Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Glaskunstindustrie'
Die venet. Glasfabrikanten gingen aber in ihrer Virtuosität noch weiter; sie setzten an die Stengel der Gläser die sog. Flügel an (s. die
Textfiguren beim Artikel Flügelgläser), legten in das Glas spiralig, nach Art der Alten, weiße Fäden ein, ließen diese
im Netz sich durchkreuzen (s. Taf. I, Fig. 4), wechselten darin mit den Farben, ahmten
Edelsteine nach, wie den Aventurin, Chalcedon, Jaspis, Opal. In allen diesen Künsten der G. blieben sie die Meister im 16. Jahrh.,
ungeachtet der Nachahmungen in den Niederlanden und in Frankreich. Die Deutschen hatten daneben ihre Humpen von weißlichem und grünlichem
Glas, bemalt mit Kaiser und Kurfürsten und Reichs- und Landeswappen, mit Emblemen, Sprüchen und Genrebildern, wie solche besonders im
Fichtelgebirge (s. Fichtelberger Gläser) gefertigt wurden. Es war eine derbere, mehr für den Gebrauch bestimmte und nach
dieser Richtung hin sachgemäßere Art, die sich zwar nicht an künstlerischer Verfeinerung, wohl aber an stilgerechter Durchbildung des
Materials mit den gleichzeitigen venet. Glaskunsterzeugnissen messen kann. Die sog. Römergläser bilden eine originelle und hervorragend
zweckentsprechende Form.
Im 17. Jahrh, sank die venetianische G., und Böhmen mit seinen Krystallgläsern lief ihr den Rang ab; damit begann eine neue dritte Epoche.
In Prag hatte Kaiser Rudolf II. Krystallschleifer angesiedelt, deren Arbeiten heute noch die kaiserl. Schatzkammer füllen. Als mit dem
Dreißigjährigen Kriege dieser kostbare Erwerbszweig aufhörte, warfen sich die Arbeiter auf das billige Material des Glases, das nun
gereinigt, entfärbt und an Klarheit und Helligkeit dem Krystall ähnlich gemacht wurde. Darauf wurde die Manier der Krystallschleifer
übertragen. Obwohl die Formen der Gefäße nicht ohne die Pfeife des Glasbläsers entstanden, wurden sie doch später weiter gebildet. Die
anfangs mehr runden Formen waren später mehr facettiert, und die Ornamente mit dem Rädchen tief eingraviert (s.
Taf. I, Fig. 12, 13, 14). So erhielten diese Glasgefäße, an Feinheit, Eleganz und
Leichtigkeit hinter den venetianischen wenig zurückstehend, eine schöne, dem Material entsprechende Gestaltung. Die Engländer übernahmen
im 18. Jahrh. die Arten und Formen der böhm. Gläser; aber mit Hilfe ihres schweren Flintglases, das die Eigenschaft hat, bei prismatischer
Schleifung in den Regenbogenfarben gleich den Diamanten zu strahlen, – eine Eigenschaft, welche dem echten Krystall wie dem böhm.
Krystallglase abgeht, – trugen sie über das böhm. Glas den Sieg davon.
Die böhm. Glasfabrikanten, um sich den Markt wieder zu erobern, färbten nun ihr Glas oder überfingen es mit anders gefärbtem Glas, aus
welchem sie Ornamente herausschaffen; doch war dies mehr eine Behandlung des Krystallglases nach der farbigen Richtung als die Begründung
eines neuen Stils in der G. Material und Formen blieben dieselben, nur daß die letztern mit dem Übergange in das 19. Jahrh. plumper,
schwerfälliger und unschöner wurden. Dazu kam noch die unkünstlerisch behandelte Blumenornamentation, wie sie gleichzeitig in allen Zweigen
der Kunstindustrie betrieben wurde; statt derselben wählte man dann auch Tiere, Bildnisse, Landschaften oder Genrebilder. Um die
Verzierungen auf Glasgefäße, wo sie gar nicht paßten, anwendbar zu machen, wurde das Glas möglichst opak gehalten, weiß gefärbt und dem
Porzellan ähnlich gemacht. Hieraus hätte ein neuer Kunststil ↔ des Glases entstehen können, wenn man eine dem opaken
Glas völlig entsprechende Dekorationsweise gefunden hätte.
So war um die Mitte des 19. Jahrh. die G. im Stil, in der Form und in der farbigen Dekoration gesunken, bis endlich eine Reform auf
Grundlage der alten Muster erfolgte. Die Venetianer, unter Führung des Salviati, waren die ersten (s.
Taf. I, Fig. 5–11). Sie riefen alle ihre feinen und edeln Formen des 16. Jahrh. mit der
Leichtigkeit des geblasenen Materials wieder in das Leben und vereinigten damit die verschiedenen farbigen Dekorationsweisen der antiken G.
So üben sie noch heute die G. mit gleicher Vollkommenheit, wenn auch mit weniger Originalität; die Glashütten von Murano blühen wie zu
Ende des 16. Jahrh. Ihnen konnten die Engländer mit ihrem schweren Material nicht folgen; dafür hielten sie sich an die krystallhelle
Reinheit ihres Flintglases und an seine brillante Farbenstrahlung. Während sie, der erstern Eigenschaft entsprechend, die Gefäße in feinen
Formen zu gestalten suchten und dieselben mit geschliffenen und geätzten Ornamenten verzierten, schliffen sie, um der andern Eigenschaft
willen, die Flächen in ganz raffinierter Weise aus, sodaß sie mit diesen Gefäßen eine außerordentliche Licht- und Farbenwirkung erzielten
(s. Taf. II, Fig. 11–15, 16–18).
Die böhmische G. vermochte in dieser Art nicht nachzufolgen. Von Ludwig Lobmeyr (Firma J. + L. Lobmeyr), dem die moderne böhmische G. ihre
künstlerische Richtung, ihre Höhe und ihre Erfolge verdankt, wurde die krystallene Helligkeit und Klarheit in den Vordergrund gestellt, und
nach dem Muster der Kunstarbeiten in Bergkrystall aus dem 16. Jahrh. die größte Schönheit der Formen in Verbindung mit gravierten
Ornamenten angestrebt (s. Taf. II, Fig. 19–25). In dieser Hinsicht sind Schalen mit
unterwärts vertieft eingegrabenen Figuren und Ornamenten, welche aussehen, als wären sie erhaben auf der Oberfläche, wohl das Schönste und
Beste, was die moderne G. hervorgebracht hat. Aber Lobmeyr wollte ebenso, wie er dem Krystallglas den Weg gezeigt, auch dem farbigen Glas
eine edlere Richtung in Form und Verzierung geben, und auch dies gelang ihm in vielfacher Weise, insbesondere mit Gefäßen und Dekorationen
nach altorient. Art. Diese vielseitigen erfolgreichen Versuche förderten nicht nur die G. in Österreich, sondern auch in Deutschland
(Rheinische Glashütte zu Ehrenfeld bei Köln [s. Taf. II, Fig. 5–10], Josephinenhütte in
Schlesien), wo man auch dem deutschen Glas des 16. Jahrh. Aufmerksamkeit schenkte. Frankreich (Baccarat [s.
Taf. II, Fig. 1–4], St. Louis) machte ebenfalls Anstrengungen, zumal in Krystallglas,
aber ohne nennenswerten Erfolg. Künstlerisch stehen an der Spitze der modernen G. noch immer einerseits Venedig-Murano, andererseits
England und Österreich.
Litteratur. Lobmeyr, Die Glasindustrie, ihre Geschichte u.s.w. (Stuttg. 1874); Fröhner,
La verrerie antique. Description de la collection Charvet (1879); Friedrich, Die altdeutschen Gläser
(Nürnb. 1884); Gerspach, L´art de la verrerie (Par. 1885); E. Garnier,
La verrerie et l´émaillerie (ebd. 1885); O. von Schorn, Die Kunsterzeugnisse aus Thon und Glas
(Lpz. 1888); Bücher, Die Glassammlung des Österreichischen Museums (Wien 1888); E. von Czihak, Schlesische Gläser. Eine Studie über die
schles. Glasindustrie späterer Zeit (Bresl. 1891).