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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Griechische Musik

man, wie es scheint, fast immer im Einklang gespielt; dagegen war das Spiel auf der Doppelflöte zweistimmig. Dabei wurde neben der Oktave nur die Quinte und Quarte als Konsonanz angesehen, die Terzen galten in der Theorie wie in der Praxis als Dissonanzen. Daß sie also jemals zu einem Schlußaccord verwendet worden wären, ist völlig undenkbar.

Was die Tonarten betrifft, so bestand von alten Zeiten her neben der bisher besprochenen dor. Tonleiter (e a e') eine phrygische und eine lydische. Die Eigentümlichkeit der phrygischen bestand darin, daß der halbe Ton jedesmal die Mitte des Tetrachords einnahm, also:

^[Tabelle]

d e f g und a h c' d'

oder e fis g a und h cis' d' e'.

Die lydische Tonart dagegen hatte wie unsere Durtonleiter den Halbton oben:

^[Tabelle]

c d c f und g a h c'

oder f g a b und c' d' e' f'

oder e fis gis a und h cis' dis' e'.

Schon die von Ptolemäus in seiner "Harmonik", 2, Kap. 11 angestellte Erwägung, daß für den Gesang in jeder Tonart ein und dieselbe Oktave am bequemsten sei, weil die Stimme sonst zu hoch geschraubt oder zu tief gedrückt werde, legt uns den Gedanken nahe, auch die phrygische und lydische Tonart von e bis e' anzusetzen. Für die achtsaitige Lyra hatte man ohnehin keine andere Wahl; überdies wird nur durch diese Annahme der Umstand erklärlich, daß später bestimmte Versetzungen der dor. Grundskala als phrygisch oder lydisch bezeichnet werden. Thatsächlich heißt die um einen ganzen Ton höher laufende, im übrigen dem dor. Grundsystem nachgebildete Tonleiter bei allen Schriftstellern eine phrygische. Die Sache wird erklärlich, wenn man sich die oben angeführte phrygische Oktave e fis g a u. s. w. zu einem ähnlichen System wie das oben angegebene erweitert denkt: H cis d e, fis g a h, cis' d' e' fis'.

Der stets nach seinen heimatlichen Begriffen rechnende Grieche hatte sich offenbar auf seiner Lyra das Phrygische durch Erhöhung der f-und c-Saite hergestellt; dann aber konstruierte er sich aus dieser fremdländischen Tonreihe wieder ein System H cis u. s. w., welches seinem nationalen Grundsystem A h c d u. s. w. aufs Haar glich, nur um einen Ton höher gestimmt war. Der Ausdruck tonos phrygios, phrygische Stimmungsart, ursprünglich von der Art gebraucht, in der man sich eine Lyra phrygisch stimmen konnte, bezeichnet in der spätern Zeit eine Tonreihe, die einen Ton höher steht als das Grundsystem. Ebenso erwuchs aus der Reihe e fis gis a h cis' dis' e' (aus der der Lyra angepaßten lydischen Oktave mit Höherstimmung von vier Saiten) eine Nachbildung des dor. Grundsystems, die um eine große Terz höher stand als dieses und mithin cis zum Grundton hatte.

Die bis zur Quinte abwärts verlängerte Tonreihe enthielt neben der dor. Grundoktave e-e' mit Grundton a in der Mitte noch eine eng verwandte als hypodorisch oder halbdorisch bezeichnete Oktave A-a. Auch der mit zwei Erhöhungen gebildeten phrygischen Tonleiter ging eine ebenso zusammengesetzte Reihe von A-a als hypophrygische Tonart mit Halbton an dritter und sechster Stelle zur Seite, und ein Gleiches war wiederum mit der lydischen Tonart der Fall: hypolydisch A-a mit vier erhöhten Stufen.

Übertrug man aber auch diese Nebenoktaven auf den Umfang e-e' der Lyra, so bekam man:

^[Tabelle]

Dorisch: e f g a h c' d' e'

Hypodorisch: e fis g a h c' d' e'

Phrygisch: e fis g a h cis' d' e'

Hypophrgisch: e fis gis a h cis' d' e'

Lydisch: e fis gis a h cis' dis' e'

Hypolydisch: e fis gis ais h cis' dis' e'

Wie aus den drei Hauptskalen Nachbildungen des Grundsystems (transponierte Skalen) entstanden waren in A-, H- und Cis-moll, so erwuchsen aus den drei Nebenoktaven eben solche Versetzungen in E-, Fis- und Gis-moll.

In röm. Zeit änderte sich das System. Normaloktave war nicht mehr e-e', sondern f-f'. Aus dieser Periode haben wir die Notenverzeichnisse des Alypios, in denen die nie gebrauchte hypolydische Skala die einfachste, während die dorische einer künstlich abgeleiteten Tonart mit 5 b^[vgl. Abb] gleich sieht.

Der durch Terpander von Lesbos begründete kitharodische Nomos (Sologesang eines Virtuosen, von ihm selbst auf der großen, zum Konzert geeigneten Kithar begleitet), dessen Inhalt Lobpreis und Anrufung einer Gottheit bildete, blieb allezeit die am meisten bewunderte, bei allen Gesangsfesten am höchsten geehrte Leistung musischer Kunst. Auf derselben äol. Insel bildete sich durch Alcäus und Sappho um 600 v. Chr. eine mehr auf persönliches Empfinden gerichtete Sangesart aus, die man sich auf der jedem Griechen vertrauten Lyra begleitete, und die leichtlebigen Bewohner der gesegneten ion. Kolonialstädte machten sich diese lyrische Poesie gern zu eigen (Anakreon 530). Rein instrumentales Zitherspiel, in Argos um 570 v. Chr. aufgebracht und später regelmäßig zur Preisbewerbung bei Musikfesten zugelassen, konnte sich dem Gesang gegenüber nie zu großer Bedeutung erheben.

Dem lange Zeit als ungriechisch gehaßten Aulos, einem nach Art der Klarinette gebauten Doppelinstrument, hat dagegen Sakadas um 580 v. Chr. nicht nur dauernde Zulassung zur Preisbewerbung an dem pythischen Normalfeste verschafft, indem er den Kitharoden zum Trotz Apollos Kampf und Sieg über den delphischen Drachen in einem mehrteiligen Konzertstück mit malender Programm-Musik darzustellen wußte (pythischer Nomos). Die den Saiteninstrumenten an Schallkraft weit überlegene Doppelflöte errang sich sogar mit der Zeit immer steigenden Einfluß auf das musikalische Leben in Griechenland. Im dor. Peloponnes war die Flöte von Anfang an geduldet gewesen; für den dort aufblühenden Chorgesang war sie ja ohnehin kaum zu entbehren. Nachdem man nämlich von jeher Götter und Heroen durch festliche Reigen und Prozessionen geehrt hatte, ließ sich besonders der dor. Stamm die Ausbildung dieser mit Gesang verbundenen Chortänze angelegen sein, indem Alkman (um 640 v. Chr.) die Spartaner, Stesichoros (um 580 v. Chr.) die Bewohner der sicil. Kolonien mit solchen Liedern versorgte. In ihre Fußstapfen tretend, hat der thebanische Pindar den Ruhm olympischer und pythischer Sieger mit seinen Chorhymnen verherrlicht. Als sodann im 5. Jahrh. v. Chr. an dem großen Dionysosfeste zu Athen Äschylos und Sophokles ihre Dramen zur Aufführung brachten, da stand hinter der Tiefe ihrer Gedanken und der Schönheit ihrer Sprache die melodische und rhythmische Gestaltung ihrer Chorgesänge keineswegs zurück. Athens Blütezeit war zugleich der