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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Großbritannien und Irland (Geschichte 1714-1832)

trug die Krone auf den Oranier und seine Gattin Maria zu gleichem Recht (13. Febr. 1689). Thatsächlich Herrscher war Wilhelm III. (1689-1702), und unter diesem genialen Monarchen erlebte England eine neue glanzvolle Epoche seiner Geschichte. Wilhelm machte Englands Macht dem von ihm lange verfolgten großen Ziel seines Lebens dienstbar: Europa von dem Drucke franz. Übermacht und schrankenloser Eroberungssucht zu befreien. Oft hatte er harte Kämpfe mit dem Mißtrauen der wechselnden Parlamente zu bestehen, oft drohten diese ihm die Früchte seiner Errungenschaften zu rauben; aber dem gegenüber wirkten auch Jahre hindurch Krone und Parlament in einmütiger Begeisterung für ihr großes Ziel. Die Feindschaft Frankreichs hatte Wilhelm sofort nach seiner Thronbesteigung zu empfinden in der Unterstützung Jakobs II., der von Irland aus seine Rückkehr zu erzwingen suchte, aber an der Boyne (s. d.) den Waffen Wilhelms erlag (1690). Nach mehrjährigem Krieg auf dem Kontinent gelang es 1697 im Frieden von Ryswijk (s. d.) zum erstenmal, dem erobernden Ludwig XIV. eine Schranke zu setzen. Die große auswärtige Politik wirkte auch auf das Innere zurück. Den Regierungsanfang Wilhelms bezeichnete ein vom Parlament erlangtes Toleranzedikt wenigstens für die prot. Nonkonformisten, die Verfassung erfuhr neue Festsetzungen durch die Regelmäßigkeit der Parlamentsberufung, und endlich 1701 ihren letzten Ausbau durch die "Thronfolgeakte" (Act of settlement), die mit Übergehung der Stuarts die Thronfolge des protestantischen, in weiblicher Linie diesen verwandten Hauses Hannover sicherte. Es war dies notwendig, da Wilhelm kinderlos blieb, und die Kinder seiner Schwägerin Anna, Jakobs II. jüngerer Tochter, sämtlich früh gestorben waren. Noch kurz vor seinem Ende gelang es dem eifrigen Gegner Ludwigs XIV., eine europ. Koalition gegen diesen unter die Waffen zu bringen, als er die Erbfolge in Spanien für sein Haus in Anspruch nahm. Mit dem Ausblick auf die Vollendung seines Werkes, die Übermacht Frankreichs in Europa zu brechen, starb Wilhelm 19. März 1702. Englands Teilnahme am Spanischen Erbfolgekriege (s. d.) war das Erbe, das er der Schwester seiner Gattin, der Königin Anna (1702-14) hinterließ. Gegenüber dem genialen Oranier war Anna eine unfähige, kurzsichtige, von den kleinlichsten Einflüssen abhängige Frau; der Führer der engl. Politik und der engl. Heere war der zum Herzog aufsteigende Marlborough (s. d.), neben dem der Schatzkanzler Godolphin die innere Verwaltung leitete. Selten haben Englands Waffen solche Triumphe erfochten wie auf den Schlachtfeldern des Spanischen Erbfolgekrieges, und zugleich vollzog sich im Innern die denkwürdige Vereinigung der schon durch die Person des Herrschers verbundenen Reiche von England und Schottland zu dem einen, durch ein gemeinsames Parlament dargestellten Reiche von Großbritannien (1707), neben dem nur noch Irland als besonderer Teil bestehen blieb. Marlborough und Godolphin sollten nicht die Früchte ihrer Thaten ernten. Sie hatten mit einem Torykabinett begonnen, allmählich aber dessen Umgestaltung zu Gunsten der ihre Politik eigentlich stützenden Whigs zulassen müssen. Der Mißbrauch der Gewalt, den diese übten, führte im Lande einen Umschwung für die Tories herbei, und eine Boudoirintrigue bei der Königin brachte die Führer derselben, Harley (s. Oxford) und Saint-John (s. Bolingbroke), an die Spitze der Geschäfte (1710). Saint-John betrieb als Leiter des Auswärtigen mit größter Energie die Beendigung des Krieges und erzwang, mehr zum Vorteil Englands als seiner Bundesgenossen, 1713 den Utrechter Frieden (s. d.). England erhielt die Anerkennung der prot. Thronfolge, ferner reichen Zuwachs zu seiner Kolonialmacht durch die Hudsonbailänder, Neuschottland und Neufundland sowie die Insel Minorca und die Pforte des Mittelmeers, Gibraltar. Aber nicht lange überdauerte das Toryministerium seinen Triumph, der eifersüchtige Hader der Führer brachte die Entlassung Harleys, und kurz darauf, wenige Tage vor dem Tode der Königin, gelang es den Whigs, Bolingbroke zu verdrängen, um nun unter der nachfolgenden Dynastie für lange Jahre die Herrschaft zu behaupten.

Anna, die letzte dem Hause der Stuarts entstammende Königin, starb 1. Aug. 1714. Sie hatte, wie alle Glieder dieses Hauses, das geringste Verdienst an dem gewaltigen Aufschwung, den England in der Epoche genommen, die den Namen der Stuarts trägt. Zu seiner herrschenden Stellung in Europa, zur werdenden Gebieterin der Meere, zur reichsten Handelsmacht, zu seiner kolonialen, seiner ganzen staatlichen Größe ist England gestiegen durch die erwachte Thatkraft eines selbständig und frei handelnden Volks und durch die unvergleichlichen Führer, deren keiner ein Stuart war: Cromwell, Wilhelm und Marlborough. Die Stuarts haben lediglich den Zwiespalt entfesselt, der nach hundertjährigem Kampf zum vollen Sieg des Parlaments über die Königsmacht führte. Die Entartung dieses Königshauses wurde der Grundstein zur Herrschaft des Parlaments; nur der Größe des Oraniers ist es zuzuschreiben, daß trotz allen Widerstandes die Krone sich noch einmal zur Führerin der Nation aufschwang. Unter Anna wurde sodann der Grundsatz parlamentarischer Mehrheitsregierung wirklich durchgeführt. Mit der "Erklärung der Rechte" und der "Thronfolgeakte", den letzten schriftlichen Verfassungsurkunden, ist der parlamentarische Charakter des engl. Staates dauernd festgestellt worden. Regierte unter den Tudors der König durch das Parlament, so regierte von nun an das Parlament durch den König.

6) Die Epoche der Parlamentsaristokratie unter den Georgen bis zur ersten demokratischen Parlamentsreform unter Wilhelm IV. (1714-1832). Auf Grund der Thronfolgeakte von 1701 bestieg der Kurfürst von Hannover, durch seine Mutter Urenkel Jakobs I., als Georg I. (1714-27) den Thron von G. u. I. Trotz entgegenstehender jakobitischer Bestrebungen fand er keinen Widerstand. Die ihm von Beginn an zuneigenden Whighäupter, die im letzten Augenblick unter Anna die Regierung an sich gerissen hatten, wurden von dem neuen König bestätigt und wurden für Jahrzehnte die eigentlichen Herrscher im Lande, denn der 54jährige Georg I. stand den engl. Verhältnissen völlig fremd gegenüber; nicht einmal die Sprache seines neuen Königreichs verstand er und war zu unbegabt und träge, um sich mit Energie in seine Stellung hineinzuarbeiten. So kam das Regiment in die Hände der aristokratischen Führer der Whigpartei. Mit gehässiger Verfolgung suchten sie die toryistischen Gegner wegen der letzten Regierungshandlungen zu belangen; Bolingbroke entging den Folgen einer Hoch-^[folgende Seite]