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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Griechenland (Geschichte 1832 bis zur Gegenwart)

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Griechenland (Geschichte)'

forderungen für die Ernennung der Verwaltungsbeamten und neue Justizgesetze, wonach der Regierung den Richtern gegenüber freiere Hand gelassen wurde. Das von der Kammer bewilligte Budget für 1891 betrug 96541462 Drachmen Einnahmen und 100411479 Drachmen Ausgaben, somit ein Deficit von 3870017 Drachmen.

Indessen war trotz der großen Majorität die moralische Kraft des Ministeriums Delijannis beinahe gebrochen; besonders ging es mit den Finanzen von Tag zu Tag schlimmer; selbst im Kabinett war man über die finanzielle Verwaltung nicht einig, und diese Spaltung führte 5. Sept. zur Abdankung des Finanzministers Karapanos, dessen Portefeuille Delijannis selbst übernahm. Weder die politische noch die finanzielle Lage wurde aber dadurch besser. Zwar vermochte sich das Ministerium noch weiter zu halten, aber weder die Gärung im Kabinett hörte auf, noch zeigte sich die Majorität so willig wie früher. Die Symptome der beginnenden Krisis kamen schon bei der Wiedereröffnung der Kammer zur Erscheinung durch die Bildung einer neuen, der sog. Dritten Fraktion, die teilweise aus bisherigen angesehenen Anhängern der Regierungspartei bestand, darunter selbst der gewesene Kammerpräsident Constantopulos und Rhallis.

Die Kammer wählte 31. Nov. eine Kommission von 12 Mitgliedern für die Voruntersuchung gegen das Ministerium Trikupis, das auf Antrag von 20 Abgeordneten, wegen gesetzwidriger Verwendung von Staatsgeldern, unter Anklage gestellt werden sollte. Erst im Febr. 1891 wurde der Bericht vor die Kammer gebracht und 23. Febr. die Anklage mit großer Majorität abgelehnt. Inzwischen hatte die Kammer ein Gesetz über die Errichtung eines neuen Portefeuille für den Verkehr, ein Gesetz über die Tabakbesteuerung und einen Vertrag über die Abtretung der Eisenbahnlinie Myli-Kalamata an die Bahngesellschaft Peiraieus-Athen-Peloponnesos genehmigt. Trotzdem war die Stellung der Regierung, die durch die Ablehnung der Anklage gegen Trikupis eine große moralische Schlappe erlitten hatte, schon wegen der schlimmen finanziellen Lage und des besonders seit Jan. 1892 noch immer steigenden Goldagios ins Wanken geraten, namentlich hatte Delijannis durch seine unentschlossene und schwankende Haltung gänzlich das Vertrauen des Königs verloren, der plötzlich 29. Febr. von dem ihm durch die Konstitution zustehenden Rechte Gebrauch machte und das Ministerium zum Rücktritt aufforderte. Nachdem der vom König zur Bildung eines neuen Kabinetts gerufene Trikupis abgelehnt hatte, wurde Constantopulos als Vertreter der Dritten Fraktion ans Ruder berufen. Indessen brachte Delijannis 1. März in einer Kammersitzung bei Abwesenheit der Opposition ein Vertrauensvotum zu stande und richtete eine Erklärung an das Volk, wonach der König zwar das Recht hätte, das Kabinett zu entlassen, dieses aber nicht gezwungen wäre abzudanken, sobald es noch die Majorität besäße. Pöbeldemonstrationen wurden in Scene gesetzt und die Aufwiegelung der Garnison versucht; doch mißlangen diese Unternehmungen, da das Militär treu zum Könige hielt und die Haltung des Souveräns vom Volke und von der Presse allgemein gebilligt wurde. Constantopulos bildete darauf sein Ministerium aus Anhängern der Dritten Fraktion; das Kriegs- und das Marineministerium wurden zwei vom König selbst angewiesenen höhern Offizieren ↔ anvertraut. Die neue Regierung suchte Ordnung in der zerrütteten Verwaltung zu schaffen und durch eine provisorische Anleihe die Zahlung der im März und Juli fälligen Coupons zu sichern, vermochte aber die allmähliche Steigerung des Goldwertes nicht zu verhindern. Am 24. März wurde die Kammer aufgelöst. Die Neuwahlen vom 15. Mai waren ein Triumph für Trikupis; unter den 207 neugewählten Abgeordneten waren etwa 170 Anhänger seiner Partei. Constantopulos behielt indessen das Portefeuille bis zur definitiven Konstituierung der Kammer, die 6. Juni zusammentrat. Nachdem sie 20. Juni Buduris, den Kandidaten der Trikupisten, mit 155 unter 164 Stimmen zum Präsidenten gewählt hatte, reichte Constantopulos seine Abdankung ein. Am folgenden Tage bildete Trikupis ein neues Ministerium. Die Kammer beschloß 18. Juli die Abschaffung der von Delijannis wieder eingeführten kleinern Verwaltungsbezirke, nahm 20. Juli bedeutende Veränderungen der Wehrgesetze vor, bewilligte 22. Juli die Ersetzung der Kommunalpolizei durch eine militärische, legte 29. Juli den Schülern der mittlern Unterrichtsanstalten und den Studenten der Universität Klassensteuer auf, die gegen 1600000 Drachmen jährlich einbringen sollte, und führte ein neues System für die Geschworenengerichte ein. Am 2. Aug. wurde ein Gesetz über die Regelung des Volksschulwesens und die Aufhebung der speciellen Kasse für dasselbe votiert. Zuletzt wurde 8. Aug. das Budget für 1892 bewilligt, wonach die Einnahmen 103550792, die Ausgaben 99986128 Drachmen betrugen.

Im Herbst desselben Jahres kam es zu einem Konflikt mit Rumänien. Die Veranlassung dazu war eine Erbstreitigkeit, die sich nach dem Tode eines in Rumänien ansässigen Griechen, Konstantin Zappas, erhob, dem von einem 1865 verstorbenen Vetter, ebenfalls einem Griechen, das Nutznießungsrecht seiner meistens in Rumänien befindlichen Immobilien im Werte von mehrern Millionen mit der Bestimmung gewährt war, daß sie nach dessen Tode der griech. Nation anheimfallen sollten. Die rumän. Regierung bestritt das Recht der griech. Nation auf die in Rumänien befindlichen Immobilien und verwies die Angelegenheit des außerdem auch von etlichen Verwandten des Verstorbenen angefochtenen Testaments vor die rumän. Gerichte. Die von G. vorgeschlagene Entscheidung durch ein Schiedsgericht wurde abgelehnt, worauf die griech. Regierung die diplomat. Beziehungen mit Rumänien abbrach und ihren Vertreter 20. Okt. aus Bukarest abberief; der Vertreter Rumäniens am griech. Hofe verließ Athen am folgenden Tage. Der Streit war trotz der für G. günstigen Meinungsäußerungen von hervorragenden ausländischen Juristen bis Sept. 1893 noch nicht beigelegt.

Nach Erledigung verschiedener anderer Gesetze genehmigte die Kammer 28. Febr. 1893 das Budget für 1893 mit 111701939 Drachmen Einnahmen und 105701939 Drachmen Ausgaben. Nach dem Schluß der Session konnte die Regierung frei von andern Sorgen ihre auf die Regelung der Finanzen zielende Thätigkeit weiter entfalten. Trikupis hatte zwar im Dezember vermocht, den Verpflichtungen des Landes den auswärtigen Gläubigern gegenüber nachzukommen; es war aber nicht zu leugnen, daß die finanzielle Frage noch immer eine brennende war. Trotz der Produktivität des Landes fing man in Europa an, durch finanzielle

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 345.