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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Grundeigentum
striche nieder, was namentlich bei den german.
Stämmen die Regel war, so bebielt derselbe den
besetzten Grund und Boden znnächst in dein Ge- l
samteigentume der freien Genossen. Indessen blieb ,
nnr ein Teil des so besetzten Landes, Weide und ,
Wald, bei den Germanen danernd Gemeinbesitz und i
der gemeinsamen Nutzung aller "Markgenossen" ^
(s. Marlgenossenschaftcn und Allmende) prei^ge- !
geben. Diejenigen Grundstücke, welche zur Errich- z
tnng der HofstiMe und zum Ackerbau dienten, gingen
bald in das Individualeigentnm der einzelnen über.
Erfolgte die Ansiedelung, wie in den bisher telt. Ge-
bieten lWestsaien), in Einzelhöfen (s. Hofsystem), so
gelangten deren Besitzer unmittelbar zu vollem Eigen-
tum an Hof und Ackerland. Ließ man sich, was die
Regel war, in Dorfschaften nieder, so erhielten die
Genossen zunächst nur die eigentlichen Hosstellen zn
thatsächlichem Eigentum, die Acker erst, nachdem an
Stelle der ursprünglich gemeinsamen Bestellung die
getrennte Wirtschaft auf einzelnen, durch das Los
zugewiesenen Anteilen getreten war. Diefe Um-
wandlung gefchab bereits in der ersten Hälfte des
Jahrtansends n. Chr.; nach wie vor aber blieb das
G. der Dorfgenossen mit vielerlei Bcschräntnngen,
Nachwirkungen der alten Feldgemeinschaft (s. d.),
verknüpft. (S. Flurzwang, Dorfsystem.)
Vei den Slawen (wie anch in Ostindien) findet
sich noch hente in großem Umfange Gemeineigen-
tum am Ackerlande (s. Mir). Die frühe Entstebung ^
des Privateigentums an demselben bei den Ger- !
manen hat einerseits zur Folge gehabt, daß die
bäuerliche Bevölkerung sich bald differenzierte nnd
diejenigen Klaffen derselben fich herausbildeten,
welche wir noch hente in den deutschen Dörfern finden
(s. Bauer, Bauerngut, Bauernstand). Andererseits
vermochte nichts so sehr als gerade das Privat- >
eigentum die Thatkraft und Arbeitsfreude des ein- ^
zelnen Wirtes zu beleben; der individualiftifche Cha-
rakter der deutfchen Agrarverfassung hat die Übcr-
legenbeit des deutschen gegenüber dem slaw. Baner
bewirkt, der sich zwar der Gleichheit mit seinen Ge-
nossen bis znr Gegenwart erfreut, aber einer Gleich-
heit von Proletariern. !
Während die Mafse der kriegerischen, ackerban- ^
treibenden deutschen Bevölkerung ursprünglich dem l
Stande der Gemeinfreicn angehörte, neben denen !
es nur wenige Adlige und Knechte gab, verschob '
sich diese sociale Gliederung im Laufe des Mittel-
alters derart, daß sich ein zahlreicher Adel über die
Gemeinfreien erhob, daß sich "Grundherrschaften" >
ausbildeten und die Mehrzahl der Bevölkerung in
den Stand der Unfreien herabsank. Im 13. und
14. Jahrh, gab es nur noch wenige Gemeinfreie >
auf den: Lande. Diese Verschiebung war von den !
wichtigsten Folgen für das G. begleitet. Das volle ^
bänerliche G. blieb nur in den wenigen Landesteilen
erhalten, wo die Bauern ihre Vollfreiheit zu wahren
wußten: in Skandinavien, in einigen Alpengcgen-
den, bei den Friesen und Dithmarschen an der
Nordsee. Anch in den Städten blieb das G. un-
versehrt. Überall sonst verbanden sich mit dem G.
Herrschafts- und Dienstverhältnisse.
Die Ausbreitung der Grundherrschaften während ^
des Mittelalters geht in erster Linie auf die Orga- !
sation des Reichs und der Kirche in Form des !
Lehnswesens zurück. Bei vorherrschender Natural-
wirtschaft sahen sich die deutschen Könige genötigt,
die hohen Reichsbeamten (die Grafen) und ebenso
die Biiä>öse und Klöster statt mit einem festen Geld-
einkommen mit Grundbesitz ans dem noch unbe-
setzten Lande oder mit Rodungsprivilegien auszu-
statten. Der König selbst lebte mit seinem Gefolge
von den Erträgen feines Grundbesitzes; errichtete
sich im ganzen Lande seine "Pfalzen" ein, wo er
abwechselnd "Hof" hielt. Der Lehnsbesitz wnrdc
einschließlich der damit verbundenen Amter all-
mählich erblich und znr Grundlage der territorial-
herrlichen Gewalt. Ebenso aber wie der hohe Adel
wurde der spätere niedere Adel, die Hofbeamten
(Ministerialen) und die Ritterschaft (die berittene,
aus Freien und Knechten zufammengesetzte Gefolg-
schaft der Großen), mit Grundbesitz ausgestattet,und
auch diese kleinern Ritterlehen wnrden früh erblich.
Nur ausnahmsweise wurde ein Teil des großen
Grundbesitzes im 3Nittelaltervon denFronhöfen (f.d.)
aus als sog. "Salland" einheitlich bewirtschaftet;
diese Ausnahme trifft vorzugsweise die Königsgüter.
Vielmehr war es Brauch, das Land in kleinern
Stücken an Vanern zu "Leihe" zu geben, welche sich
dafür zu bestimmten Diensten und Naturalabgaben
verpflichteten und anf diefe Weise eine Minderung
ihrer Freiheit erlitten,zuH örig en oder Cen fllalen
Herabfanken. Auch die große Mehrzahl der alt-
ansässigen freien Vauernfamilien geriet feit der
Karolingerzcit unter die Grundherrfchaft, weil die
kleinern Eigentümer gegen die Bedrücknngen und
Übergriffe ihrer großen Nachbarn sich nicht anders
zu schützen wußten, namentlich auch nicht anders
der immer schwerer werdenden Last des Kriegs-
dienstes sich entziehen konnten, als indem sie ihren
Grundbesitz einem Grundherrn übertrugen und dann
mit der Verpflichtung zu bestimmten Leistungen
zurückerhielten.
In den eroberten röm. Provinzen hatten die
Germanen ein von alters her voll entwickeltes pri-
vates G. vorgefnnden, und sie traten hier in die
bestehenden Verhältnisse ein, indem sie vielfach (fo
die Westgoten und Burgunder) eine Quote des
Grundbesitzes der Besiegten (die "torU^") und die
sämtlichen Staatsländereien als Vente nahmen.
Auch konnten die Vornehmen und Reichen, welche
über die Arbeitskraft zahlreicher nnfreier Knechte
verfügten, überall schon früh große Landstrecken als
freies Eigentum erwerben, indem sie Rodungen in
den Gemeinwaldungen vornehmen ließen.
In dem Kolonialgediete der Deutschen gegen die
Slawen östlich der Elbe gewannen die Grund-
herrschaften vom 11. bis 14. Jahrh, ebenfalls eine
große Verbreitung. Die Kolonisation erfolgte mei-
stens in der Form der Verleihung der gesamten
Flur an einen Adligen, der seinerseits Ansiedler
gegen feste Abgaben und Dienstpflichten ansetzte und
sich dafür zu ihrem Schutze verpflichtete. In eigent-
liche Leibeigenschaft gerieten nur die flaw. Urein-
wohner, und durch diefe ließen die Grundherren den
zurückbehaltenen Teil ihrer - mit den bäuerlichen
meist in Gemenge liegenden - Grundstücke bestellen.
So entstand allmählich die Anschanung "nulw
t6rr6 Lang 86iAN6uru. Die in der german. Welt
von Anfang an große polit. Bedeutung des G.
wurde durch die geschilderte Entwicklung noch wesent-
lich gesteigert. Mit dem G. verknüpften sich in ding-
licher Weise Herrschaftsbefugnisse, m denen öffent-
liches und privates Recht nicht voneinander ge-
fchiedcn waren. Dieser Zustand mit seinen zahllosen
verschiedenster Art hatte
für die Masse der Bauern nichts Drückendes. Sie
waren zwar nicht mehr vollfrei, sie unterlagen in