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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Griechische Kunst
kräftigen, schweren Formen und ihren klaren Verhältnissen, in denen das Princip der dor. Architektur, das harmonische Zusammenwirken strebender Kräfte und getragener Lasten, in einfacher Vollendung zum Ausdruck kommt. Ihnen reihen sich außer den Tempeln in Metapont die in Sicilien, die Tempel von Selinus, Syrakus und Agrigent an; einige von ihnen reichen in das 5. Jahrh. v. Chr. herab, wie der gewaltige Zeustempel zu Agrigent (s. den Grundriß Taf. I, Fig. 6), durch seine Größe und Architektur merkwürdig, indem der freie Säulenumgang durch Mauern mit Halbsäulen ersetzt war. (Vgl. Hittorf, Architecture antique de la Sicile, Par. 1826-30; neue Bearbeitung, ebd. 1870.) Auch im eigentlichen Griechenland war in der Periode vor den Perserkriegen eine reiche Bauthätigkeit entwickelt, aber die Überreste sind weniger gut erhalten; nur weniges, wie der Athenetempel auf Aigina (s. Äginetische Kunst), derTempel von Korinth, steht von diesen ältern Bauten zum großen Teil noch aufrecht. Die meisten Tempel sind von den Persern niedergebrannt, so auch der alte Athenetempel auf der Burg von Athen, ein Bau aus der Pisistratidenzeit, dessen Fundamente durch Ausgrabungen neuerdings zu Tage gefördert worden sind. In der Architektur des um 550 v. Chr. von Chersiphron erbauten Artemistempels zu Ephesus (s. d.) trat der ionische Stil zum erstenmal in glänzender Prachtentfaltung hervor; unter allen Tempeln Ioniens war er der einzige, den Xerxes auf seinem Kriegszuge verschonte.
Nach den Perserkriegen wurde Athen zum mächtigsten Staate Griechenlands. Mit seinem Aufschwung ist auch die Entwicklung der Architektur wie der übrigen Künste eng verbunden. Was die Periode des 5. Jahrh. v. Chr. von der vorhergehenden unterscheidet, ist die vorherrschende Verwendung des Marmors und damit im Zusammenhange eine leichtere Gestaltung aller architektonischen Einzelheiten, der feinere Fugenschluß, die zartere Ausbildung der Ornamente, überhaupt eine höhere Formvollendung bei schön abgewogenen Verhältnissen und mäßiger Größe. Der Charakter des dor. Stils änderte sich, indem die Säulen schlanker wurden und der Echinus (s. d.) des Kapitals eine steigende, fast geradlinige Form statt der rund ausgebauchten annahm. Dabei machte sich, merklich fortschreitend, ein Eindringen ion. Elemente geltend, vorzugsweise in Athen, während man im Westen zunächst an der streng dor. Weise festhielt, wie sie der bald nach den Perserkriegen von dem Eleer Libon gebaute Zeustempel in Olympia zeigt, und nur vereinzelt hier der ion. Stil recipiert wurde, so in der griech. Kolonie Lokri in Unteritalien, wo jüngst ein ion. Tempel aus dem 5. Jahrh. v. Chr. aufgedeckt worden ist. (Vgl. Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts; Röm. Abteil. V, 1890, S. 161-227.) In Athen war schon in der Zeit der Pisistratiden durch die zugewanderten Künstler von den Inseln und Kleinasien das ion. Kapital bekannt geworden, aber es scheint, daß es damals noch nicht bei Gebäuden, sondern nur für Postamente von Weihgeschenken Verwendung gefunden hatte. Anders gestaltete sich der Einfluß "des ion. Stils in der großen Bauperiode unter Perikles, der im Zusammenwirken mit den bedeutendsten Künstlern, mit Phidias und den Architekten Kallikrates, Iktinos, Mnesikles, der athenischen Burg ihren glänzenden Schmuck gab, nachdem in den Jahren voerher, unter der Staatsleitung des Themistokles und Kimon, das Streben auf die Instandsetzung der von den Persern zerstörten Bauten und die Befestigung der Stadt und ihrer Häfen gerichtet gewesen war. Der sog. Theseustempel am Markt unterhalb der Burg, berühmt durch seine vorzügliche Erhaltung, ist ein dor. Bau; aber die strenge Einhaltung der dor. Ordnung ist an der Cella aufgegeben, indem an der Vorhalle und Rückseite über den dor. Säulen nicht, wie am äußern Säulenumgang, ein Metopen- und Triglyphenfries, sondern ein dem ion. Stil entlehnter Figurenfries angebracht ist. Ähnlich ist es am Parthenon (s. d.), dem Meisterwerke des Iktinos und Kallikrates, nur daß hier schon ein Schritt weiter gethan und der Figurenfries (mit der schönen Reliefdarstellung des panathenäischen Festzugs) um alle vier Seiten der Cella herumgelegt ist. Die so angedeutete und gleichsam vorbereitete Vermischung beider Stile zeigt sich an der Eingangshalle zur Burg, den Propyläen (s. die Textfigur beim Artikel Athen, Bd. 2, S. 22), in Athen bereits weiter durchgeführt, indem bei sonst dor. Architektur als Träger der innern Decke ion. Säulen verwendet sind. Zugleich sand auch die rein ion. Bauordnung Aufnahme, so an dem kleinen Tempel der Athena Nike, der räumlich und zeitlich mit den Propyläen in engster Verbindung steht, und kurz darauf an dem gegen Ende des 5. Jahrh. v. Chr. ausgefüllten Neubau, der an die Stelle des alten Burgheiligtums der Athena Polias trat, am Erechtheion (s. d. und Taf. I, Fig. 7). In diesem Tempel befand sich die goldene Lampe des Kallimachus, dem die antike Überlieferung die Erfindung des korinthischen Kapitals zuschreibt. Er lebte um die Mitte des 5. Jahrh. v. Chr. und aus dieser Zeit finden sich auch die ersten Spuren von dem Eindringen der korinth. Ordnung (s. Taf. I, Fig. 2) in die Architektur. Eine Säule mit korinth. Kapital hatte Phidias an der Statue der Athena Parthenos als Stütze verwendet und eine einzelne korinth. Säule stand im Innern des Apollotempels von Bassä (s. d.), dessen Bau Iktinos kurz nach Vollendung seines Hauptwerkes, des Parthenon, ausführte. In der Tholos von Epidaurus (s. d.) aber, einem kreisrunden Gebäude, das von dem jüngern Polyklet (4. Jahrh. v. Chr.) herrührte, war bereits die ganze innere Säulenstellung mit korinth. Kapitalen ausgestattet, während die äußere in dor. Ordnung gegliedert war. Auch an dem großen Athenatempel in Tegea, den Skopas um die Mitte des 4. Jahrh. v. Chr. baute, hatte das Innere korinth. Säulen, während das wohlerhaltene kleine Lysikratesmonument (s. Taf. I, Fig. 4 u. 5) in Athen 334 v. Chr. ganz in diesem Stil erbaut ist. Aber für größere Bauten einheitlich durchgeführt, fand er erst in der hellenistischen Periode Aufnahme, bis er in röm. Zeit, als dem großartigen Charakter der Prachtanlagen am meisten entsprechend, die übrigen Ordnungen mehr und mehr verdrängte und der herrschende wurde. So ist er auf griech. Boden in Athen im Olympieion, das unter Hadrian vollendet wurde, in Eleusis in den Propyläen des Appius Claudius Pulcher glänzend vertreten.
Die führende Rolle in der Architektur, die nach den Perserkriegen Athen gehabt hatte, ging im 4. Jahrh. v. Chr. an Kleinasien über; die Bauthätigkeit, die sich hier entfaltete, knüpft äußerlich an das Mausoleum von Halikarnassos (s. d.) an. Dieselben Künstler, die dieses erbauten, Skopas und Genossen, waren zum Teil mit an den großen Tempelbauten beteiligt, die man fast gleichzeitig,