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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Harnstoff

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Harnstoff

verursachen entweder im Nierenbecken eine sehr schmerzhafte eiterige Entzündung des letzern (Pyelitis calculosa), welche sich durch heftige Schmerzen in der Nierengegend, Fieber, Schüttelfröste, sowie durch Blut- und Eiterabgang im Harn zu erkennen giebt und bei ungünstigem Ausgang Nierenvereiterung zur Folge haben kann, oder gelangen, wenn sie nicht zu groß sind, in die Harnleiter und von diesen aus in die Harnblase, in welcher sie entweder liegen bleiben oder durch die Harnröhre vollends nach anßen entleert werden. Die Entleerung kleinerer griesähnlicher Konkremente kann ohne erheblichere subjektive Erscheinungen erfolgen; größere Nierensteinchen dagegen klemmen sich meist längere oder kürzere Zeit im Harnleiter fest und verursachen dadurch die sog. Stein - oder Nierenkolik, äußerst heftige, anfallweise auftretende Schmerzen, welche sich von der Nierengegend nach der Blase zu erstrecken, mit hochgradigem Angstgefühl, Schüttelfrost, Ohnmachtsanwandlung und Erbrechen verbunden sind und gewöhnlich wie mit einem Schlage verschwinden, wenn die eingeklemmten Steinchen nach der Harnblase oder durch die Harnröhre nach außen entleert sind. Gegen die Nierenkolik sind warme Bäder, warme Breiumschläge auf die Nierengegend sowie Opiumpräparate, Morphiumeinspritzungen oder Einatmungen von Chloroform die Hauptmittel; daneben empfiehlt sich der reichliche Genuß von warmem Wasser oder alkalischen Mineralwässern Selters, Ems, Vichy, Karlsbad), um durch die vermehrte Harnabsonderung die eingeklemmten Konkremente nach abwärts zu spülen.

Die Blasensteine (Calculi vesicales) entstehen entweder aus kleinen Nierensteinchen, die aus dem Nierenbecken durch den Harn in die Harnblase gespült wurden und sich in letzterer durch weitere Niederschläge von Harnsalzen allmählich vergrößern, oder sie bilden sich aus dem in der Blase stagnierenden Harn bei chronischem Blasenkatarrh, Harnröhrenverengerungen, Blasenlähmung und andern Zuständen, welche mit Harnstauung und Harnzersetzung einhergehen. Die hauptsächlichsten Symptome des Blasensteins sind mehr oder minder heftige Schmerzen in der Blasengegend, welche durch alle Körperbewegungen in aufrechter Stellung, namentlich beim Gehen, Reiten und Fahren vermehrt, durch ruhige Rücken- oder Seitenlage dagegen gemäßigt werden und welche häufig nach den Hoden, den Schenkeln und bis in die Spitze des Penis ausstrahlen, ferner in zeitweiligem Blutharnen und bisweilen in plötzlicher Unterbrechung des Harnstrahls, welche sehr leicht dadurch zu stande kommt, daß sich ein frei beweglicher Stein gerade vor den Blasenhals legt und so den Anfangsteil der Harnröhre verstopft; ändert der Kranke hierbei plötzlich seine Körperstellung, so geht das Urinieren oft wieder in normaler Weise von statten. Gewöhnlich sind auch mehr oder weniger ausgesprochene Symptome von Blasenkatarrh (s. Harnblase) vorhanden. Mit Sicherheit läßt sich aber die Anwesenheit von H. in der Blase nur durch eine sachkundige Untersuchung der letztern mittels einer stählernen Sonde, sog. Steinsonde, erkennen, mit welcher man nicht nur den Stein innerhalb der Harnblase deutlich fühlen, sondern auch beim Berühren desselben einen charakteristischen hellen Klang hervorrufen kann.

Hinsichtlich der Behandlung der Blasensteine ist zu erwähnen, daß es bisher weder durch innere Mittel noch durch chem. Agentien, die direkt in die Blase eingespritzt wurden, gelungen ist, größere Blasensteine zu verkleinern oder aufzulösen und daß man aus diesem Grunde gezwungen ist, die Entfernung der Steine auf mechan. Wege zu erstreben. Man erreicht diesen Zweck auf zweierlei Weise: entweder durch operative Entfernung des Steins aus der von außen eröffneten Harnblase (Steinschnitt, Lithotomie) oder durch mechan. Zertrümmerung des Steins innerhalb der Blase vermittelst katheterförmiger, sinnreich konstruierter Instrumente und Ausspülen oder Ausziehen der Fragmente durch die Harnröhre (Steinzertrümmerung, Lithotripsie). Ausführlicheres hierüber s. Steinoperationen. Steinkranke sollen eine einfache gemischte Kost genießen, große Mäßigkeit im Genuß stickstoffreicher und fetter Nahrung (Fleisch, Eier, Käse) und alkoholreicher Getränke beobachten, sich gehörige Bewegungen machen und durch fleißiges Trinken von gutem Quellwasser die Harnabsonderung vermehren. Gegen die Neigung zur Steinbildung werden gewisse alkalische Quellen (Karlsbad, Vichy, Ems) mit Recht empfohlen.

Litteratur. Thompson, Die chirurg. Krankheiten der Harnorgane (deutsch von Dupuis, Berl. 1878); Ultzmann, Die Harnkonkretionen des Menschen (Wien 1882); Ebstein, Die Natur und Behandlung der H. (Wiesb. 1884).

Harnstoff, eine wichtige organische Verbindung von der Zusammensetzung CH4N2O, ist als das Amid der Kohlensäure (Carbamid) mit der Formel NH2.CO.NH2 aufzufassen. Der H. ist das letzte Produkt der Spaltung und Oxydation der Eiweißstoffe und findet sich immer im Harn des Menschen und der Säugetiere. Die vom Menschen täglich erzeugte Menge beträgt etwa 30 g. Die Hauptmenge des Stickstoffs, die in Form von Eiweißstoffen mit der Nahrung in den Körper eingeführt wird, verläßt diesen bei den meisten Säugetieren in Form von H., und letzterer kann deshalb als Maß des Eiweißverbrauchs dienen. Beim Hungerzustande bildet er sich ans den Eiweißstoffen des Körpers selbst. In geringer Menge findet sich der H. auch in andern tierischen Flüssigkeiten und im Harn der Vögel und einiger Reptilien, die ihren Stickstoff hauptsächlich in Form der bei den Säugetieren nur in geringer Menge vorhandenen Harnsäure ausscheiden.

In histor. Hinsicht ist der H. von Interesse, weil er dasjenige Erzeugnis organischen Lebens ist, dessen künstliche Darstellung der Chemie zuerst gelang. Das isocyansaure Ammonium, das sich durch Umsetzung von Ammoniumsulfat und dem synthetisch zugänglichen Kaliumsalz der Isocyansäure (s. Cyansäure) bildet, wandelt sich beim Erwärmen seiner wässerigen Lösung in den isomeren H. um:

^[Liste]

C=O N.NH4 = C=O NH2 NH2

isocyansaures Ammonium Harnstoff.

Durch diese 1828 von Wöhler gemachte Entdeckung wurde die frühere Lehre, daß es zur Bildung organischer Substanzen der geheimnisvollen, nur in lebenden Wesen vorhandenen "Lebenskraft" bedürfe, endgültig beseitigt. Seit jener Zeit sind noch mehrere andere Synthesen des H. ausgeführt worden; zur Darstellung desselben benutzt man aber die Wöhlersche Synthese. Auch aus dem Harn selbst kann man ihn gewinnen, wenn man diesen eindampft und mit starker Salpetersäure versetzt. Es bildet sich dann das durch Umkrystallisieren leicht