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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Hannover (Provinz)
Minister an der Spitze in London errichtet; aber
die Regierung lag faktisch in den Handen des hannov.
Adels, der ausschließlich die höchsten Amter inne-
hatte. Im Kriege gegen Frankreich mußte H. ein
Hilfskorps (1793-95) in den Niederlanden stellen.
Als der Krieg zwischen Frankreich und England 180.'!
wieder ausbrach, rückten die Franzosen in Hannover
ein. Die hannov. Truppen kapitulierten iu Sulingen,
und das Land ward gczwuugcu, cin franz. Korps
Zu unterhalten und uugeheure Kriegssteuern zu
zahlen. (Vgl. über die damaligen Zustände in H.
Ompteda,Einhannov.-engl.Ofsiziervor100Jahren,
Lpz. 1892.) Durch Vertrag vom 15. Dez. 1805 traten
die Franzosen H. an Preußen ab. Nach dem Frie-
den von Tilsit, in welchem Preußen H. an Frank-
reich abtrat, ward 1807 ein Teil, 12. Jan. 1810
auch der Rest zum Königreich Westfalen geschlagen,
in demselben Jahre aber der nördl. Teil durch Na-
poleon wieder losgetrennt und mit dem Kaisertum
Frankreich vereinigt. Seit 4. Nov. 1813 stand das
Land wieder unter seinem alten Herrn. Der hannov.
Gesandte, Graf von Münster, erlangte auf dem
Wiener Kongreß eine erhebliche Vergrößerung H.s
und dessen Erhebung zum Königreich, nachdem er
ihm 12. Aug. 1814 eine provisorische Etändever-
sammlung verschafft hatte. Die hannov. Truppen
nahmen 1815 lebhaften Anteil an der Schlacht bei
Waterloo. Am 24. Okt. 1816 ernannte der Prinz-
Regent GcorgIV. (s. d.) seinen Bruder, den Herzog
von Cambridge, zum Generalgouverueur von H.;
allein der Schwerpunkt der ganzen Verwaltuug
blieb in den Händen des Grafen Münster in Lon-
.don, dessen Restaurationspolitik die ritterschaft-
lichen Provinziallandfchaften (19. Okt. 1818) ein-
führte und gegen die Wünsche des Landtags 5. Jan.
1819 ein Zweikammersystem schuf, in welchem die
Erste Kammer jede fortschrittliche Entwicklung
dauernd hinderte. Diese Verfassung trat 7. Dez.
1819 in Kraft. Doch griff die allgemeine Verstim-
mung über den Polizei- und Steuerdruck immer
weiter um sich und wurde auch durch die Thronbe-
steigung Wilhelms IV. (s.d.) 26. Juni 1830 nicht
gehoben; vielmehr brachen 5. Jan. 1831 in Osterode,
am 8. in Göttingen Unruhen aus, die freilich harte
Verurteilungen der Beteiligten, aber auch den Sturz
des Grafen Münster und die Ernennung des Her-
zogs von Cambridge zum Vicekönig von H. zur
Folge hatten. Die Ständeversammlung befchloß ein
Staatsgrundgesetz, das nach in London einseitig
vorgenommenen Abänderungen 26. Sept. 1833 von
Wilhelm IV. publiziert ward, dessen Rechtsverbind-
lichkeit aber der Thronerbe Ernst August, Herzog
von Cumberland, obwohl er sich Dez. 1831 mit
dessen Entwurf bis auf wenige Punkte einverstan-
den erklärt hatte, freilich nicht öffentlich, in Frage
stellte, ohne aber einen förmlichen Protest zu erheben.
Als Ernst August (s. d.) 20. Juni 1837 auf den
hannov. Thron berufen und damit H. von England
wieder getrennt ward, vertagte er 28. Juni die
Stände, ernannte den Geheimrat Schele zum Staats-
und Kabinettsminister und erließ 5. Juli 1837 das
Patent, in welchem er erklärte, daß das Staats-
grundgesetz von 1833 für ihn nicht rechtlich verbind-
lich sei und in mancher Hinsicht den Bedürfnissen
des Landes nicht entspreche. Nachdem er darauf
das Gutachten einer Kommission unter dem Vorsitz
Scheles vernommen, erklärte er 30. Okt. die allge-
meine Etändeversammlung sür aufgelöst, 31. Okt.
die bisherigen Kabinettsminister für entlassen, aber
zugleich zu Departementsministern, und 1. Nov. die
Verfassung von 1833 für aufgehobeu. Doch sollten
die seit 1833 erlassenen Gesetze in Kraft bleiben.
Eine Folge diefer Aufhebung war die Wiederher-
stellung des Staatsgrundgesetzes von 1819. Zugleich
aber wurde die Beratung einer neuen Verfassung
mit den nach dem Wahlgesetz von 1819 gewälM)?
Ständen in Aussicht gestellt. Die Staatsdiener
waren ihrer ans die Verfassung geleisteten Eide ent-
bunden worden. Als mm die Regierung nicht nur
von allen eigentlichen Staatsdienern, sondern auch
von Advokaten und Professoren die Einsendung von
Dienst- und Huldigungsreversen verlangte, erklär-
ten sieben Professoren der Universität Göttingen:
Dahlmann, Albrecht, die Gebrüder Grimm, Ger-
vinus, Ewald und Wilh. Ed. Weber, in einer dem
Kuratorium übergebcnen Protcstationvom 18. Nov.
ibre Überzeugung von der rechtlichen Unmöglichkeit
einer Aufbebung der Verfassung u. s. w. Schon
unterm 12. Dez. wurden die sieben Professoren ohne
Untersuchung und Rechtsspruch ihrer 'Amter entsetzt
und Dahlmann, Jak. Grimm und Gervinus des
Landes verwiesen. Den übrigcu ward erklärt, daß,
wenn sie bis zu einem bestimmten Tage nicht den
Huldigungsrevers unterzeichnet haben würden, sie
sich als entlassen zu betrachten hätten. Alle Ver-
suche von Korporationen und Einzelnen, die be-
schworene Verfassung dem Lande zu erhalten, schei-
terten, der Deutsche Bund erklärte sich für nicht zu-
ständig zur Entscheidung der erhobenen Beschwerden,
und so kam endlich unter Anwendung von allerhand
Zwangsmahregeln eine unter dem 6. Aug. 1840 ver-
öffentlichte Verfassung zu staude, welche die frühern
Rechte der Stande in wesentlichen Punkten be-
schränkte. That die Regierung auch in den nächsten
Jahren manches für die Hebung des Wohlstandes,
den Ban von Eisenbahnen, so blieb doch immer
noch Grund zu Klagen genug, uamentlich über Be-
vorzugung des Adels und den auf dem Lande lasten-
den Polizcidruck. Daher fielen die Wahlen Nov.
1847 überwiegend auf Männer der alten staats-
grundgesetzlichen Opposition. Die Märztage des
Jahres 1848 beseitigten auch in H. schnell das alte
System; 17. März mußte der Köuig Preßfreiheit,
20. März Rückkehr zum Staatsgrundgcsetz bewilligen
und den eifrigsten Verteidiger desselben, Dr. Stüve,
zum Minister berufen, der mit seinen gleichgesinn-
ten Kollegen (Graf Vennigfen, Lehzen, Braun,von
Düring) Schwurgerichte, Selbständigkeit der Ge-
meinden, Trennung der Verwaltung von der Rechts-
pflege,Unterstellung der Domänen unterdas Finanz-
ministerium u. s. w. einzuführen versprach. Auf ver-
fassungsmäßigem Wege wurdedieZusammensetzung
der beiden Kammern geändert und das Verfassungs-
gesetz 5. ^ept. veröffentlicht. Gegen die Beschlüsse
des Frankfurter Parlaments verhielt sich das Mini-
sterium ablehnend, auch der König wollte von seiner
Souveränität uichts aufgeben. Auch dem sog. engern
Buude unter Preußens Führung widerstrebte man.
Zwar trat H. 27. Mai 1819' dem Dreikönigs-
bündnis (s. d.) bei, iedoch nur mit Vorbehalt, schied
aber bereits 20. Okt. mit Sachsen aus dem Vcr-
waltungsrat des Bundes aus und trat Febr. 1850
definitiv von dem Bündnisse zurück. Durch seine
unklare Stellung zur deutschen Frage, durch den
wieder erstarkten Einfluß der Adelspartei und österr.
Einflüsse war die Stellung des Ministeriums Stüve
stark erscküttcrt, 28. Okt. wurde es entlassen. Das
darauffolgende Ministerium von Münchhausen,