Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Harncylinder; Harnfarbstoff; Harnfistel; Harngries; Harnhaut

826

Harncylinder - Harnhaut

der Blasenkatarrh zur eigentlichen Blasenentzündung (Cystitis parenchymatosa), bei welcher nicht bloß die Schleimhaut, sondern die gesamte Blasenwand entzündet und geschwollen, wohl auch von größern oder kleinern Geschwüren durchsetzt ist. Sind die letztern tuberkulöser Natur, so spricht man auch von Blasenschwindsucht. Die Symptome des Blasenkatarrhs bestehen hauptsächlich in einem dumpfen drückenden Schmerz in der Blasengegend, in unaufhörlichem Harndrang, lebhaft brennenden Schmerzen beim Urinieren und in der Entleerung eines trüben, wolkigen, nicht selten mit Eiter und Blut vermischten Harns, der bald einen widerwärtigen ammoniakalischen Geruch annimmt; häufig ist auch Fieber vorhanden. Enthält der Harn größere Mengen von Eiter, so pflegt man dies als Pyurie zu bezeichnen. Die Behandlung erfordert vor allen Dingen eine vollkommen reizlose und strenge Diät (Milch, Mandelmilch, schleimige Suppen und Getränke, Selterser, Wildunger, Biliner Wasser); gegen heftige Schmerzen erweisen sich Bettruhe, warme Umschläge auf die Blasengegend, warme Vollbäder und warme Klystiere nützlich. Bei chronischem Verlauf und sehr übelriechender Beschaffenheit des Harns ist die H. öfters mit lauwarmem Wasser oder schwach adstringierenden und desinfizierenden Flüssigkeiten auszuspülen. Bei gleichzeitig vorhandener Lähmung der Blase muß der Harn regelmäßig mit dem Katheter entleert werden.

2) Blasenkrampf (Cystospasmus), ein überaus heftiger krampfartiger Schmerz in der Blasengegend, der in Anfällen auftritt, gewöhnlich mit krampfhaften Zusammenziehungen der Blase und fast ununterbrochenem Harndrang einhergeht und nicht selten allgemeines Zittern, Erbrechen und selbst Ohnmacht zur Folge hat. Diese Anfälle währen bald nur wenige Minuten, bald eine halbe Stunde und darüber. Die Ursachen des Blasenkrampfes sind entweder rein örtliche, wie Entzündung der Blasenschleimhaut, Blasensteine, Reizungszustände der Harnröhre, des Mastdarms, der Gebärmutter, scharfer Urin u. dgl., oder allgemeine, wie heftige Gemütserschütterungen (Schreck), Hysterie und andere schwere Nervenleiden. Gegen die Anfälle sind warme Voll- und Sitzbäder, warme Breiumschläge auf die Blasengegend, Klystiere von Kamillenthee und Opiumpräparate anzuwenden.

3) Blasenlähmung (Paralysis vesicae), die mehr oder minder vollständige Lähmung der Blasenmuskulatur, ist am häufigsten im höhern Mannes- und Greisenalter, kommt aber auch in jedem frühern Alter, selbst dem Kindes- und Säuglingsalter vor und verursacht wesentlich verschiedene Symptome, je nachdem nur der Schließmuskel oder nur die Längsmuskulatur der Blase oder beide zugleich von der Lähmung betroffen werden. Ist nur der Schließmuskel gelähmt, so träufelt der Urin beständig gegen den Willen des Kranken ab, besudelt seine Wäsche und umgiebt ihn mit einer beständigen urinösen Atmosphäre; ist nur die Längsmuskulatur der Blase, der sog. Harnauspresser, gelähmt, so sammelt sich der Harn in der Blase an, ohne daß der Kranke es fühlt, es besteht mehr oder minder lange Harnverhaltung und erst wenn die Blase durch ihren Inhalt weit über ihr gewöhnliches Maß ausgedehnt wurde, so erlahmt auch der Schließmuskel und es erfolgt unwillkürlicher Harnabgang. Die Ursachen der Blasenlähmung können in entzündlichen Zuständen der Blase, in Blasensteinen, in allgemeiner Erschöpfung des Körpers, in Bewußtlosigkeit durch betäubende Mittel oder hohes Fieber, in Erkrankungen des Rückenmarks oder sonstigen schweren Nervenleiden liegen; auch ungebührlich langes Zurückhalten des Urins kann lähmungsartige Zustände der Blase zur Folge haben. Die Blasenlähmung trotzt in vielen Fällen, in denen die betreffende Grundursache nicht beseitigt werden kann, jedweder Behandlung; in andern Fällen kann die Lähmung durch regelmäßige Entleerungen der Blase vermittelst des Katheters, durch Einspritzungen von kaltem Wasser, durch kalte Douchen und Waschungen der Kreuzbein- und der Blasengegend oder durch die Anwendung der Elektricität zum Verschwinden gebracht werden.

4) Die Steinkrankheit der H., s. Harnsteine.

5) Geschwülste der Blase sind nicht eben häufig, kommen fast nur im reifern Mannesalter vor und treten entweder als einfache Schleimpolypen oder in der Form des Krebses, namentlich des Zottenkrebses auf. Sie verursachen gewöhnlich mehr oder minder hartnäckiges Blutharnen (s. d.), Schmerzen, Blasenkrampf oder Blasenlähmung; auch sind dem Harn nicht selten kleine Geschwulstzotten und andere Gewebselemente beigemengt. Der Blasenkrebs führt gewöhnlich schon nach einigen Monaten zum Tode; Heilung ist nur von einer möglichst frühzeitigen Operation zu erwarten.

6) Die Zerreißung oder Ruptur der Blase kommt am ehesten durch Schuß- oder Stichwunden, in seltenern Fällen durch Fall oder Sturz bei gefüllter Blase, durch Überfahren u. dgl. zu stande und führt in den meisten Fällen durch nachfolgende Bauchfellentzündung zum Tode.

Litteratur. Lebert, Krankheiten der H. und Harnröhre (in Ziemssens "Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie", Bd. 9, 2.Hälfte, 2. Aufl., Lpz. 1880); Ultzmann, Die Krankheiten der H. (Stuttg. 1889); Thompson, Die Krankheiten der Harnwege (deutsch von Casper, Münch. 1889).

Harncylinder, s. Harn (S. 823 b).

Harnfarbstoff, s. Urobilin.

Harnfistel, s. Urinfistel.

Harngries, s. Harn (S. 824 a) und Harnsteine (S. 828 a).

Harnhaut, Allantois, eine eigentümliche Hülle der Embryonen der höhern Wirbeltiere, welche aus dem hintern Ende des Darmkanals entspringt. Ein Rudiment davon läßt sich schon bei Fischen und Amphibien nachweisen, während erst bei den höhern Wirbeltieren (Reptilien, Vögeln und Säugetieren), die man deshalb auch Allantoidea genannt hat, eine wirkliche Blase aus dem Darme, und zwar von der Bauchfläche des Darmkanals, sich erhebt, nach vorn wächst, durch den Nabel hindurchtritt und sich so an der Oberfläche des Eies ausbreitet, daß sie besonders bei vielen Säugetieren eine vollständige Hülle um das Ei bildet. Der außerhalb der Bauchdecken gelegene Stiel bildet mit dem Stiel der Nabelblase den Nabelstrang. An der H. werden die Blutgefäße, welche bei den Embryonen der höhern Wirbeltiere, bei denen sich keine Atemblättchen auf den Kiemenbogen entwickeln, die Atmung vermitteln, an die Oberfläche des Eies geleitet. Bei den Reptilien und Vögeln breitet sich der Sack an der äußern Fläche des Eies aus und vermittelt durch seine Gefäße den Austausch der Gase mit der die Schale durchdringenden Luft, wird also Atemorgan. Bei den Säugetieren wird durch die H. und ihre Blutgefäße die Bildung des Mutterkuchens