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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Großbritannien und Irland (Geschichte 1307-1485)

Barone die Notlage Eduards, um die denkwürdige Charte von 1297 zu erzwingen, in der der König sich neben einer Neubestätigung der Magna Charta für alle Steuerforderungen an die Bewilligung des Parlaments band. Dies aber war nicht mehr allein ein Parlament der Prälaten, Earls und Barone, sondern wie zuerst Simon von Montfort 1265 neben ihnen zwei Ritter aus jeder Grafschaft und zwei Bürger aus einer Reihe von Städten mit zum Parlament berufen, und wie Eduard diesen Vorgang mehrfach wiederholt hatte, so wurden jene Vertreter der ländlichen und städtischen Kommunen jetzt gesetzlich mit in das Parlament einbegriffen. (S. Commons, House of.) Dieses war damit in seiner wesentlichen Gestaltung und seinen wichtigsten Rechten für eine Zukunft von fünf Jahrhunderten begründet. Wie das Königtum der Anjou-Plantagenet von seinen imperialistischen Zielen abgedrängt, allmählich ein englisch-nationales wurde, so war in derselben Zeit, nicht zum wenigsten durch den gemeinsamen Widerstand gegen die Ausschreitungen der Monarchie und durch die ständische Verfassung, ein Zusammenschluß und die Verschmelzung der zuerst feindlich sich abstoßenden Normannen und Angelsachsen zu der einen engl. Nation geschehen.

3) Die Zeit des Aufschwungs von Eduard III. bis auf Heinrich V. und der Verfall im Zeitalter der Rosenkriege (1307-1485). Die Auflösung alles dessen, was Eduard I. geschaffen, schien die Regierung seines Sohnes zubringen, des Schwächlings Eduard II. (1307-27), die ganz erfüllt ist von ununterbrochenem Kampf mit den Baronen. Die Wirren infolge der absolutistischen Bestrebungen des unfähigen Monarchen, der Widerstand der Magnatenschaft, der persönliche Ehrgeiz ihrer Führer bewirkten nach außen hin den Verlust der Hoheit über Schottland. Eine Verschwörung unter der Führung von Eduards Gemahlin Isabella und ihrem Günstling Mortimer brachte schließlich den König um Thron und Leben. Nach dem Sturz der Königin und ihrer Partei, die die Regentschaft an sich gerissen hatte, eröffnete sich unter Eduard III. (1327-77) eine Zeit größter Erfolge in der auswärtigen Eroberungspolitik und zugleich eine Periode weitern Ausbaues der Parlamentsverfassung, eines neuen Aufschwungs auch im Handel und geistigen Leben. Eduard III. griff wieder entscheidend in die schott. Verhältnisse ein, und Kriege und Intriguen mit diesem nördl. Nachbar durchzogen seine Regierung, denn die für England so gefährliche Verbindung schott. und franz. Politik, die unter Eduard I. begonnen hatte, befestigte sich unter Eduard III. Den Bruch mit Frankreich führte Eduard selbst herbei durch seine Ansprüche auf die franz. Krone als Schwestersohn der letzten ohne männliche Erben verstorbenen kapetingischen Könige. (S. Frankreich, Bd. 7, S. 86.) Hoher Ruhm umkleidet die ersten Jahrzehnte des 1340 beginnenden und mit wenigen Unterbrechungen hundert Jahre dauernden Krieges. Die Siege bei Sluys (1340), Crecy (1346), Maupertuis (1350) und die heldenhafte Gestalt des Schwarzen Prinzen von Wales, machen diese Epoche zu einer der glänzendsten in der engl. Geschichte. Aber noch vor Eduard sank sein kriegerischer Sohn ins Grab, und er selbst sah den ganzen Siegesgewinn, das südwestl. Frankreich bis nahe der Loire, wieder verloren gehen, und gerade mit Benutzung der Kriegsnöte des Königs erkämpfte das Parlament sich neue Rechte; schon jetzt beginnen als seine Wortführer die gesondert von den Lords tagenden Gemeinen (s. Commons, House of) in den Vordergrund zu treten, und mit Erfolg erhoben die Grafschaftsritter und Städtebürger Einspruch gegen die Umtriebe höfischer Parteien am Hofe des altersschwachen Monarchen. In unruhiger Zeit gelangte Eduards elfjähriger Enkel und Nachfolger Richard II. (1377-99), der Sohn des Schwarzen Prinzen, auf den Thron. Eine unglückliche Kriegführung gegen Frankreich und Schottland und der dadurch vermehrte Steuerdruck entfesselten eine große sociale Empörung unter Wat Tyler, die nur mit Mühe unterdrückt wurde. Wie hier in den untersten Volksschichten, so stieg auch die Unzufriedenheit in den Kreisen der führenden Großen. Als Leiter der parlamentarischen Opposition bemächtigte sich des Königs Oheim Gloucester der Herrschaft, bis sie ihm der mündig gewordene König entriß. Nach der achtjährigen Ruhe einer maßvollen persönlichen Regierung des Monarchen brach der Hader aufs neue aus und endete mit dem Sturz Richards durch den von ihm verbannten Herzog Heinrich von Hereford, seinen Vetter, der als Heinrich IV. (1399-1413) die Königsreihe der jüngern Plantagenetlinie Lancaster eröffnete.

Da Heinrich IV. hauptsächlich durch die Hilfe des Parlaments den Thron bestiegen hatte, so erntete vor allem das Parlament die Früchte dieser Umwälzung. Während Heinrich durch Adelsverschwörungen, besonders der Percys (s. Northumberland), durch Kämpfe gegen Wales und Schottland in Atem gehalten wurde und in diesem Ringen seine reiche Kraft vor der Zeit aufrieb, schritten die Gemeinen von Recht zu Recht fort, sie nötigten dem König geradezu ein fast modern parlamentarisches Regiment auf. Das eine hat Heinrich IV. nur erreicht, daß sein Sohn Heinrich V. (1413-22) unangefochten sein Erbe antrat, und der Arbeit des Vaters war es zu einem guten Teil zu danken, daß das staatsmännische und kriegerische Talent des Sohnes seine staunenswerten Erfolge erringen konnte. Heinrich V. hielt fest an den Grundsätzen der Regierung Heinrichs IV., gegenüber den Parlamenten wie gegenüber der andern Hauptstütze des Lancasterthrons, der Geistlichkeit; er wie sein Vater mußte dieser die Lollharden (s. d.), die Anhänger Wyclifs, zu blutiger Verfolgung preisgeben. Dafür schritt er in seinem franz. Kriege, den er mit der glänzenden Waffenthat bei Azincourt (1415) eröffnete, fort bis zu seiner Anerkennung als Erbe des franz. Thrones (1420); aber mitten aus seiner großen Laufbahn wurde er durch eine tödliche Krankheit hinweggerafft (Aug. 1422). Trotz der vielfachen äußern und innern Unruhen war das vergangene Jahrhundert eine Epoche reicher Entwicklung für England gewesen. Das an Volkszahl und Reichtum weit hinter Frankreich stehende Land hatte in zwei siegreichen Eroberungskriegen diesem Gegner eine Reihe seiner Provinzen entrissen und bewährte damit die wachsende Kraft der erstarkten Nation. Auch die innere Entwicklung hatte ihren Fortgang gewahrt; die im Parlament vertretenen Klassen wuchsen an polit. Einsicht und Reife, der Handel nahm frischen Aufschwung, und das engl. Geistesleben hatte seine ersten reichen Blüten getrieben. Und als nun der Höhepunkt dieser Entwicklung erreicht war, da erfolgte der Umschwung, der bis zur vollen Zerstörung aller Ergebnisse zu führen schien.