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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Handfeuerwaffen

Amerika die Herstellung gasdichter Metallpatronen zum erstenmal gelungen war, sehen wir auch sogleich die Konstruktion von Repetierwaffen ermöglicht und zwar sofort in solcher Vollkommenheit, daß ihr Kriegsgebrauch in ungeübter Hand stattfinden konnte. Nicht weniger als 94000 Karabiner und 12500 Gewehre des Repetiersystems Spencer waren 1861-66 seitens der Nordstaaten angekauft worden. Das System soll hier als Vertreter der Repetiergewehre mit Magazin im Kolben besprochen werden. (Vgl. Tafel: Handfeuerwaffen II, Fig. 2.) Der Kolben ist der Länge nach mit einer Bohrung versehen, in die das aus dünnem Stahlblech hergestellte Magazinrohr r eingeschoben wird. Zum Füllen des Magazins wird das Rohr aus dem Kolben gezogen und es werden (bei dem Karabiner 7) Patronen in das Rohr gelegt. Hierauf schiebt man das Rohr in den Kolben ein, wobei durch den Widerstand der Patronensäule die Magazinfeder gespannt wird. Durch Rechtsdrehen des vorn offenen Rohrs wird die Verbindung desselben mit dem Kolben hergestellt. Bei geschlossener Waffe verhindert der einen Block bildende Verschluß c, daß die erste Patrone und damit alle übrigen dem Drängen der Magazinfeder nachgeben und das Rohr r verlassen. Bei dem Öffnen des Gewehrs, das durch Herabziehen des Bügels b erfolgt, schiebt sich die vorderste Patrone auf den Verschlußblock c, wo ein kleiner Vorsprung ihre Vorbewegung aufhält. Bei dem Schließen durch Zurückstoßen von b faßt die rechtwinklige Kante von a die Patrone und schiebt sie in ihr Lager vor. Die Zündung erfolgt durch Schlag des Hahns auf den Zündstift, der den im Bodenrand befindlichen Zündsatz quetscht und dadurch entzündet.

Die später noch verbesserten Gewehre mit Magazin im Kolben haben infolge ihrer großen Nachteile nur geringe Verwendung für Kriegszwecke gefunden. Zunächst konnte das Magazin nur wenig Patronen aufnehmen, deren Zuleitung durch den Kolbenhals, einen schwachen Teil jedes Gewehrs, erfolgen mußte. Das Füllen des Magazins erforderte viel Zeit und konnte nur mit ruhiger Hand ausgeführt werden, selbst dann noch, als man das Rohr von seinem vordern Ende aus mit Patronen versah (System Hotchkiß). Auch konnte der Mechanismus zum Vorführen der Patronen aus dem Magazin in den Lauf nicht einfach gehalten werden.

Die nächste Klasse der Repetiergewehre ist jene, bei der sich das Magazin im Vorderschaft unter dem Lauf befindet. In dem amerik. Kriege war das hierher gehörige Henrygewehr ebenfalls vertreten. Aus demselben entwickelten sich später das System Henry-Winchester und Vetterli. Der erste Staat, in dem der Repetierer als Armeewaffe Eingang fand, war die Schweiz. 1869 ging man dort unter Annahme des Systems Vetterli fast unmittelbar vom Vorderlader zum Hinterlader-Repetiergewehr über. Die Hauptgrundzüge der Konstruktion (s. Tafel: Handfeuerwaffen II, Fig. 1) sind folgende: unter dem Lauf ist im Vorderschaft ein langes Messingrohr angebracht, das 11 Patronen aufnimmt und in der gleichen Weise wie bei Spencer mit Bolzen und Magazinfeder versehen ist. Letztere hat bei gefüllter Röhre das Streben, rückwärts zu wirken und somit die Patrone in den Zubringer a zu schieben. Diesem fällt die Aufgabe zu, die jeweilig hinterste Patrone aus der Verlängerung des Rohrs in die Höhe des Patronenlagers zu beben, damit das Schloß beim Vorschieben die Patrone in ihr

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Lager befördern kann. Zu diesem Zweck muß dem Zubringer beim Öffnen eine Aufwärts- und beim Schließen eine Abwärtsbewegung mitgeteilt werden, damit der Zubringer wieder eine neue Patrone aus dem Magazin empfangen kann. Diese Bewegungen werden dem Zubringer durch Vermittelung eines Winkelhebels b mitgeteilt. Beim Zurückziehen des Verschlusses stößt ein Ansatz des Verschlußkolbens l den kurzen Kniehebelarm b zurück und damit den langen aufwärts, welcher Bewegung der Zubringer a Folge leisten muß. Umgekehrt trifft beim Schließen ein Ansatz des Kolbens l den kurzen Arm von hinten, drückt ihn vor und damit den langen Arm abwärts. Der Zubringer a senkt sich und empfängt aus dem Magazinrohr eine neue Patrone. Der Verschluß des Vetterlisystems gehört der Gattung der Cylinderverschlüsse an und zeichnet sich dadurch aus, daß der Rückstoß nicht einseitig wie bei den Systemen Dreyse, Chassepot, Mauser, Verdau, Gras, sondern von zwei Warzen aufgefangen wird. Letztere sind an dem drehbaren Nußhebel 2 angebracht und schieben sich beim Schließen des Gewehrs vor ihre Widerlager im Verschlußgehäuse. Beim Öffnen gelangen diese Warzen vor zwei entsprechend geformte Ausschnitte des Gehäuses, worauf ein Zurückziehen des ganzen Schlosses möglich ist. Durch Druck gegen den Abzug senkt sich der Abzugsstollen, der Schlagstift 3 verliert seinen Halt und schnellt vor, trifft auf die im Kopf des Verschlußkolbens lagernde Schlaggabel 4, die den Patronenrand trifft und den Zündsatz entflammt.

Bei allen Repetierwaffen ist eine Anordnung nötig, die das gleichzeitige Austreten zweier Patronen aus dem Magazin und damit verbundene Ladehemmungen verhütet. Bei Vetterli ist es die senkrecht gehaltene vordere Fläche des Zubringers a, die bei dem Heben desselben das Magazinrohr schließt. Ist eine Patrone durch den Rückstoß beim Schießen etwas gestaucht, so sind Ladehemmungen möglich. Bei spätern Mehrladern mit Vorderschaft-Magazin ist daher eine Anordnung bez. Sperre eingeführt worden, die die richtige Arbeit der Mehrladevorrichtung auch dann gewährleistet, wenn die längere Zeit im Magazine befindlichen Patronen durch den Rückstoß aufeinander gestaucht worden sind, d. h. an Länge verloren haben.

Bei der Vetterliwaffe ist ein Absperren des Magazins nicht möglich. Es liegt somit die Gefahr nahe, daß der Soldat sich im Gefecht nicht die Patronen des Magazins für entscheidende Augenblicke aufspart, sondern schon zu Anfang verbraucht. Da bei allen Gewehren mit Vorderschaftsmagazin das Füllen eine gewisse Zeit und ruhige Hand fordert, ist an Wiederfüllen im feindlichen Feuer nicht zu denken. Es wird daher der Mann nur für die Einleitung des Gefechts den geringen Vorteil haben, daß er eine Reihe von Patronen mit etwas größerer Geschwindigkeit abgeben kann als der mit gewöhnlichem Einlader versehene. Es sei hier bemerkt, daß für den Ernstfall ein wesentlicher Vorteil auch bei den Gewehren nicht erreicht werden kann, bei denen eine Schließung des Magazins durch besondere Vorrichtung möglich ist. Bei dem Schießen mit Einzelladung und gefülltem, abgesperrtem Magazin bleibt ferner nicht ausgeschlossen, daß die Patronen durch das heftige Aufeinanderstoßen bei dem Schusse sich entzünden. Es sind alsdann Verletzungen des Schützen möglich, jedenfalls wird die Waffe zum Schießen unbrauchbar.