs d. Gr. bis zum Wiener Kongreß" von L. Häusser, der zwar an Schärfe des polit. Blicks Sybel nicht erreichte, wie er an Weite der Auffassung und packender Kraft an den Höhepunkten der Erzählung von Gervinus überboten wird, diesen aber durch den Reiz einer gleichmäßig fesselnden Darstellung wie als Lehrer und Begründer einer Schule überbot. Selbständig wirkten neben Häusser Kortüm und Hagen in Heidelberg. Wie Rotteck von Einfluß auf die publizistische Richtung der Heidelberger gewesen war, so wirkten diese wieder, wenn auch in politisch entgegengesetztem Sinne, auf Treitschke, während ihre eigenen Anschauungen und ihre Art der Geschichtsauffassung durch Webers "Weltgeschichte" große Verbreitung fanden. In breiterm Umfange als die Rankesche Schule haben die Nachfolger der Heidelberger auch der Wirtschaftsgeschichte ihre Aufmerksamkeit geschenkt, auf deren Gebiete namentlich Nitzsch reiche Anregung gegeben, Inama-Sternegg und neuerdings Lamprecht mit großem Erfolg gearbeitet haben. Für weitere Kreise und die Schule sind außer Webers "Weltgeschichte" namentlich die von Becker, sowie die Arbeiten über deutsche G. von Bulle und Kämmel und die Handbücher von Dittmar, Havemann u. a. berechnet.
Unübersehbar ist die Thätigkeit, die sich auf allen Gebieten der G. entfaltete. Die Indologie erfuhr durch Lassen, Haug u. a., die Ägyptologie durch Lepsius, Brugsch und deren Nachfolger wesentliche Förderung, andere Arbeiten galten den iran. (Spiegel u. a.) und semit. (Oppert, Movers, Ewald u. a.) Völkern. Auf dem Gebiete der klassischen G. schufen namentlich Otfried Müller, Boeckh, Curtius, Drumann, Wachsmut, G. Droysen, Mommsen, Max Duncker, A. Schäfer, Hertzberg, Hirschfeld, Schiller, Busolt, Ed. Meyer. Von den das Mittelalter und die Neuzeit behandelnden Geschichtschreibern sind noch hervorzuheben I. G. Droysen, Reumont und Gregorovius, I. Burckhardt, Döllinger, Hammer, Fallmerayer, Weil, Dahn, ferner N. Pauli, H. Baumgarten, A. Springer und neben diesen, den Mitarbeitern an der Hirzelschen Sammlung der "Staatengeschichte der neuesten Zeit", die Mitarbeiter an der wieder aufgenommenen Heeren-Ukertschen "G. der europ. Staaten" (H. Schäfer, Riezler u. a.) und der Onckenschen "Allgemeinen G. in Einzeldarstellungen" (von Bezold, Brückner, Erdmannsdörffer, Philippson u. a.), namentlich aber die der "Jahrbücher der deutschen G." (Abel, Bernhardi, Breßlau, Dümmler, Hahn, Simson, Winkelmann u. a.) und der andern von der Münchener Historischen Kommission ausgehenden Veröffentlichungen, der "G. der Wissenschaften", der "Allgemeinen deutschen Biographie", der "Hanserezesse" (Koppmann, von der Ropp) und "Reichstagsakten" (Weizsäcker, Kerler). Von neuen wichtigen Memoirenwerten sind besonders die von Voyen, Roon, Moltke und Gerlach zu nennen, von biogr. Darstellungen die von Droysen, Arneth, Delbrück, Koser, Lehmann, Haym u. a. Wesentliche Förderung erhielten auch die geschichtlichen Hilfswissenschaften der Paläographie und Diplomatik durch Wattenbach, Stumpf, Sickel und Breßlau.
Durch Gewährung bedeutender Mittel von seiten der meisten europ. Staaten wurde sodann die Möglichkeit zur Gründung einer Reihe von Hauptstellen für histor. Arbeit geschaffen. Die bedeutendsten Mittelpunkte für Herausgabe großer Quellenwerke sind: 1) In Deutschland: die Centralkommission der "Monumenta Germaniae", die Berliner Königl. Akademie der Wissenschaften ("Corpus inscriptionum graecarum und latinarum"; "Œuvres de Frédéric le Grand", "Polit. Korrespondenz Friedrichs d. Gr.", "Acta Borussica"), die Königl. Archivverwaltung in Berlin ("Publikationen aus den königlich preuß. Staatsarchiven"), die Histor. Kommission bei der Königlich Bayr. Akademie der Wissenschaften ("Städtechroniken", "Deutsche Reichstagsakten", "Geschichte der Wissenschaften"): auch für einzelne Staaten und Landesteile (Baden, Rheinland, Provinz Sachsen) sind neuerdings mit großem Erfolge Historische Kommissionen ins Leben gerufen worden. 2) In England: die Record Commission ("Rerum britannicarum medii aevii scriptores"), die Camden-Society. 3) In Frankreich geht von der Regierung die "Collection des documents inédits sur l’histoire de France" und der "Recueil des instructions données aux ambassadeurs de France" aus; weiteres verdankt man den Benediktinern, der Académie des inscriptions und der Société de l’histoire de France. 4) Belgien liefert die "Collection de chroniques belges inédits". 5) Italien hat 1883 das Instituto storico italiano für Herausgabe von Quellen geschaffen; wichtig trotz ihrer Ungenauigkeiten ist wegen der vielen sonst seltenern Quellen die große Nachdrucksammlung von Migne, "Patrologiae Cursus completus". - Die hauptsächlichsten Zeitschriften für G. sind: 1) In Deutschland: Sybels "Histor. Zeitschrift", Quiddes "Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft", "Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen G.", hg. von Koser und Naude, "Westdeutsche Zeitschrift für G. und Kunst", "Zeitschrift für G. des Oberrheins", das "Neue Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde", das von Raumer begründete "Histor. Taschenbuch", "Mitteilungen des Instituts für österr. Geschichtsforschung", das "Histor. Jahrbuch" der Görres-Gesellschaft. 2) In Frankreich: "Revue historique", "Revue des questions historiques", "Bibliothèque de l’École des chartes", "Revue d’histoire diplomatique". 3) In Italien: "Archivio storico italiano". 4) In England: "The English historical Review". Die jährlichen Neuerscheinungen aller Länder sammeln unter kurzer Inhaltsangabe des Wichtigern die "Jahresberichte der Geschichtswissenschaft", hg. von Iastrow im Auftrag der Historischen Gesellschaft zu Berlin (seit 1880).
Das Wichtigste aus der Litteratur über die Entwicklung der Geschichtschreibung ist: Ereuzer, Die "histor. Kunst der Griechen (2. Aufl., Darmst. 1845); Ulrici, Charakteristik der antiken Historiographie (Berl. 1883); Pöhlmann, Hellenische Anschauungen über den Zusammenhang zwischen Natur und'G. (Lpz. 1879); Lasch, Das Erwachen und die Entwicklung der histor. Kritik im Mittelalter (Bresl. 1887) Wattenbach, Deutschlands Ge-^[folgende Seite]