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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Handel
Leben in den unterworfenen Ländern kräftig zu ent-
wickeln und beherrschten bald auch den H. auf dem
Mittelmeere. Indessen welkten mit der Blüte der
arab. Reiche auch diese Verkehrsbeziehungen dahin. ,
An Stelle der Araber und des absterbenden Byzan- ^
tinischen Reichs begründeten seit dem 12. Jahrh, die
ital. Städterepubliken ihre Handelsmacht, die sich
wesentlich auf deu Verkehr mit dem Orient stützte. '
Amalsi und Venedig gingen voran; es folgten Pisa,
Genua und später Florenz. Anfangs beschränkten j
sich die Italiener auf den Verkehr mit Konstan- '
tinopel, dann wurde ihnen Ägypten zugänglich und
Alerandria zu einem wichtigen Stapelplatz. Ein
noch weiteres Gebiet eröffnete sich den ital. Städten
infolge der Kreuzzüge. Sie beherrfchten den H. der
damaligen Kulturwelt auch insofern, als durch sie
die neuern technischen Formen und Hilfsmittel des
H., namentlich die Buchführung, das Bankwesen,
der Wechselverkehr, die Meßabrechnung u. s. w. aus-
gebildet wurden. Inzwischen hatte sich auch im
nördl. Europa der H. kräftig entwickelt. Die Nord-
und Ostsee traten als wichtige Schiffahrtsgebiete
immer mehr hervor. Einerseits nämlich gelangten
die ftandr. Städte in Industrie und H. zu steigen-
der Bedeutung, andererseits breitete die große
deutsche Hansa (s. d.) ihre Handelsmacht immer
weiter aus und trug nicht wenig dazu bei, der Kul-
tur neuen Boden im Osten zu erobern. Im binnen-
ländischen Europa hatte der mittelalterliche H. frei-
lich mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, nicht
nur mit dcn natürlichen, durch den Mangel an guten
Straßen und Verkehrsmitteln bedingten, sondern
auch mit künstlichen Hindernissen, wie Wege- und
Wasserzölle, Stapel-, Umlade- und zahlreiche ähn-
liche Rechte. Dies hinderte indessen nicht, daß eine
Reihe namentlich auch deutscher Binnenstädte, wie
Regensburg, Augsburg, Nürnberg, Ulm, Leipzig
und Frankfurt a. M., einen lebhaften Handelsver-
kehr unterhalten konnten, indem sie von den ital.
Städten die Produkte des Orients bezogen, um sie
auf den flandr. Märkten gegen die niederländ. Fabri-
kate und die nordischen Waren der Hanseaten aus-
zutauschen. Die Messen und Märkte hatten für den-
H. und insbesondere auch für den Großhandel der
damaligen Zeit eine hervorragende Bedeutung. Zu
diesen fanden sich die Kaufleute aus den verschie-
densten Gegenden und Ländern ein. Angebot und
Nachfrage konzentrierten sich hier und ermöglichten
eincn sichern überblick über Vorrat und Bedarf. Erst
die neuere Entwicklung des Verkehrs und des Nach-
richtenwesens hat diese Einrichtungen für den Groß-
handel zum großen Teil entbehrlich gemacht.
Eine gänzliche Umgestaltung erfuhr die Richtung
des Weltverkehrs im Zeitalter der Entdeckungen,
mit dem Beginn der Neuzeit. Statt der tleinen
Binnenbeckcn der Alten Welt wurden jetzt die großen
Oceane der Tummelplatz eines wirklicken, die ganze
Erde umspannenden Welthandels. Dic Entdeckung
dcs Seeweges nach Ostindien brachte die alte, vom
Orient über Italien und Deutschland führende Han-
delsstraße bald zur Verödung und dadurch den Glanz
der oberdeutschen Städte zum Verschwinden. Die
Hansa, welche mehr an die Erkaltung ihrer in den
Nachbarländern errungenen Privilegien als an eine
neue kühne Initiative dachte, vermochte ihrv Stellung
gegenüber England und den Ostsceländern nickt zu
behaupten und geriet in Verfall. Der Dreißigjährige
Krieg führte dann vollends eine tiefgehende Zer-
rüttung des dcutschcn H. wic der deutschen Volks-
wirtschaft überhaupt herbei. Unterdessen aber fiel den
westl. Völkern der Löwenanteil an den Früchten des
Verkehrs mit den neuerschlossenen überseeischen Län-
dern zu. Spanien und Portugal verstanden es frei-
lich schlecht, ihre Eroberungen in Amerika und Asien
wirtschaftlich auszunutzen. Auch Frankreich hat aus
seinen überseeischen Unternehmungen kaum wirkliche
Vorteile gezogen. Desto besser aber gelang dies delt
Engländern und Holländern, obwohl sie lange Zeit
das restriktive monopolistische Kolonialsystem beibe-
hielten, zu welchem Spanien das Beispiel gegeben
hatte. Dieses System stand im engsten Zusammen-
hange mit der Handels- und Zollpolitik, die im 16.
und namentlich im 17. Jahrh, in Europa immer mehr
zur Herrschaft gelangte und direkt oder indirekt zu
blutigen Kriegen geführt hat. Sie beruhte auf den
Principien des sog. Merkantilsystems (s. d.), deren
Einfluß wohl teilweise dadurch zu erklären ist, daß
die Erweiterung und Verallgemeinerung der Geld-
wirtschaft (s. d.), welche durch die großen Zuflüsse von
Edelmetall aus Amerika veranlaßt wurde, die Be-
deutung des Geldes als des Trägers des privat-
wirtschaftlichen Reichtums deutlicher hervortreten
lieh, was dann zu einer Überschätzung seiner Reich-
tumsqualität überhaupt führte.
Eine abermalige neue Phase des Welthandels
beginnt mit der Unabhängigkeitserklärung der Ver-
einigten Staaten von Amerika (4. Juli 1776). Wäh-
rend bis dahin die überseeischen Länder unter dem
Drucke des Kolonialsystems oder wegen ihrer ge-
ringen Kulturentwicklung sich Europa gegenüber
passiv verhielten, erhebt sich jetzt jenseit des Oceans
eine Nation im Vollbesitze der europ. Kultur, die
nicht nur der Alten Welt gegenüber mit eigener
Initiative auftritt, sondern sie in vielen Punkten
wirtschaftlich zu überflügeln im stände ist. Mit die-
ser Periode beginnt zugleich die lange Reibe der
Erfindungen, durch welche sowohl die Masse der
auszutauschenden Erzeugnisse als auch die Mittel
zum Transport derselben eine noch immer fort-
schreitende Vermehrung erfahren haben. Diefem
gewaltigen Anwachsen der Produktion und der Ver-
kehrsmittel (Eisenbahn-, Telegraphen- und Fern-
sprechwesen, Dampserlinien, Kanalbauten u. a.)
konnte das alte starre Prohibitiv- und Schutzsystem
nickt widerstehen. England begann aus rein prakti-
schen Erwägungen die Reform seiner Handelspolitik
in den zwanziger Jahren des 19. Jahrh, und führte sie
in cinigm Jahrzehnten vollständig durch; Frankreich
entschloß sich 1860 zu wesentlichen Milderungen sei-
nes Zollsystems: Preußen war schon 1818 in frci-
bändlcrischer Richtung vorgegangen, welche mit der
Gründung des Zollvereins in ganz Deutschland zur
Geltung gelangte. Wenn in jüngster Zeit manche
Kulturstaaten wieder erhöhte Zolltarife eingeführt
habm, so bleiben dieselben doch von dem ältern
Prolübitivsystcm immer noch weit entfernt. Im
Laufe des 19. Jahrhunderts gelangten auch die
Kolonien zu wirtschaftlicher Selbständigkeit. Eng-
land gab zuerst das alte Ausbeutungssystem auf
und hält gegenwärtig diejenigen Kolonialländcr,
deren Bevölkerung überwiegend europ. Abstam-
mung ist, nur noch mit einem lockern Bande an sick.
So werden Canada und Australien, ähnlich wie die
Vereinigten Staaten, als überseeische Länder von
europ. Charakter mehr und mehr zu selbständigen
Faktoren des Welthandels. Zugleich wird die Sprö-
digkeit der alten Kulturländer Ostasiens, Chinas
und Japans, allmählich überwunden, sodaß der Ver-